Die Ehe für alle, die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der zivilen Ehe, ist in vielen Ländern kein politisches Schlagwort mehr, sondern Realität.
Die Niederlande gingen 2001 als erstes europäisches Land vorraus. Das erzkatholische Irland, welches auf der anderen Seite das strengste Abtreibungsgesetz Europas erzwang, öffnete im November 2015 ebenfalls die Ehe. Die SPD versuchte nun im wohl letzten relevanten Koalitionsgipfel vor der Bundestagswahl im Herbst die „Ehe für alle“ durchzusetzen. Mit ihrem „Nein“ macht die Union dies nun zum Wahlthema der Sozialdemokraten.
Brasilien und Mexiko offen, Deutschland noch nicht
Heiraten ist in 17 Staaten weltweit zwei Menschen unabhängig ihres Geschlechts möglich. In Europa ist die homosexuelle Verbindung in Belgien, Finnland, Frankreich, Irland, Island, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Schweden und Spanien der Ehe gleichwertig.
Die Iren haben Volksentscheid, Deutschland hat „Bauchgefühl“ #Merkel #Ehefueralle #BuildingBridges pic.twitter.com/j7aGXAy3U5
— Piroska (@_Piroska) 26. Mai 2015
Interkontinental schließen sich Argentinien, Brasilien, Kanada, Kolumbien, Südafrika, die USA und Uruguay an. Dazu kommen Staaten, in denen die Ehe in verschiedenen Gebieten für alle Menschen offen ist, wie eben im europäischen Teil der Niederlande, Dänemark, Mexiko, Neuseeland, und in Wales und Schottland im Vereinigten Königreich.
Gleiche Pflichten, weniger Rechte
Die eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland stattet zwei Menschen mit den selben Pflichten der Ehe aus, aber nicht den gleichen Rechten aus. Beispielsweise gibt es hier massive Unterschiede zum Nachteil der Lebenspartnerschaft beim Adoptions-, Steuer- und Erbrecht. Nur, wenn sich ein Partner in einer heterosexuell geschlossenen Ehe als transsexuell outet und sein Geschlecht offiziell ändert, bleibt die Ehe nach deutschem Recht bestehen, auch, wenn die Partner nun das gleich Geschlecht haben.
Merkels Bauchgefühl vs. Moderne Gesellschaft
Angela Merkel machte mit ihrer Bemerkung Schlagzeilen, dass ihr Bauchgefühl ihr sage, dass die Ehe zwischen Mann und Frau etwas anderes sei, als zwischen Partnern des gleichen Geschlechts. In der Union ist die Meinung dazu umstritten, offiziell spricht man sich jedoch dagegen aus.
Merkel über zunehmende Homophobie beunruhigt – Bauchgefühl bleibt. https://t.co/iwPtzmQaC1 pic.twitter.com/cItn8KwuXA
— queer.de (@queer_de) 16. Juni 2016
Grüne, Linke und FDP wollen die Öffnung der zivilen Ehe für alle. Am 22. März 2013 forderte der Bundesrat mit den Stimmen der SPD-regierten Länder die Gleichstellung, indem man die Ehe folgendermaßen gesetzlich definiere: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“
Es ist genug #Ehefueralle da. @spdbt, traut euch endlich statt nur zu reden! @GoeringEckardt pic.twitter.com/upt1VFKlMv
— Renate Künast (@RenateKuenast) 29. März 2017
Auch die SPD machte 2013 Wahlkampf mit dem Slogan „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“. Doch an diesem Punkt konnte sie im Koalitionsvertrag mit der Union nicht festalten.
Taumelnde SPD
Auf eine Anfrage der Grünen an das, unter Heiko Maas stehende, Bundesjustizministerium zur Öffnung der Ehe, gab dieses folgende Erklärung ab:
„Mit Blick auf die einschlägige ständige Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts […] würde eine Öffnung der Ehe für Paare gleichen Geschlechts eine Änderung des Grundgesetzes (Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes) voraussetzen.“ In Artikel 6 heißt es wörtlich: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“
Nach anhaltener Kritik relativierte Maas diese Äußerungen auf Facebook und schrieb: „Da es heute ‚Interpretationsversuche‘ zu diesem Thema gab hier gerne nochmal deutlich: Die vollständige Öffnung der Ehe für Paare gleichen Geschlechts ist und bleibt unsere Position. Eine Grundgesetz-Änderung ist dafür nicht zwingend. Zur Wahrheit gehört aber auch: In der Koalition mit CDU/CSU ist eine vollständige Gleichstellung leider nur schwer realisierbar. Es sollte aber keinen Zweifel geben: Wir kämpfen weiter dafür.“
Rückkrad pünktlich zum Wahlkampf?
Zeitlich optimal zum Wahlkampf hat die SPD um ihren Kandidaten Martin Schulz auch die „Ehe für alle“ wieder für sich entdeckt. Nachdem diese in den letzten Jahren unter den Tisch gerutscht war, will man sich kurz vor der Wahl eindeutig positionieren. Nach dem letzten Koalitionsgipfel machte Thomas Oppermann klar, dass man zwar für dieses Thema gekämpft hatte, es mit der Union aber nicht durchzusetzen sei.
Ehe für alle nur mit r2g
Irgendwie ist klar: Solange die Union regiert, wird es keine Öffnung der zivilen Ehe geben. Die SPD muss also Senior-Partner der künftigen Regierung werden. R2G ist bisher das einzige Mittel um diese wichtige, gesellschaftliche Erneuerung durchzusetzen. Die SPD zeigt sich also einerseits nicht durchsetzungsfähig gegenüber der Union, zwingt dem Wähler andererseits bereits ein links grünen Bündnis auf, wenn die Sozialdemokraten erfolgreich für die Homo-Ehe kämpfen sollen.
Die letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Sozialdemokraten hauptsächlich eines wollen: regieren. Dass man sich dennoch mit einer Partei verbündet hat, die sich regelmäßig offen gegen die Ehe-Öffnung ausspricht, zeigt, dass das Thema nicht als relevant genug erachtet wird, um dafür notfalls auf Macht zu verzichten, anstatt ein Bündnis zu schließen.
Wenn es aber um den Wahlkampf gegen CDU/CSU geht, wird das Recht auf Heirat zum Spielball der regierenden Parteien. Würde es anders sein, müsste die SPD eine künftige Regierung mit der Union kategorisch ausschließen.
Kalkül auf Kosten von Familien
Das ganze wäre nicht so dramatisch, wenn es nicht um ein relevantes, soziales Thema gehen würde. Schließlich geht um reale Familien und Beziehungen, die nicht den staatlichen Rückhalt finden, weil sie nicht dem altmodischen Familienbild der CDU/CSU-Fraktion entsprechen.
Trau Dich, SPD! Lass uns die #EheFürAlle noch vor der Sommerpause durchsetzen. pic.twitter.com/Kanq4d8nX9
— Volker Beck (@Volker_Beck) 30. März 2017
Helena Serbent
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