Die große Stunde der Nicht-Wähler und Politikverdrossenen hat geschlagen. Noch nie haben sie so viel Unterstützung, Zulauf und mediale Beachtung erhalten wie in diesem Wahlkampf. Überall wird auf „die da oben“ geschimpft, die ja alle von links bis rechts gleich verdorben seien – diese korrumpierte und korrupte Klasse von Faulenzern und Inkompetenten, die in ihrem Regierungs-Ufos über den Köpfen der „normale Leud“ herumschweben und den Bezug zum realen Leben längst verloren haben. Und Inhalte? Ach was, alle gleich, diese Parteien. Inhaltslos oder inhaltlich angepasst bis zum geht nicht mehr. Dass die AfD in dieser Stimmung reüssiert und große Chancen auf den Einzug ins Parlament hat, ist das erwartbare Produkt dieser Stimmungslage.
Das ist zunächst mal kein gänzlich neues Phänomen. Erfolgreiche Protestparteien gab es immer schon. Und jeder kennt das Stammtischgetöse aus der Eckkneipe seines Vertrauens. Diese typischen Phrasen, die man meist mit einem Schmunzeln abtut und mit einem kräftigen Schluck aus dem Bierglas herunterschluckt.
CC BY Alexander Hauk / www.alexander-hauk.de.
Dieses Jahr fällt es weniger leicht, die Phrasen einfach so runterzuschlucken und als Einzelstimmungen abzutun. Nicht nur wegen des sich anbahnenden Erfolges einer rechtspopulistischen Partei. Sondern auch, weil solche Aussagen zunehmend von Intellektuellen und medialen Meinungsmachern zu Vernehmen sind und somit längst im bürgerlichen Mainstream der Mittelschicht angekommen sind. Ein Sozialpsychologe, der in der 3Sat-Kulturzeit erklärt, warum es völlig okay sei, nicht zur Wahl zu gehen. Der hochgeschätzte Harald Martenstein, der in seiner neuen Kolumne die von ihm gewählte Partei kritisiert, die vier Jahre lang ununterbrochen Dinge tue, die ihn ärgern. Ein Richard David Precht, der sich in den Talkshows der Republik vor Millionenpublikum rühmt, nicht wählen zu gehen – und zu selbigem Verhalten aufruft. Peter Slotterdijk und viele mehr stimmen lustvoll in diesen intellektuellen Chor der bürgerlichen Politikverdrossenheit ein.
Steht es so schlecht um Deutschland und seine politische Klasse? Jein. Nils Minkmar von der F.A.Z. hat in einem kongenialen Beitrag die bedenkliche gesellschaftliche Stimmungslage in Deutschland auf den Punkt gebracht und zu Recht auch die Politiker und ihre oft zu einfalllosen Politikentwürfe und Angebote kritisiert. Kritisiert hat er aber auch die lethargischen Bürger, die auf Distanz zur res publica gehen, weil sie sich angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben zunehmend überfordert fühlen.
Es ist bedenklich, dass sich eine Vielzahl an Intellektuellen und Meinungsmachern diese schwierige Stimmungslage zunutze macht, gesellschaftliche Apathie schürt und stillschweigend bis offensiv Verständnis für das Nicht-Wählen zeigt. Die Alternative für Deutschland ist eben nicht die politische Alternative im angeblich so alternativlosen und austauschbaren Parteien-Portfolio in Deutschland: Wem Ökologie und Nachhaltigkeit wichtig sind, wählt die Grünen. Wer Mindestlohn und mehr sozialen Ausgleich will, wählt die SPD. Wer Betreuungsgeld und konservative Werte fordert, wählt CDU/CSU. Und wer mehr Markt und weniger Staat will, wählt die FDP – wer das genaue Gegenteil befürwortet, wählt die Linke usw. Hinter politischen Haltungen stehen klare politische Inhalte und Forderungen. Nachzulesen in den Wahlprogrammen der Parteien, die via Google in einer halben Minute abrufbar sind. Es gibt viel zu tun – auch durch bürgerschaftliches Engagement und politische Partizipation der Bürger. Hören wir endlich auf zu jammern, zeigen wir ein bisschen weniger Lethargie und dafür mehr Respekt für und Demut vor dem Wahlrecht. Und packen wir es an: Erst das Wählen, dann die gesellschaftlichen Veränderungen.
Oder um es mit dem leidenschaftlichen Wähler und Wahlkämpfer Frank Stauss zu sagen:
„Benennen wir die Wahlverweigerer so, wie sie es verdient haben. In der Tagesschau heißt es dann: ‚Die Wahlbeteiligung sank auf 68,8 Prozent, was Experten auf faule Säcke, wandelnde Hirntote, verwöhnte Bälger und Volldeppen zurückführen’.“
Philip Husemann
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