„Das ist dann irgendwann auch mal an ein Ende gekommen, dann muss entschieden werden“, ließ sich FDP-Chef Christian Lindner am Samstag Mittag zitieren. Um Sonntag, 18 Uhr sei Schluss. Punkt. Es dauerte nur kurz, als Horst Seehofer dem in aller Deutlichkeit widersprach: „Morgen um 18 Uhr wird die Veranstaltung nicht beendet sein“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Abend nach den Sondierungen.

Am vermeintlich letzten Tag hakt es also immer noch bei Jamaika, obgleich man schon in vielen Themen einen Konsens gefunden hat, wie zum Beispiel in der Gesundheitspolitik. Was aber sind die Brandherde und warum fällt es den Parteien so schwer, sich dort zu einigen? Wir stellen vier konkrete Themen vor:

Familiennachzug

(Bild: Dragan Tatic / Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres (Arbeitsbesuch Mazedonien) [CC BY 2.0])

Was ist der Knackpunkt?

Wer als Geflüchteter in seiner Heimat nicht persönlich verfolgt wird, aber trotzdem von ernsthaftem Schaden bedroht ist, erhält in Deutschland subsidiären Schutz und damit lediglich eine Aufenthaltsberechtigung. Seit letztem Jahr ist der Familiennachzug für Geflüchtete, die unter subsidiärem Schutz stehen, ausgesetzt. Die Frage, die bei den Sondierungen die Gemüter spaltet, ist: Sollen auch Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz Familiennachzug erhalten? 

Das Thema ist deswegen heikel, das sich nicht empirisch erheben lässt, wie viele Zuwanderer durch den Familiennachzug nach Deutschland kommen könnten. Darum herrscht viel Spekulation. 
Gesetzlich ist jedoch geregelt, dass lediglich Ehepartner und minderjährige Kinder nachgeholt werden dürfen. Erste detaillierte Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ca. 60.000 – 70.000 zusätzlichen Geflüchteten, die durch den Familiennachzug nach Deutschland kommen könnten, sollte dieser wieder für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz gelten. 

Was fordern die Parteien?

Union: Nach langen internen Querelen hatten sich CDU und CSU auf ein Nein zum Familiennachzug als gemeinsame Arbeitsgrundlage geeinigt. Die Abmachung gilt als wichtiger Kitt im fragilen Bündnis und als lang ersehnter Konsens in der Flüchtlingsfrage.

FDP: Die Liberalen stehen ganz bei der Union. „Eine Ausweitung des Familiennachzuges würde die Akzeptanz einer neuen Regierung sofort zunichtemachen.” meint Christian Lindner und will sich auch an die von CDU und CSU als Richtwert titulierte Obergrenze von 200.000 im Jahr halten. Ein von der FDP initiierter Kompromiss schlägt vor, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz für weitere zwei Jahre auszusetzen. In der Zeit könne man ein differenziertes Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen.

Grüne: Die Grünen sehen den Familiennachzug als Kernbereich bei der Verhandlungen (Claudia Roth). Sie argumentieren oft damit, eine intakte Familie sei Grundlage für eine gelingende Integration.Am Sonntag hieß es, man könne sich einen „atmenden” Richtwert von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr vorstellen, aber nur, wenn der Familiennachzug stattfinden dürfe. Einen drastischen Kompromiss bei so einem humanitären Thema würde ihnen ihre Wählerschaft auch Übel nehmen. 

CO2-Ausstoß

(Bild: Kleineolive (Own work) [CC BY 3.0])

Was ist der Knackpunkt?

In der Sache sind sich ja alle einig: Laut Pariser Klimaabkommen soll bis 2030 hierzulande 40 Prozent weniger Kohlendioxid ausgestoßen werden als noch 1990. Doch die Frage nach der Umsetzung spaltet. Vor allem der Kohleausstieg treibt die Parteien um.

Was fordern die Parteien?

FDP: Christian Lindner befürchtet einen Versorgungsausfall, nähme man die Kohlekraftwerke vorschnell vom Netz. Viele Wissenschaftler dementieren das zwar, trotzdem bleibt das für die Partei eine Kernfrage. Außerdem spielt der Emissionshandel eine wichtige Rolle. Der Markt soll das Problem lösen, indem Kohle letztendlich finanziell unattraktiv wird.

Grüne: Für die Umweltpartei steht und fällt mit dem Klimaschutz auch die Glaubwürdigkeit. Nachdem aus Kompromissbereitschaft schon auf eine Dieselsteuer und das Ziel, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, verzichtet wurde, müssen jetzt Erfolge her. Das will die Partei über den Kohleausstieg forcieren.

