Über 120 Tage nach der Bundestagswahl kommt es endlich zu Koalitionsverhandlungen, nun beginnt das Ringen um die Durchsetzung der eigenen Inhalte. In den Sondierungungen zeigte sich bereits, welchen Themen die Parteien eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen werden, einiges gilt bereits als abgemacht. Eine Obergrenze für Zuwanderer, eine etwas sozialere Krankenversicherung, ein stabiles Rentenniveau und die „schwarze Null“, das waren die Ausrufezeichen, mit denen die Sondierer zur Basis zurückkehrten. Nun wollen SPD und Union möglichst schnell vom Verhandlungstisch ins Kabinett, noch vor Karneval und am besten schon bis am 4. Februar will man mit den Koalitionsgesprächen endlich durch sein. Um einen Koalitionsvertrag zu schreiben, der  das ausschließt, was angeblich keiner sein will, nämlich die genaue Fortsetzung der letzten Legislaturperiode, müssen sich die Bald-Regierenden aber auch mit jenen Baustellen befassen, die es nicht immer auf die Titelseiten schaffen. Reden wir doch einmal über das Diesel-Privileg.

(Tankstellenpreise Diesel und Super. Bild: Ra Boe / Wikipedia / , via Wikimedia Commons)

Was ist das Diesel-Privileg?

Es ist kein deutsches Phänomen, dass Diesel-Fahrer so viel günstiger tanken als ihre Benziner-Kollegen. Wer die innereuropäischen Tankstellenpreise vergleicht, dem fällt auf, dass auch der Franzose, der Italiener oder der Kroate ein paar Groschen mehr hinlegen muss, um seinen Ottomotor zu füttern. Das liegt an der steuerlichen Sonderstellung für Dieselkraftstoff. Allerdings ist die Differenz hierzulande größer als bei unseren meisten europäischen Kollegen. So fallen für den Liter Benzin 65,45 Cent Energiesteuern an, während es beim Diesel nur 47,04 Cent sind, immerhin gute 18 Cent pro Liter. Woher aber kommt dieses Steuerprivileg?

Die Grundlage für die Antwort auf diese Frage legte die EU in den 1990er Jahren. Dort beschloss man die einheitliche Anpassung von Mineralölpreisen zwischen den Mitgliedstaaten. In einer Richtlinie von 2003 hieß es dann: „Für Dieselkraftstoffe […] ist die Möglichkeit einer besonderen steuerlichen Behandlung […] vorzusehen, um die Wettbewerbsverzerrungen in Grenzen zu halten, denen die Wirtschaftsbeteiligten ausgesetzt sein könnten.”

Wettbewerbsverzerrung? Der Hintergund ist der, dass Diesel früher vor allem im Waren- und Güterverkehr eingesetzt wurde. Hohe Dieselkosten bedeuteten also gleich hohe Herstellungskosten. Die Politik entschied sich dazu, den Diesel zwar steuerlich zu bevorteilen, generell aber die Steuern für Mineralöle anzuheben. So erhoffte man sich einerseits, eine Wettbewerbsverzerrung zwischen den Industrien zu verhindern; zum anderen, mutmaßte man, würden die steigenden Kraftstoffpreise dazu führen, dass ein größerer Teil des Verkehrs auf das strombetriebene Schienennetz umgeleitet werden würde, wodurch man sich insgesamt geringere Emissionen versprach.

Passiert ist das Gegenteil: Man versäumte es, die Vergünstigungen auf die gewerbliche Ebene zu beschränken und der Diesel wurden plötzlich auch für den Endverbraucher deutlich attraktiver. So stieg die Anzahl an produzierten Diesel-PKWs von rund 660.000 im Jahr 1990 auf über 2,6 Millionen in 2008 an. Damit gerieten nicht nur die Hersteller von Ottomotoren in Zugzwang, zumindest teilweise auf Diesel umzusatteln; auch die Emissionswerte gingen steil nach oben.

Wo liegt das Problem?

