Jeden Morgen die gleiche Routine. Tür auf, Licht an, Kaffeemaschine an, Rechner an, Mail auf, Twitter auf. Und während sehr langsam die Mails eintrudeln, kann man noch drei Minuten den Blick durch ein Zwei-Personen-16qm-Büro schweifen lassen. Das Licht muss man immer anmachen, denn nur am 21. Juni scheint mittags für einen kurzen Moment echte Sonne in dieses dunkle Loch. Ich erzähle das, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, wir säßen hier alle in lichtdurchfluteten klimatisierten Großraumbüros – mit Tischtennisplatte und Kickboards. Im Gegenteil, ganz im Gegenteil.
Die Anzahl der Räume, die jeder Abgeordnete kriegt, ist für alle gleich: 3. Einen für die Chefin, zwei für alle anderen. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn auch der letzte Erweiterungsbau an der Luisenstraße fertig ist, werden wir alle 4 Räume haben. Irgendwann. Ich werde das wohl nicht mehr erleben, aber meine Enkel vielleicht. Bis dahin sitze ich weiter in meinem lichtlosen Hühnerkäfig und träume von Stille und frischer Luft.

Mail auf.

Die Mails sind ein Quell täglich wiederkehrender Freude und Frustration. Ganze Vortrags- und Veranstaltungsreihen gibt es inzwischen über „den Bürger“, der sich mit seinen „Thesen“ und der „Wahrheit“ an die Bundestagsabgeordneten seines Vertrauens wendet. Und alles, was ich bisher über den sog. “Wutbürger” las und hörte, ich kann nur sagen: Es stimmt. Eigentlich ist es noch schlimmer! Ein Tag, an dem mir nicht irgendjemand Tod und Verwesung wünscht, streiche ich in Gedanken an.
„Der Bürger“ (und leider auch „Die Bürgerin“) wird in der Formulierung ihrer Besorgnis immer hemmungsloser und brutaler. Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht daran, dass man nachts noch schnell einen raushauen kann, wenn man gerade denkt „So, der sag‘ ich jetzt mal, was Sache ist!“. Das ist meine These. Wie es wirklich ist, damit sollen sich Andere befassen. Ich verstehe es nicht. Es gibt aber auch ganz zauberhafte Mails, in denen sich Menschen bedanken. So schön. Und nächste Woche mehr davon. Von allem.


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Kim

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Mitarbeiter bei Bundestagsabgeordneter
Kim ist seit mehr als einem Jahrzehnt Mitarbeiter_in einer Abgeordneten im Bundestag. Auf wahl.de berichtet Kim als Kolumnist_in aus dem politischen Alltag auf 16qm. Stets "Unter drei".
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