Einen Filter für seine Filterblase wünschte sich der politaffine Blogger und Digitalunternehmer Nico Lumma vor wenigen Tagen. Ein berechtigter Wunsch, hat man doch zunehmend das Gefühl, dass die eigenen Newsfeeds immer mehr zu Endlosschleifen der Nörgelei und politischen mutieren – und damit zuweilen wie ein sich links fühlender Bild-Populismus daher kommen. Die Twitter-APO: Immer gegen „Die da oben“ polemisierend. Gegen die feinen Herren in ihren Polit-Ufos. Ermüdend, weil so vorhersehbar deshalb auch die Proteste und Rants gegen die digitale Agenda der neuen Bundesregierung und des neu formierten Parlaments. Wer aber genau hinsieht und Realismus walten lässt, erkennt: Was die Politik auf der digitalen Agenda hat, ist durchaus vielversprechend.

Mit der Verkündigung, Alexander Dobrindt werde neuer Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, brach letzte Woche die erste große Welle der Empörung durchs Netz. Zugegebenermaßen: Der sonst um große Auffälligkeit bemühte Alexander Dobrindt ist im digitalen Bereich bisher vor allem durch eines aufgefallen: Maximale Unauffälligkeit. Keine Twitter-Präsenz, eine verwaiste Facebook-Seite. Das reichte aus, um das Netz in Wallung zu bringen. Die klassischen Medien nahmen die Welle der digitalen Entrüstung dankbar auf und surften das Thema mit großer Freude: „Digitale Infrastruktur? Gibt’s doch gar nicht! Datenautobahn? Hat der Verkehrsminister und Internetminister in spe wohl nicht kapiert!“

Bild: Martin Rulsch, Wikimedia CommonsCC-by-sa 3.0/de

Das ist in doppelter Hinsicht falsch: Erstens ist es gar nicht so dumm, die Logistik für breitbandige Glasfasertechnologien oder den Aufbau von Serverfarmen im Logistikressort Verkehr anzusiedeln. Das sind große und wichtige Themen, schließlich klafft in Deutschland eine gigantische Gerechtigkeitslücke durch digitale Chancenungleichheit: In vielen ländlichen Räumen leben viele Millionen Deutsche in digitalem Analphabetismus, da es dort schlicht keine Breitbandverbindungen gibt. Diese Menschen sind digital und damit sozial abgehängt. Dieses politische Problem muss nun richtigerweise in Dobrindts Logistikressort gelöst werden. Kümmern wird sich darum übrigens seine Staatssekretärin Dorothee Bär, die über politische Lager hinweg für ihren passionierten Einsatz für netzpolitische Themen geschätzt wird. Obschon Dobrindt bislang nicht als Digital Native aufgefallen ist, so beweist er mit dieser klugen Personalie doch, dass er die digitale Agenda begreift.

Falsch ist auch die zweite im Netz geschürte Behauptung, Dobrindt sei Internetminister. Einen Internetminister gibt es nicht. Zum Glück – sagen übrigens auch die meisten netzpolitisch Engagierten seit eh und je, schließlich lässt sich die digitale Agenda nicht in einem Ressort verorten. Politik und Digital müssen immer im Querschnitt, also gesamtgesellschaftlich und ressortübergreifend gedacht werden: Breitbandausbau bei Dobrindt und Bär, digitale Spionage im Kanzleramt (N.N.), E-Government und Open Data bei De Maizière im Innenressort, digitale Wirtschaft bei Gabriel und seiner Staatssekretärin Zypries. Die Große Koalition hat mit ihrer Ressortaufteilung und Personalpolitik das Feld so bestellt, dass die großen digitalen Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst werden können. Man darf im positiven Sinne darauf gespannt sein, was die neue Regierung liefern wird.

Die bedeutendste netzpolitische Errungenschaft aber verkündete der Bundestag in dieser Woche: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird es einen Hauptausschuss für Internet und digitale Agenda geben. Was selbst kritische Geister wie Markus Beckedahl von Netzpolitik.org nur positiv bewerten können: „Mit dem Schritt verlässt Netzpolitik endgültig das Kellerloch und gewinnt die notwendige und angemessene politische Relevanz“. Die digitale Agenda in der deutschen Politik ist noch nicht reif für die Champions League – aber der Aufstieg in die erste Liga ist ihr mit den jüngsten Ergebnissen mit Sicherheit nicht mehr zu nehmen.

Der Beitrag erschien ebenfalls im Blog Konstruktives Misstrauensvotum

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Philip Husemann

Philip Husemann

Philip Husemann ist Gründer des Blogs „Konstruktives Misstrauensvotum“. Hier schreibt er über den digitalen Wandel in Politik, Medien und Gesellschaft. Nicht nur privat als Blogger, sondern auch beruflich beschäftigt er sich mit der digitalen politischen Kommunikation. Philip Husemann arbeitet als Berater bei Scholz & Friends Agenda.
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