Die erste Landtagswahl im Bundestagswahljahr 2017 ist geschafft, das Ergebnis ziemlich deutlich. Während die aktuelle und wohl zukünftige Landesregierung eher betriebsam wirkt, wird von Politiker aller Couleur interpretiert, was das nun alles zu bedeuten hat. Für eine allgemeine, weniger wahlkampfgetriebene Einschätzung hat sich wahl.de im politischen Berlin umgehört und bei Politikberatern gefragt, was das Ergebnis der Saarwahl für die nächsten Wochen, die nächsten Wahlen und natürlich die bevorstehende Bundestagswahl bedeuten kann.
Kandidaten mit Amtsbonus vorne – auch in Schleswig-Holstein und NRW
Jörg Ihlau von Serviceplan hat schon vor ein paar Tagen die Vorzüge von Personalisierung im Wahlkampf gepriesen, und auch mit Blick auf das Saarland sieht er, wie „starke Kandidaten Nichtwähler mobilisieren“. Sebastian Frevel von der Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft meint ebenfalls, „Spitzenkandidaten sind bei Wahlen wichtiger denn je“. Eine „Sehnsucht nach Kontinuität und Konsens“ vermutet Judith Kleinemeyer von FleishmanHillard im Ergebnis der Landtagswahl. „Die Ministerpräsidentin spitzt zu, mobilisiert und gewinnt, ähnlich wie in Rheinland-Pfalz“ findet Christian Thams von Burson-Marsteller. Auch für Axel Wallrabenstein von MSL setzt sich hier ein Trend „aus 2016 auch 2017 fort“. Mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen folgert er: „Die Ministerpräsidenten haben zumindest gute Karten.“. Frevel sieht ebenso, dass die SPD „mit Landesmutter Kraft und Landesvater Albig hier einen klaren Vorteil“ habe. Auch fehlt für Kleinemeyer überhaupt der „angebliche Wechselwillen“, den Martin Schulz in den letzten Wochen zu stärken versuchte.
Negativtrend der Grünen
Neben den Kandidaten sind aber natürlich auch die Parteiprofile nicht unerheblich. Frevel warnt, „gerade die Grünen müssen höllisch aufpassen, politisch nicht zwischen SPD und Linkspartei aufgerieben zu werden.“ Ihlau weist darauf hin, das „kein grüner Kopf und kein grünes Thema in Sicht“ sei, welches „den grünen Negativtrend zu brechen vermag.“. Thams findet, dass Abschneiden der kleinen Parteien verspreche „eine besondere Spannung“.
Wahlkampf statt Hype, und keine Experimente
Wallrabenstein freut sich, dass der „beispielhaften Tür zu Tür Wahlkampf“ in Wählerstimmen übertragen werden konnte. Gar einen „Überbietungswettkampf an „Zug“-Metaphern, der jetzt schon wehtut“ sieht Frevel in der aktuellen politischen Blase. „Martin Schulz kann nicht zaubern“ stellt auch Kleinemeyer fest und ergänzt, dass die SPD „nun wieder aufwachen“ müsse. Thams sieht im Ergebnis eine „Normalisierung“.
Dass Ergebnis an sich habe aber, da sind sich alle einig, keine unmittelbare Signalwirkung für die Bundestagswahl. Umfragen seien nurmehr Stimmungsbilder, die sich kontinuierlich ändern. Zurückhaltend wird auch auf den nachhaltigen Einfluss durch Brexit und andere Ereignisse verwiesen – die Wählerschaft sei insgesamt politisierter, was aber auch Prognosen noch schwieriger machen.
Die Aussagen der Politikberater im Wortlaut:
Axel Wallrabenstein
Chairman, MSLGROUP Germany GmbH
Die Reihe aus 2016 setzt sich auch 2017 fort. Beliebte und erfahrene Ministerpräsidenten bzw. Ministerpräsidentinnen wurden wieder gewählt. Deutschland ist politisierter durch die grundsätzlichen Debatten sowie die Erfahrungen mit Trump, Brexit und Co. Stimmungen sind noch lange keine Stimmen und ein engagierter Wahlkampf zahlt sich aus. Die CDU hat im Saarland einen beispielhaften Tür zu Tür Wahlkampf betrieben und an mehr als 75.000 Haustüren geklingelt. Vorbild ist das neue KampagnenCamp @connect17 im Konrad-Adenauer-Haus. Weniger Hype – aber solide Kampagnenarbeit und Vorbereitung auf 2017 seit Monaten. Interessant, wie sich innerhalb weniger Stunden die mediale Wahrnehmung wieder komplett verändert. 2017 bleibt ein spannendes Wahljahr. Prognosen bleiben schwierig.
Landtagswahlen Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
Die Ministerpräsidenten haben zumindest gute Karten. Ob es am Ende reicht wird man sehen. Die jetzigen Koalitionen müssen in Kiel und Düsseldorf allerdings so nicht bestehen bleiben.