Union: Auch beim Klimaschutz steht die Union inhaltlich nahe bei der FDP. Für die beiden Parteien, die nach Fukushima den Atomausstieg proklamiert hatten, ist Kohlekraft notwendig. Doch man ist zu Kompromissen bereit: Jüngst bot Angela Merkel den Grünen an, Kohlekraftwerke mit einer Leistung von sieben Gigawatt vom Netz zu nehmen (gefordert waren acht bis zehn). Dafür in Sachen Verkehrspolitik zurückzustecken, waren die Grünen allerdings nicht bereit.

Verkehrswende

(Bild: Andreas Praefcke (Own work) [CC BY 3.0])

Was ist der Knackpunkt?

Ja, auch beim Verkehr hakt es gewaltig. Zentrales Thema ist natürlich der Diesel und wie mit ihm umgegangen werden soll, aber auch die Frage nach dem Antrieb der Zukunft sorgt für Diskussionen. Die Grünen betraten die Sondierungen mit dem Ziel, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Doch wenn es um die Autos geht, verstehen Union und FDP keinen Spaß und so ließen die Grünen nicht nur von dem Vorhaben ab, sondern sich auch noch zu einem weiteren Kompromiss bringen: Den Verzicht auf eine Dieselsteuer.

Was fordern die Parteien?

Das am 15.11. Erschienene 61-Seitige Positionspapier zu den Sondierungen verzeichnet einen großen Dissens beim Verkehrsthema; wer mit welchem Argumenten auf taube Ohren stößt, wird aber nicht ersichtlich.

Grüne: Sie wollen dringend Nachrüstungen an den bestehenden Dieselmotoren. Die Kosten dafür soll die Industrie tragen. Auch die KfZ-Steuer soll so angepasst werden, dass ein finanzieller Anreiz entsteht, emissionsarme Autos zu kaufen. Als Gegenleistung auf den Verzicht einer Dieselsteuer erwartet die Partei Entgegenkommen von den Kontrahenten vor allem in Bezug auf strengere CO2-Werte.

Union: Vor allem die CSU und mit ihr Ex-Verkehrsminister Dobrindt sehen sich im Clinch mit den Forderungen der Grünen. Über ein Ende des Verbrennungsmotors möchte man nicht sprechen. Ebenso Nachrüstungen bestehender Fahrzeuge lehnt die Union ab.

FDP: Auch die FDP übernimmt hier eher die Kontra-Rolle. Zu sehr fürchtet man Einschränkungen in der Mobilität, zu sehr staatlichen Eingriff. Wie anderswo auch setzen die Liberalen lieber auf die heilende Kraft des Marktes.

45 Milliarden

Was ist der Knackpunkt?

45 Milliarden sind das Budget, das der nächsten Bundesregierung wohl an nicht verplanten Mitteln zu Verfügung stehen wird. Klar, dass sich damit alle im Wahlkampf versprochenen, teils sehr ambitionierten Ziele nicht erfüllen lassen. Jetzt heißt es abspecken. Aber wofür würden die Parteien das Geld am liebsten ausgeben?

Was fordern die Parteien?

FDP: Für die Liberalen waren es besonders zwei Themen, die im Wahlkampf viel Gewicht bekamen: Steuersenkungen und Digitalisierung. Vor allem die Abschaffung des Solis wurde für die Lindner-Partei zum Mantra. Laut Süddeutsche Zeitung (Achtung: Paywall) beliefen sich die Kosten dafür aber auf knapp 80 Milliarden Euro. Kann die FDP also eines ihrer zentralen Wahlversprechen gar nicht einhalten?

Union: Auch bei der Union lägen die Wünsche weit über den Möglichkeiten, ließ Fraktionschef Volker Kauder verlauten. Ob eine Investitionsoffensive für den ländlichen Raum, Förderung für Selbstständige oder ebenfalls eine schrittweise Abschaffung des Solis bis 2020, alle diese Ziele beißen sich mit dem selbst auferlegten Verbot, die Steuern zu erhöhen.

Grüne: Den Grünen geht es natürlich vor allem um Tier- und Klimaschutz. Sie wollen an dem  Versprechen aus dem Klimaabkommen festhalten, bis 2030 den CO2-Ausstoß auf ein Level zu bringen, dass das von 1990 um 40 Prozent unterschreitet. Das wird vor allem eins: Teuer. Dann geht es um Subventionen, finanzielle Anreize, Auflagen für die Industrie.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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