„Der Rösler hat so was in die Richtung gesagt, dass 4 Euro Lohnuntergrenze ausreichen. Das isses. Das schlachten wir aus.“

So oder so ähnlich wird sicher seit jeher in den Wahlkampfzentralen diskutiert. Ebenso trifft es dann Claudia Roth. Oder Peer Steinbrück. Oder die gesamte Linke. Ob’s stimmt oder nicht? Wer weiß es schon. Im schnellen Web bleibt keine Zeit zur Prüfung.

Die deutsche Politik steckt in der digitalen Pubertät. Im Neuland sozusagen. Wer sich mal einen Tag auf Twitter aufhält und die Tweets der Politiker-Accounts liest, der hat das Gefühl, da sitzen Kinder an den Smartphones und wollen einfach mal die Jungs aus der anderen Klasse ärgern. Bei den Piraten sogar die Mitschüler aus der eigenen Klasse. Das Social Web ist ein Abbild der politischen Kommunikationskultur in Deutschland. Den Gegner diskreditieren, um Zahlen feilschen, Erfolge zu den eigenen machen.

Politiker wollen in die Massenmedien

Woran liegt das? Die Politik hierzulande sieht das Web vermutlich immer noch als Brücke hin zu den Massenmedien statt als Spiegelbild der eigenen politischen Kultur. Parlaments-Hinterbänkler suchen die Chance, endlich mal den Weg in die großen Blätter zu schaffen und damit eine öffentliche Stimme zu bekommen. Dass sich Twitter hierfür sehr gut eignet, haben die meisten bereits verstanden. Und so wird der politische Gegner auf ganzer Linie attackiert.

Da werden von Parteitagen gerne mal verkürzte aus dem Zusammenhang gerissene Zitate getwittert – schnell noch den Parteitags-Hashtag dahinter, und evtl. sieht man sich schon morgen bei WELT oder BILD. Die Redaktionen wiederum sind unterbesetzt, Zitate nicht so leicht zu bekommen, politischen Schlagabtausch druckt man gerne. Es braucht in der Twitter-Recherche nicht viel Zeit, um einen Artikel voll und interessant zu machen.








Timeline-Photo der FDP auf Facebook

Und wer angegriffen wird, verteidigt sich. Ist im Web ganz einfach. Also wird das politische Opfer zum Täter. Dreht den Spieß um. Eine Grafik mit ein paar netten Zitaten in falschem Kontext oder einfach nur unglückliche Formulierungen – und fertig ist die digitale Mini-Kampagne. Die Partei-Accounts haben Reichweite, Journalisten sind unter den Followern, über Politik diskutiert man mal ganz gerne. Viralität? Kein Problem. Nur, hat mal jemand gefragt, was dieser Internet-Battle eigentlich bringt?

One-Voice: Vertrauen, soziales Handeln, Menschlichkeit

Vertrauen in die Kandidaten ist für eine Wahl wesentlich entscheidender als Sachthemen. Nach einer Umfrage der GfK 2013 haben nur 16 Prozent der deutschen Bevölkerung Vertrauen in die Politiker. Das ist desaströs. Die ausnahmsweise hohen Vertrauenswerte für Angela Merkel haben wohl nicht wenig zu tun mit ihrer sehr zurückhaltenden öffentlichen Art. Frau Merkel spricht nicht nur nicht schlecht über den politischen Gegner und seine Protagonisten. Sie spricht einfach gar nicht darüber. Sie ist auch nicht auf Twitter. Und so lange der politische Gegner sich so verhält wie aktuell, halte ich das auch nicht für nötig.

In nahezu jedem Unternehmen dieser Welt würde das Verhalten vieler deutscher Politiker im Social Web gegen die eigene Governance – übrigens ein politischer Begriff – verstoßen. Äußerungen zum Wettbewerb sind nicht gewollt. Man will mit einer Stimme sprechen – One Voice – das Messaging ist wichtig. Die Mitarbeiter sollen nicht aus der Reihe tanzen. Es geht um Souveränität, Seriosität, zumindest nach außen auch um Ethik. Nun sind Politiker keine Angestellten ihrer Partei, aber so ein wenig dürfen sie sich schon ein Beispiel nehmen an denen, deren Geschäft es ist, den eigenen Laden ins rechte Licht zu rücken, um mehr zu verkaufen.

Große Unternehmen haben Compliance-Abteilungen, die festlegen, wie das Unternehmen intern und extern handelt. Es gibt HR-Abteilungen, die verantwortlich sind, eine attraktive Arbeitgebermarke zu kreieren. Übersetzt: um evtl. auch mal Parteibeitritte zu forcieren. Ein verrückter Gedanke, ich weiß. Die Kommunikationsabteilung schaut, dass die Reputation nach außen stimmt. Guidelines sollen helfen, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Letztlich ist dies eine Art Wertekanon.

Die Macht der Bilder

Wer nach einem Anschauungsbeispiel politischer Social Media Nutzung sucht, der darf sich – trotz NSA und Prism – ein Beispiel an Barack Obama nehmen. Obama setzt auf die emotionale Karte. Auf Bilder seiner Familie. Den Kontakt mit den Menschen. All die Dinge, die Vertrauen schaffen. Obama ist ein moderner Mensch. Er weiß genau, wie Emotionen binden, wie man positive Energie in Szene setzt. Er braucht kaum Worte. Bilder schaffen mehr Emotionalität. Obama treibt das ganze durch die eigene Ikonisierung durchaus auf die Spitze. An der Stelle sei aber einmal an Brandts Kniefall erinnert. Ikonen kann es auch in Deutschland geben. Es wäre zumindest naheliegend, dass die SPD einer äußerlich eher unemotionalen Kanzlerin in der Inszenierung einen echten Menschen mit Nähe zum Volk entgegensetzt.








Barack Obama im Präsidentenssessel

Mit Blick auf das, was Kommunikation in sozialen Medien auszeichnet, sollte die deutsche Politik endlich darüber nachdenken, wie sie Vertrauen mithilfe digitaler Kommunikation schaffen kann. Da sich unser Wahlkampf ebenso wie die Mediennutzung immer mehr amerikanisiert, scheint Obama durchaus Frontrunner zu sein. Den Trend hin zur Personalisierung und der Wichtigkeit von Vertrauen bestätigt auch diese Analyse. Im übrigen verbleiben Bilder im Netz länger als in jedem anderen Medium. Der CDU-Netzpolitiker Peter Tauber ist in meinen Augen eines der wenigen positiven Beispiele hierzulande.

Also wäre dies meine strategische Empfehlung an die deutsche Politik: Ignoriert doch einfach mal ein Stück weit den politischen Gegner und kommuniziert wenn schon die eigene politische Agenda. Schafft positive emotionale Bilder, die zeigen, wie nah Politik an den Menschen sein kann. Die Begeisterung in den Gesichtern zeigen. Dafür wäre eine innerparteiliche Verständigung auf den Stil im Web mit Blick auf die Ziele nötig. Und eine zentrale Stelle, die den richtigen Content liefert. Ein Teil der Wahlkampfgelder sollte in meinen Augen hier hinein fließen.

Ich bin mir sicher: Allein diese Art des digitalen Wahlkampf würde Aufmerksamkeit erzeugen. Eventuell wäre sie etwas weniger viral. Dafür nachhaltig positiv, weil menschlich.

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Christian Henne

Christian Henne

Christian Henne ist Geschäftsführer der digitalen Strategieberatung HenneDigital in München, die große und mittelständische Unternehmen zu ihren Kunden zählt. Politik ist neben Sport sein persönliches Steckenpferd.