„Ich habe den festen Willen, das alte System aufzubrechen“, sagt Sebastian Kurz und erinnert damit einen Augenblick lang an Donald Trumps drain the swamps. Im Gegensatz zum US-Präsident gewordenen Immobilienmogul nimmt man Österreichs jüngstem Kanzlerkandidaten diese Formulierung allerdings ab. Denn Kurz hat in den letzten Monaten gezeigt, dass man ihn besser nicht unterschätzen sollte. Ich meine, da stellt sich einer hin, als Vorsitzender einer konservativen Volkspartei in Regierungsverantwortung, erklärt spitzbübisch die Abkehr vom Establishment und liegt, einen Tag vor der Wahl, mit rund zehn Prozent Oberwasser vor der sozialdemokratischen Konkurrenz. Was ist da eigentlich geschehen in der ÖVP in den letzten Monaten?

(Jung, hungrig, polarisierend: Noch-Außenminister Sebastian Kurz. By EU2017EE Estonian Presidency; CC BY 2.0)

Kurz war die Zäsur

Man kann die jüngste Geschichte der ÖVP in der Zeitrechnung vor und nach Sebastian Kurz einteilen. Bevor er Ende Juni zum Vorsitzenden gewählt wurde, hatte man in der Partei ähnlich dürftige Antworten auf dieselben großen Fragen wie anderswo. Wie reagiert man auf die zunehmende Wählerentfremdung, wie erreicht man die Jungen, wie vollzieht man erfolgreich den Generationenwechsel? Das hat sich geändert.

Mit nur 30 Jahren löst Sebastian Kurz, seit knapp vier Jahren jüngster Außenminister in der Geschichte Österreichs, am 1. Juli diesen Jahres den ÖVP-Vorsitzenden Reinhold Mitterlehner ab. Mitterlehner, 61, ist Vizekanzler, Jurist, grauhaarig; er sieht aus und spricht wie ein Konservativer, ihm steht die Österreichische Volkspartei ins Gesicht geschrieben. Frisch und schlagfertig wirkt dagegen der junge Wiener, der die angegraute Partei sogleich in eine Bewegung transformiert.
Aus schwarz wird türkis, außerdem sagt man jetzt nicht mehr ÖVP, sondern Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei. Die hat plötzlich eine erstaunliche Social-Media-Präsenz und einen starken Rückhalt bei der jungen Bevölkerung, die ohnehin heutzutage lieber rechts als links denkt. Während die Partei in den Umfragen dazu gewinnt, avanciert Kurz zur Lichtgestalt. Er ist ihr Gesicht und ihr Sprachrohr, er polarisiert mit harter Rhetorik, er setzt die Akzente im Wahlkampf, vorrangig geht es um Migration. Dabei schafft er das vermeintlich Paradoxe und verquirlt Konservativismus mit Sturm und Drang – ein explosives Gemisch.

(Wahlplakat Kurz 2017)

Kurz kreiert eine Wahlkampfzentrale nach amerikanischem Vorbild. Jeder, explizit auch Nicht-Mitglieder, können sich beim Wahlkampf engagieren. Unterstützung zeigen, heißt das auf Kurz‘ Website und in den sozialen Medien. Überraschend für die Medien und die anderen Parteien ist, wie jung die Unterstützer teilweise sind. Ein 15-Jähriger Wahlkampfhelfer erzählt der Süddeutschen Zeitung, wie toll er den Kurz fände, während eine 19-Jährige selbst für den Nationalrat kandidiert. Dass die sich, trotz den nicht gerade jugendlichen Inhalten der Partei, von der neuen Liste Kurz so angezogen fühlt, hängt auch damit zusammen, wie man dort Wahlkampf begreift.