(Extremes Beispiel von Dieselruß. Bild: EPA [Umweltschutzbehörde der USA], via Wikimedia Commons)

Der Diesel behindert die Energiewende. Das behauptet zumindest Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn wer den Ausbau von erneuerbaren Energien fördern wolle, könne nicht fossile Kraftstoffe wie den Diesel subventionieren. Anders als die Landwirtschaft hat der Verkehrssektor seit 1990 kaum Emissionen gesenkt, was Kemfert auch auf die staatliche Förderung zurückführt.

Um zu zeigen, wie die Industrie auch die Innovationsbestrebungen anderer Branchen beeinträchtigt, verweist die Wirtschaftsexpertin auf den Stromsektor. Hier zeige sich eigentlich eine positive Entwicklung, nämlich dass Strom  immer grüner werde. Durch staatliche Abgaben und Umlagen würden die Strompreise aber auch immer steiler steigen, während klimaschädliche Energieträger wie Benzin, Diesel, Heizöl und auch Erdgas günstig bleiben.

Wird hier also Fortschritt staatlich verteuert, während Rückschritt gefördert wird? So einfach kann man es sich nicht machen. Allerdings zeigen sich Tendenzen, was eine ungleiche Behandlung der Strom- und Verkehrsbranche von Seiten des Staates angeht. Claudia Kemfert sieht die Notwendigkeit, dass Verkehrs- und den Energiesektor zusammenarbeiten, um eine erfolgreiche Energiewende zu gewährleisten. Als ersten notwendigen Schritt nennt sie die Abschaffung des Diesel-Privilegs. Denn das sei nicht nur rückständig, sondern koste bares Geld.

Was kostet der Diesel den Staat?

Die Auswirkungen von Diesel auf Gesundheit und Umwelt sind ebenso groß wie die des Kraftstoffs Benzin. Insofern stellt sich die Frage, weshalb der eine gegenüber dem anderen privilegiert wird.

– Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshof im Gespräch mit der Tagesschau

Dass man für den Diesel nicht mehr aus Klimaschutzgründen argumentieren kann, ist seit der Abgas-Affäre klar. Was spricht noch gegen den Steuervorteil, den der Kraftstoff zur Zeit genießt? Er kostet den Staat 9,5 Milliarden Euro. Diese Zahl geht aus einem Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) hervor, dessen Aufgabe es ist, die Haushaltsführung der Bundesregierung zu untersuchen und gegebenenfalls zu beanstanden. Laut BRH könnte die Bundesregierung mit rund neuneinhalb Milliarden Euro rechnen, falls sie das Diesel-Privileg annulieren würde. Davon würden sich acht Milliarden aus den Mehreinnahmen der Energiesteuer ergeben, auf die sich die Vergünstigung bezieht. Eineinhalb Milliarden könnten sich zusätzlich aus der Umsatzsteuer ergeben, die auf den Verkaufspreis an der Tankstelle erhoben wird.
Man muss dazu sagen, dass die konkreten potenziellen Mehreinnahmen, die eine Gleichstellung von Diesel und Benzin bringen würde, schwer festzustellen sind, da diese auch mit bestimmten Mindereinnahmen beispielsweise aus der Kfz-Steuer verbunden wäre. Es handelt sich jedoch definitiv um Beträge im oberen einstelligen Milliardenbereich.

Was sagt die Bundesregierung?

Warum nicht einfach die Subventionen streichen? Die Jamaika-Sondierungen haben gezeigt, dass ein Haushalts-Budget zur freien Verfügung von 45 Milliarden zu wenig sind, um die ambitionierten Ziele aller Partner umzusetzen. Auch die schwarz-roten Koalitionäre werden finanziell bedingt einige Abstriche machen müssen. Die Mehreinnahmen durch die Abschaffung der Steuervergünstigung könnte hier mehr Spielräume verschaffen. Doch es ist etwas komplizierter.