Sebastian Frevel
Geschäftsführer, Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft
Das war also der Start ins Superwahljahr 2017. Schulz-Hype, Grüne und FDP ade – Union bei alter Stärke? In jedem Fall herrscht ein Überbietungswettkampf an „Zug“-Metaphern, der jetzt schon wehtut. Klar ist, die Saarland-Wahl sollte bundespolitisch mit gerade einmal 800.000 Wahlberechtigten und einem thematisch regionalen Fokus nicht überbewertet werden. Und doch können drei zentrale Schlussfolgerungen für die kommenden sechs Monate gezogen werden:
Das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün redet mit
Die Saarland-Wahl zeigt, wie gefährlich ein Rot-Rot-Grüner-Kurs für die SPD auf Bundesebene werden kann. Die alte Weisheit bestätigt sich: Wahlen werden in der politischen Mitte gewonnen. Das r2g-Abschreckungspotenzial zu unterschätzen ist eine gefährliche Fälle für die SPD. Allen Vorbereitungen in der Berliner Blase zum Trotz schätzen die Wähler keine Experimente.
Spitzenkandidaten entscheiden Wahlen
Starke Spitzenkandidaten sind bei Wahlen wichtiger denn je. Sie sind die Gesichter der Parteien. Amtsinhaber haben einen klaren Bonus, den es aber zu nutzen gilt. An den Namen der SPD-Kandidatin können Sie sich wahrscheinlich schon nicht mehr erinnern (ich auch nicht). Annegret Kramp-Karrenbauer hat hingegen gezeigt, wie es gehen kann. Das weiß auch die SPD. Sie hat in NRW mit Landesmutter Kraft und in Schleswig-Holstein mit Landesvater Albig hier einen klaren Vorteil, auf Bundesebene ist hingegen alles offen.
Die Grünen haben ein strategisches Problem
Zugegeben, einfach hatten es die Grünen im Saarland noch nie. Trotzdem sollten sie das Saarland-Ergebnis als Warnschuss ernst nehmen. Gerade die Grünen müssen höllisch aufpassen, politisch nicht zwischen SPD und Linkspartei aufgerieben zu werden. Sie müssen programmatisch als auch personell sehr klar herausstellen müssen, wofür sie stehen und welchen Unterschied sie machen. Der grüne Zeitgeist mobilisiert keine Wähler.
Jörg Ihlau
Geschäftsführer, Serviceplan Public Opinion
Die Saar-Wahl zeigt, wie auch die sogenannten Volksparteien mit starken Kandidaten Nichtwähler mobilisieren können, nicht nur die AfD. Grüne und FDP tun sich schwer, eine Groko zu attackieren. Insoweit ist die Übertragbarkeit auf Kiel und Düsseldorf nicht zu überschätzen. Dennoch ist kein grüner Kopf und kein grünes Thema in Sicht, das den grünen Negativtrend zu brechen vermag.
Judith Kleinemeyer
Head of Public Affairs, FleishmanHillard
Auch wenn die Wahlen im kleinen Bundesland Saarland nicht unbedingt richtungsweisend für die Bundestagswahl im Herbst 2017 sind, bestätigen sie durchaus ernstzunehmende Trends:
- Der Personenwahlkampf ist in Deutschland längst angekommen. AKK gewinnt mit Sympathie, Vertrauen und Erfolg.
- Es herrscht Sehnsucht nach Kontinuität und Konsens. Die erfolgreiche Große Koalition wird bestätigt, dabei gewinnt wie so oft der große Koalitionspartner CDU.
- Kleine Parteien wie Grüne und FDP müssen kämpfen. Sie tun sich gerade in Zeiten von Großen Koalitionen schwer, das eigene Wählerpotential zu heben.
- Die AfD etabliert sich auf Landesebene – und sammelt fleißig Wählerstimmen, unabhängig davon, ob ihr Landesverband wegen rechter Äußerungen kurz vor der Auflösung stand. Die etablierten Parteien scheitern wieder einmal, diesem lauten Rufen etwas deutlich entgegen zu setzen.
Nach einem sehr gelungen inszenierten SPD-Parteitag vor einer Woche mit Genossen fast schon betrunken vor Glück muss die SPD nun wieder aufwachen: Es hat im Saarland nicht gereicht und Martin Schulz kann nicht zaubern. Der vielbeschworene Wunsch nach Wechsel und Neuanfang der Bevölkerung wie er aus Brexit, Trump und dem derzeitigen Martin Schulz-Hype von manchem Experten herausgelesen wird, bestätigt sich nicht. Dieser angebliche Wechselwillen wird sich wohl auch nicht bei den nächsten Landtagswahlen in Schleswig Holstein und Nordrhein-Westfalen bestätigen. Inwieweit man dort von Rückenwind von Schulz für die SPD-Amtsinhaber sprechen kann, wird spannend.
Die Wahl im Saarland zeigt auch, dass Umfragen die Wahlergebnisse nicht vorwegnehmen können. Es können immer nur Stimmungsbilder sein. Bis zur Bundestagswahl sind es noch viele Wochen – es kann noch viel passieren.
Christian Thams
Chief Operating Officer, Burson-Marsteller GmbH
Nach aller Aufregung über den Schulz-Effekt und das AKK-Wunder ist das Ergebnis eher eine Normalisierung. Die SPD holt im Vergleich zu Ende 2016 deutlich auf, doch die Ministerpräsidentin spitzt zu, mobilisiert und gewinnt, ähnlich wie in Rheinland-Pfalz. Die Ergebnisse der kleinen Parteien Grüne und FDP versprechen eine besondere Spannung. Und gute Ergebnisse der AfD sind offensichtlich kein Selbstläufer.
Klas Roggenkamp
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