Recht hat er, der Herr Richel. Auch wenn Matthias Richel Online-Wahlkämpfer der SPD ist und seine Kritik an den Kritikern folglich wenig überrascht, ist sie im Kern doch absolut berechtigt. Es fällt auf, dass die schärfsten Kritiker den Parteien im digitalen Wahlkampf Oberflächlichkeit und Ahnungslosigkeit vorwerfen – ironischerweise aber in ihrer Kritik ebenso vorgehen:

Oberflächlich und ahnungslos.

Fast schon ermüdend sind die so wenig aussagekräftigen, quantitativen Vergleiche und die daraus gezogenen qualitativen Schlussfolgerungen: Steinbrück habe ja gerade mal 50.000 Fans bei Facebook, Merkel hingegen 300.000 und sei damit haushoch überlegen. Hmm. Wer sich einmal die Mühe macht, die beiden Fanpages mit einem Fanpage-Radar zu analysieren, stellt fest: Die Facebook-Seite von Steinbrück wächst just in Wahlkampfzeiten dramatisch, während die von der Bundeskanzlerin stagniert; Interaktion in der heißen Wahlkampfphase findet auf der Steinbrück-Seite statt, nicht bei Merkel. Klare Gewinnerin bei Facebook Angela Merkel? Der Schein trügt.

Das Verhältnis von Quantität und Qualität ist gerade im Digitalen oft komplizierter als es auf den ersten, oberflächlichen Blick erscheint: Dass Fanzahlen, die Follower-Anzahl, Clicks und Unique Visitors nicht das Maß aller Dinge sein müssen, zeigen Wahlkampf-Meme, die aktuell den Wahlkampf aufmischen. Der Tumblr #pofallaendetdinge oder der vorzügliche Tumblr „Peer Steinbrück Skandale“ haben vermutlich nur ein paar hundert, vielleicht tausend Follower bei Tumblr. Sind sie deshalb wertlos? Wohl kaum. Über Steinbrücks Tumblr berichtete unter anderem der Focus in seiner Print-Version, über den Pofalla-Tumblr gefühlt die ganze Welt. Alle Wahlkampflager schaffen es – teilweise im Minutentakt – Themen in eben den Kanälen zu platzieren, wo sich Kreativität wie ein Lauffeuer über Millionen potentielle Multiplikatoren verbreitet. So landen kreative Meme (Merkel-Raute, Ude hält..” uvm.) in Zeiten des Wahlkampfs via Facebook und Twitter binnen Minuten in den Newsrooms der Medienmacher. Über die Qualität von Memen in der politischen Kommunikation lässt sich bekanntlich streiten. Ihr Einfluss auf die Berichterstattung hingegen ist nicht zu unterschätzen. Das Deppen-Image in der NSA-Affäre verdankt Pofalla nicht zuletzt den fleissigen Onlinern der Oppositionsparteien, die solche auf den Elfmeterpunkt gelegten Bälle problemlos verwandeln und im Netz zappeln lassen.

Qualitativ überzeugen auch diverse Online-Wahlkampf-Plattformen der Parteien: Die Mitmach-Plattformen von SPD und CDU sind klar strukturiert und erfüllen ihren Zweck: Sie binden die Wahlkämpfer an die Kampagne und sind ein wichtiger logistischer Anker. Mit #bewegungsjetzt hat Rot/Grün zudem eine überzeugende digitale Plattform für eine neue rot-grüne Bewegung etabliert. Kritiker mögen hier wieder einwenden:

„Na, aber die erreichen doch gerade mal 10.000 Leute!“.

Really? Dann schaut mal in den Pressespiegel, liebe Kritiker.  

Die Liste, was gut läuft im Online-Wahlkampf der Parteien, ließe sich an dieser Stelle lange weiterführen: Starke Aktivitäten aller Parteien bei dem TV-Duell, minütliche Mobilisierungsmaßnahmen über alle Kanäle, gute Online-Auftritte der Spitzenkandidaten, hier vor allem die sehr gut gemachte neue Microsite von Angela Merkel unter www.angela-merkel.de. Der Launch der Seite ging für Merkel übrgiens gut in die Hose, da plötzlich die fast identische URL www.angelamerkel.de auf die Website der SPD umleitete. Damit hatte die SPD zwar nichts zu tun, sie verwandelte aber natürlich auch diesen Elfer und streute das URL-Gate über sämtliche soziale Medien. Die klassischen Medien schrieben logischerweise nicht mehr über Merkels schicke, neue Page sondern über die erstaunliche Verlinkung von www.angelamerkel.de.

Natürlich kann vieles noch besser werden. Vor allem die Beteiligung bzw. Mobilisierung der Wähler lässt noch zu wünschen übrig. Aber bitte, liebe Kritiker, verschont uns mit den ständigen „Obama hat aber 2008 schon…“ Vergleichen. Bei denen verhält es sich wie mit den sprichwörtlichen Äpfeln und Birnen bzw. der erwähnten Quantität und Qualität: Quantität ist nicht gleich Qualität. Obama ist nicht gleich Merkel. Obama ist nicht gleich Steinbrück.

Der Online-Wahlkampf zwischen den Lagern geht gut ab. Er ist schlagkräftig und oft kreativ. Und er macht Spaß. Weiter so, SPD, Union, FDP, Grüne, Linke usw.!

Dies Artikel erschien ebenfalls auf: http://misstrauensvotum.tumblr.com/

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Philip Husemann

Philip Husemann

Philip Husemann ist Gründer des Blogs „Konstruktives Misstrauensvotum“. Hier schreibt er über den digitalen Wandel in Politik, Medien und Gesellschaft. Nicht nur privat als Blogger, sondern auch beruflich beschäftigt er sich mit der digitalen politischen Kommunikation. Philip Husemann arbeitet als Berater bei Scholz & Friends Agenda.
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