Deutschland – Land der Nichtwähler? Dieser Eindruck könnte entstehen, schaut man sich die Wahlstatistiken der vergangenen Jahre an. Auf Bundesebene ist die Wahlbeteiligung seit den 1970er Jahren um über 20 Prozent zurückgegangen. In den Bundesländern sieht die Situation noch schlechter aus, von den Kommunen ganz zu schweigen. Nun kann man sagen: Alles halb so wild. Fehlende Wahlbeteiligung ist ein Ausdruck der stillen Zustimmung zum politischen System. Die Wirtschaft läuft, uns geht es gut. Warum dann also die Kosten aufbringen, um zur Wahlurne zu gehen? Man kann die Sache natürlich auch als Alarmsignal verstehen. Nach dem Motto: Die derzeitigen Nichtwählerzahlen sind Ausdruck einer tiefen Krise unserer repräsentativen Demokratie. Sie braucht dringend eine Frischzellenkur.

Ansätze, die Wahlbeteiligung zu heben, gibt es viele. Einer der radikaleren Vorschläge kommt nun von Martin Speer und Immanuel Herr – formuliert in einem Beitrag für Zeit Online. Ihr Vorschlag: Wahlpflicht für Deutschland! Jeder wahlberechtigte Bundesbürger soll wählen gehen müssen. Findet man nicht den Weg ins Wahllokal, droht eine Geldstrafe. Allerdings: Auf dem Wahlzettel soll es fairerweise eine Option geben, die es erlaubt, keine der Parteien zu wählen, sich also offiziell zu enthalten.

Bild: Alexander Hauk / www.alexander-hauk.de

Was spricht für, was spricht gegen eine Wahlpflicht in Deutschland?

Pro

  • Die Wahlbeteiligung kann deutlich gesteigert werden. Länder mit Wahlpflicht wie Australien, Belgien oder Österreich zeigen: Die Wahlbeteiligung liegt dort  auf einem deutlich höheren Niveau als in Deutschland.
  • Bürger müssen gezwungen werden, sich mit der Zukunft unseres Landes zu befassen. Das ist ihre staatsbürgerliche Pflicht. So wie es zur Aufgabe gehört, unser Gemeinwesen finanziell über Steuern zu stützen, so ist es auch notwendig, es demokratisch-ideell zu beleben.

Contra

  • Typisch deutsch. Pflicht und Zwang statt Laissez-Faire. Auch wenn es schwerfällt: Wir Deutschen müssen lernen, dass man gewisse Dinge nicht erzwingen kann. Die Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit zur Abstinenz. Alles andere wäre totalitär.
  • Nach Einführung der Wahlpflicht würden mehr Menschen zur Wahl gehen. Fein. Aber täten sie das mit gesteigerter innerer Motivation? Gewagte These: Wohl eher nicht.
  • Demokratie ist mehr als Wahlen (und Wahlergebnisse). Wenn wir unser demokratisches Miteinander beleben wollen, dann müssen wir über ganz neue Wege der Bürgerbeteiligung nachdenken – insbesondere auf der kommunalen Ebene. Ein Wahlzwang bringt uns da nicht weiter.

Wahlzwang ja oder nein? Eine spannende Diskussion, die spätestens am Wahltag wieder aufkommen wird, wenn es dann wahrscheinlich mit Betroffenheitsmiene von allen Seiten heißen wird:

Historisch niedrige Wahlbeteiligung – oh je!“

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Dr. Maik Bohne

Dr. Maik Bohne

Maik Bohne ist promovierter Politikwissenschaftler. Seit Jahren beobachtet er internationale Wahlkampftrends. Als Projektleiter für die Initiative ProDialog befasste sich Maik Bohne mit dem Transfer US-amerikanischer Wahlkampfmethoden nach Deutschland. Aus dieser Arbeit resultierte das Buch: „Von der Botschaft zur Bewegung. Die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama.“ Seit Juli 2010 ist Maik Bohne bei der IFOK in den Bereichen Open Governance und Digitale Kommunikation tätig. Auf wahl.de wird er seinen Blick auf die Dialog- und Beteiligungsstrategien der Parteien richten.