Die Regierung ist dazu verpflichtet, alle Subventionen in einem Subventionsbericht festzuhalten. Dazu gehören auch steuerliche Bevorteilungen. Wer dort nach staatlicher Unterstützung für Dieselkraftstoffe sucht, wird allerdings nichts finden. Das liegt daran, dass die Regierung eine „generelle steuerliche Bevorteilung“ für Dieselkraftstoff als nicht gegeben sieht. Denn den geringeren Abgaben bei der Energiesteuer stehen höhere Kfz-Steuersätze für PKW mit Dieselmotoren gegenüber. Einen „Pauschalen Belastungsausgleich“ nennt das der Gesetzgeber.

De facto gibt es also gar kein Diesel-Privileg, denn wer günstiger tankt, zahlt am Ende mehr Steuern auf sein Auto. Solche Töne finden sich auch in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion von 2017. Hier rechnet der Staat die Kostendifferenz, die sich für den Endverbraucher ergibt, selbst vor. Bei einer durchschnittlichen Leistung von 15.000 Kilometer im Jahr ergibt sich ein Kostenunterschied von 276,14 Euro, den die Dieselfahrer an der Tankstelle durch die niedrigere Energiesteuer einsparen. Ob die zu bezahlende Kfz-Steuer diesen Betrag deckelt, hängt von diversen Kriterien wie Hubraum, Schadstoff-Emissionen, Alter des Autos etc. ab. Laut Handelsblatt zeigt sich jedoch: Wer im Jahr 15.000 Kilometer oder mehr fährt, ist als Dieselfahrer fast immer im Plus. Kann man nun von einem Steuerprivileg sprechen oder nicht?

Was sagen die Parteien?

Die Lage ist alles andere als eindeutig. Um ein paar mehr Argumente zu bekommen, hat Wahl.de  die verschiedenen verkehrspolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Gründen für bzw. gegen die Abschaffung des Diesel-Privilegs gefragt. Bei FDP und AfD wurde die Frage je einem verkehrspolitischen Sprecher eines Landtages gestellt. Leider standen nicht alle Parteien für ein Statement zur Verfügung. Eventuelle verspätete Antworten werden nachgetragen.

CDU (Ulrich Lange): keine Antwort

SPD (Kirsten Lühmann): Die Bundestagsfraktion der SPD entschuldigt sich für das Ausbleiben einer Antwort und verweist auf die laufenden Koalitionsverhandlungen. Ein Statement nach abgeschlossenem Koalitionsvertrag sei möglich.

Die Grünen (Stephan Kühn): „Die Förderung der Elektromobilität verkünden, aber die milliardenschweren Diesel-Subventionen beibehalten – das passt nicht zusammen. Die heutige Kraftstoffbesteuerung setzt falsche Marktanreize und blockiert damit dem Umstieg auf emissionsfreie Antriebe. Wer es mit Klimaschutz und Luftreinhaltung ernst meint, muss die Kraftstoffe nach ihrer Klimawirkung besteuern.“

Die Linke (Sabine Leidig): „Die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff gegenüber Benzin muss abgebaut werden, die Steuersätze sollten angeglichen werden. Im Gegenzug wird die Kfz-Steuer für Pkw so reformiert, dass auch hier eine Angleichung erfolgt. Dies hat DIE LINKE im Bundestag bei den letzten Haushaltsberatungen beantragt. Ältere Diesel-Fahrzeuge belasten Umwelt und Menschen deutlich stärker mit Schadstoffen als Benziner. Und bei den neueren Fahrzeugen muss erst nachgewiesen werden, dass diese die Grenzwerte insbesondere für Stickstoffdioxid (die über denen für Benziner liegen) tatsächlich einhalten, wie der VW-Skandal zeigt. Das Umweltbundesamt gibt die Mehreinnahmen aus der Abschaffung dieser Begünstigung für das Jahr 2010 mit rd. 7 Mrd. € an.“

FDP (Oliver Luksic, Landtag BaWü): keine Antwort

AfD (Frank Scholtysek, Abgeordnetenhaus Berlin): keine Antwort

 

 

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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