Man weiß jedes Netzwerk im geeigneten Jargon zu bespielen. Auf Instagram nutzt Kurz das Story-Format, um seine Wahlkampfreisen zu dokumentieren, richtet sich direkt an seine Follower und bittet sie, ihn zu wählen. Sein Twitterfeed wird viele Male täglich mit Retweets, Tourfotos und knappen Forderungen geupdated, während auf Facebook neben der offiziellen Seite Sebastian Kurz auch eine Team Kurz Likepage existiert, die ausschließlich Geschichten aus dem Wahlkampfteam erzählt, aus der Bewegung.
Zentrale Anlaufstelle ist die Website, die zum Aktivwerden auffordert, unter anderem mit einem Download-Bereich, in dem man durch den Download von maßgeschneiderten Facebook-Covern und Handybildschirmen im Handumdrehen selbst zum Unterstützer werden kann.
Es gibt sogar eine Team-Kurz-App, in der die Nutzer in „nützlichen Challenges“ wetteifern können. Ein integriertes Leaderboard sorgt für den Wettbewerb untereinander. Und über allem schwebt der Narrativ: Zusammen.

 

(Team Kurz App. Bilder: Screenshot iTunes)

Kurz schafft es mit seiner lauten und zackigen Art, zeitgleich zu spalten und zu vereinigen und trifft damit vor allem den Nerv der Identitätssuchenden. In dem Land, wo man mit 16 bereits wählen gehen darf, beflügelt er die Erstwähler. Rund 15 Prozent mehr als bei der letzten Wahl werden es sein, prognostiziert man in der SZ. Die Jungen belohnen Kurz dafür mit Reichweite. 18.000 Follower auf Instagram, über 700.000 Likes auf Facebook – Spitzenwerte für einen Politiker, besonders für einen konservativen.
Doch auch, wenn es aussieht, als hätte er die neue Marschrichtung der ÖVP in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft, fußt die interne „Machtübernahme“ auf langer Vorbereitung – und einem lebhaften Netzwerk.

Die Jugendorganisation als neue Machtbasis

„Jede Woche kommen Neue zu uns“, sagt Stefan Schnöll zum Reporter der Süddeutschen Zeitung. Schnöll ist 29 Jahre alt, Jurist und Vorsitzender der Jungen Volkspartei (JVP), quasi dem Österreichischen Pendant zur Jungen Union. Seit Kurz das Ruder übernahm, kann die Jugendorganisation täglich neue Eintrittsgesuche vermelden. Mit über 100.000 Mitgliedern ist sie nur unwesentlich kleiner als die Junge Union, die auf rund 10.000 mehr kommt. Eine beeindruckende Leistung in einem Land mit knapp sechseinhalb Millionen Wahlberechtigten.

Die JVP erlebt gerade einen ähnlichen Zulauf wie die SPD zur Peaktime des Schulz-Booms. Jung, konservativ und schneidig wie der Kurz, das ist attraktiv für viele junge Menschen. Im Gegensatz zu den deutschen Jungparteien können ambitionierte Talente dort aber auf eine rasche Karriere hoffen. Bereits im Februar dieses Jahres prophezeite die Wiener Zeitung, dass die JVP zur wichtigsten Teilorganisation aufsteigen werde, sobald Sebastian Kurz die Mutterpartei übernehme. Mittlerweile findet man dort die Machtbasis ebenjener Partei, die die ÖVP im Begriff ist, zu werden. Es entsteht eine neue Garde Jungpolitiker, hungrig, profiliert, bereit loszulegen.

(Alte Bekannte: Kurz und Schnöll. Auch bei der JVP denkt man türkis. Bild: Screenshot, http://junge.oevp.at/)

Begonnen hatte der stille Aufstieg 2009, als Sebastian Kurz die JVP übernahm. Damals sah man den Jugendverband noch als eine Art lästiges Anhängsel. Kurz strukturierte die Organisation um und drückte ihr seinen Stempel auf. Dabei legte er mit seiner Arbeit den Grundstein für ein Netzwerk aus Vertrauten, das sich bis heute durch einen extremen Zusammenhalt aufzeichnet. Gefördert wurde der unter anderem auch durch den Widerstand aus der eigenen Partei. Wie 2011, als Kurz Staatssekretär wurde, und sich Teile der ÖVP lautstark darüber entrüsteten. Das habe die Reihen geschlossen, heißt es aus den Kreisen der Damaligen. Gemeinsam eroberte man sich erst die Diskurshoheit, dann die wichtigen Schlüsselpositionen in der Mutterpartei. Da wäre zum Beispiel Elisabeth Köstinger, 38, Generalsekretärin der ÖVP und enge Vertraute Kurz‘. Oder Gernot Blümel, 35, vorheriger Generalsekretär und jetzt Wiener Landeschef.

