Es gibt so schöne Wahlkampfbegriffe aus den 1990er Jahren. Spin Doctoring gehört dazu. War room war auch ganz nett. Schöner noch: Agenda Setting. Dieser Begriff suggerierte, man könne eigene Themen auf die öffentliche Tagesordnung setzen und damit das Feld des Wahlkampfes abstecken. Nette Idee. Nur merkten die Wahlkampfstrategen sehr schnell, dass diese Logik im digitalen Zeitalter nicht mehr funktioniert. Zu viel Rauschen, weniger Leitmedien, viel mehr Internet und Mikroöffentlichkeiten machten den Wahlkämpfern einen Strich durch die Rechnung.

Fortan kamen die Kampagnenprofis – zuerst in den USA – auf eine neue Idee. Statt mit einzelnen Themen in der Aufmerksamkeitsökonomie zu versickern und zu versanden, musste ein emotionaler Überbau her, eine Geschichte, ein übergreifendes Gefühl, ein Narrativ, das sich eindringlicher im Kopf der Wähler festsetzt als die Position X zum Thema Y einer Partei. Der Ansatz: Wichtig ist es, dem Wähler ein mentales Haus (z.B. Obamas Change) zu bauen.

Einzelne Themen (z.B. Gesundheitsreform) richten dann nur noch die Zimmer ein. Dieser Ansatz wurde vor allem von zwei lesenswerten Autoren propagiert: George Lakoff und Drew Westen.

In Deutschland ist man mit Gefühlswahlkampf und knackigen Botschaften vorsichtiger. Ideologie ist eh Geschichte, aber auch die alten Erzählungen der Parteien verblassen immer mehr. Ich möchte dennoch den Versuch wagen, den kommenden Bundestagswahlkampf einmal entlang von Narrativen zu ordnen.

CDU/CSU: Alles bestens

Die Union kommuniziert eine klare Dachbotschaft. Sie heißt: Deutschland geht es gut. Angela Merkel hat alles im Griff. Also warum wechseln? Schaut man auf die deutsche Großwetterlage, ist diese Strategie sicher nicht allzu unklug. Allerdings stören Irritationen wie der NSA-Skandal.

SPD: Wir als Gesellschaft

Die Sozialdemokratie setzt der Union eine simple Botschaft entgegen: Es ist nicht alles schön. Den Finger in die Wunden der kommoden Wirtschaftslage zu legen und das Wir als neues Über-Ich zu betonen, erscheint als die Hauptaufgabe der SPD. Problem nur: Narrative funktionieren dann gut, wenn sie eine Synthese aus Kandidat, Partei und Programm bilden. Hierin liegt sicher die größte Herausforderung für Peer Steinbrück und die Sozialdemokratie.

Grüne: Besser leben

Die Grünen setzen ganz auf das Lebensgefühl einer wachsenden bürgerlich-sozialökologisch-liberalen Mitte in Deutschland. Diese Mitte möchte bewusst leben, ohne den alten Ballast des Öko-Seins. Sie hat nichts gegen Wirtschaftswachstum, möchte es aber nicht zu Lasten von Lebens- und Naturqualität haben. Sie nutzt das Internet intensiv, fürchtet aber um bürgerliche Freiheiten. Damit treffen die Grünen einen gesellschaftlichen Nerv, müssen aber aufpassen, dass sie nicht als Partei des erhobenen Zeigefingers wahrgenommen werden, die uns erzählt, wie es sich denn zu leben hat. Ein schmaler Grat.

FDP: Hüter der Sparsamkeit

Vorbei scheinen die Zeiten der Steuersenkungsparolen. Schält man den Kern der FDP-Botschaften heraus, so orientiert sich die Partei immer mehr am Bild des ehrenwerten Kaufmanns, dessen kategorischer Imperativ es ist, solide zu wirtschaften und Buch zu führen – oder anders: nicht mehr auszugeben als man einnimmt. Eine leicht verständliche Botschaft, die in Zeiten überschuldeter Haushalte und hoher Anerkennung für den deutschen Mittelstand nachvollziehbar ist. Ob es für die 5-Prozent-Hürde reicht, wird wohl erst der Wahltag zeigen.

Die Linke: Sozial im Original

Die Linke hat alles andere als ein Differenzierungsdefizit. Ihre Botschaft ist simpel: Wollt ihr soziale Gerechtigkeit, dann wählt die steile Alternative zur abwägenden SPD im juste milieu. Dieses Narrativ lässt sich  munter platzieren, auch auf Plakaten. Wie es in die politische Wirklichkeit übersetzt werden kann, bleibt anderen Autoren zur Bewertung überlassen.

Piraten: Digital optimal

Auch die Piraten sind eine Lebensgefühlpartei – allerdings für das weitaus kleinere Segment der digitalen Bohème. Den Freibeutern fehlt es nicht am kreativen Glauben an eine neue Zukunft der digitalen Freiheit. Das macht sie (immer noch) anders. Zwei Probleme tauchen aber auf: Die Gesellschaft ist weniger digitalistisch als viele glauben. Der enge Themenfokus auf Internet und Datenschutz (wenn auch in Zeiten von Prism gerade marktfähig) limitiert.

Man sieht. In Geschichten zu denken macht für Wahlkämpfer Sinn. Wählen nach Gefühl, Slogans und Geschichten, das wollen wir vernunftbegabten Wähler eigentlich nicht. De facto werden wir es aber auch wieder bei der kommenden Bundestagswahl tun.

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Dr. Maik Bohne

Dr. Maik Bohne

Maik Bohne ist promovierter Politikwissenschaftler. Seit Jahren beobachtet er internationale Wahlkampftrends. Als Projektleiter für die Initiative ProDialog befasste sich Maik Bohne mit dem Transfer US-amerikanischer Wahlkampfmethoden nach Deutschland. Aus dieser Arbeit resultierte das Buch: „Von der Botschaft zur Bewegung. Die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama.“ Seit Juli 2010 ist Maik Bohne bei der IFOK in den Bereichen Open Governance und Digitale Kommunikation tätig. Auf wahl.de wird er seinen Blick auf die Dialog- und Beteiligungsstrategien der Parteien richten.