Sie alle schickten sich an, die Evolution der Partei voranzutreiben. Angefangen mit einer von Blümel initiierten Mitgliederbefragung im Jahr 2011, erarbeitete man unter dem Motto „Zuhören. Verstehen. Umsetzen“ ein neues Grundsatzprogramm, mit dem man die Partei modernisieren wollte. Jünger und weiblicher sollte die ÖVP werden, deren Altersdurchschnitt damals bei rund 60 Jahren lag. Zwei Ziele, die man konsequent umgesetzt hat.
Bei 38 von 39 Fragen holte sich die Partei damals die Rückendeckung von der Basis. Ein Erfolg, vor allem für die Jungen.

Was man lernen kann

Nun hat Kurz beste Chancen, Kanzler zu werden und vielen seiner Getreuen dürfte ein Platz im Parlament gewiss sein. Ein Blick in die JVP zeigt aber auch den programmatischen Wechsel, für den Kurz steht: Eine Politik der Mitte mit Kompromissen nach links, wie sie unter Kurz‘ Vorgänger Mitterlehner üblich war, lehnt man dort ab. Tatsächlich konnte man im Wahlkampf, nachdem Kurz übernommen hatte, bereits eine deutliche Verschiebung nach rechts beobachten. Migration wurde zum Top-Wahlkampfthema; fast täglich übernahm die Liste Kurz irgendwelche FPÖ-Forderungen, eine schwarz-blaue Koalition gilt bei vielen als sehr wahrscheinlich. Die steigenden Umfragewerte waren auch einem zunehmend populistischen Groove geschuldet.
Und doch – man kann von Sebastian Kurz‘ Politik halten, was man will – müssen ihm auch politische Kontrahenten zähneknirschend Kompetenz zugestehen. Er ist dabei, eine Aufgabe anzugehen, an der die Politik zur Zeit weltweit verzweifelt, und zwar, einer alternden Volkspartei wieder politische Relevanz zu verschaffen. Und im Gegensatz zu seinen globalen Kollegen schaut es danach aus, als hätte seine Taktik Erfolg. Deswegen sollten sich alle Parteien, ganz gleich ob rechts oder links, ganz genau die Handlungsweisen der neuen ÖVP anschauen.

Zum einen hat man dort gezeigt, dass auch für die Politik gilt, was im Sport schon lange klar ist: Eine erfolgreiche Jugendarbeit sichert langfristigen Erfolg. Zweitens aber hat die alte Garde den Jungen erlaubt, mit ihrem Drive die verkrusteten Parteistrukturen aufzubrechen. Wer, wie bei den deutschen Volksparteien Usus, stets auf alte Gesichter setzt und den Jungpolitikern einen raschen Aufstieg verwehrt, darf sich nicht darüber wundern, wenn der so laut geforderte politische Wandel ausbleibt.
Gerade die SPD, aber auch die CSU und letztendlich wohl alle Parteien sollten sich fragen, ob sie sich in Österreich nicht einige Anregungen holen können, um die eigenen Reihen zukunftstauglich zu machen, und diese mit ihrer jeweiligen Programmatik anzureichern. Ein guter, auf die Parteijugend fokussierter Ansatz könnte dabei sogar einiges besser machen als die Liste Kurz. Für den Anfang wäre es schon einmal famos, herauszufinden, wie man eine Partei ohne politischen Rechtsruck reformiert.

 

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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