Kurz vor der Bundestagwahl sind angeblich noch über 30 Prozent der Wähler unentschlossen. Für den Rest gilt vor allem der Grundsatz, dass die Wahlen geheim sind. Das heißt, es mangelt heutzutage  an politischen Bekenntnissen. Im Gegensatz zu den 1960er und 70er Jahren, wo zumindest im westlichen Teil Deutschlands eine enorme Politisierung der Bevölkerung durch Spannungsthemen wie dem Vietnamkrieg, dem Wunsch nach mehr Demokratie oder durch die Entspannungspolitik stattfand, vollzieht sich heute eher der Rückzug ins Private. Die Bindung an die Parteien schwindet und die Gruppe der Nichtwähler wird immer größer.

Die Wahl als Bürgerrecht

Genau dies kann ich auch in meinem Freundeskreis beobachten. Zwar werden einzelne Themen durchaus diskutiert, vor allem dann, wenn sie einen persönlich betreffen. Mir fallen da zum Beispiel die Mietenproblematik, der Tierschutz oder die Förderung alternativer Kulturformen ein. Doch parteipolitisch binden möchte sich keiner meiner Freunde. Dennoch sehen sie die Wahl als ihre Bürgerpflicht, ja als ihr Bürgerrecht. Kurz vor der Bundestagswahl stellte sich für sie dann die Frage:

Was soll ich wählen? Wer vertritt meine Interessen? Was wollen die Parteien überhaupt?

Wer soll die Antwort geben in Zeiten der Digitalisierung? Ganz klar: Der Wahl-O-Mat. Mittlerweile wurde er bereits über zehn Millionen Mal genutzt:

Fast jede Frage bedurfte einer Erklärung

Bei den ersten Versuchen wurde meinen Freunden schnell klar, ohne Erklärungen oder zusätzliche Recherchen lassen sich die Fragen nicht beantworten. Sie schauen nun mal nicht täglich die Tagesschau und sind auch nicht die größten Fans von Jauch, Illner, Will und Co. – was ich nach den Diskussionsrunden der letzten Wochen durchaus nachvollziehen kann. Sie sind meiner Meinung nach ein Abbild meiner Generation und ich wohl eher die Ausnahme. Zu meiner Freude haben mich dann ein paar von ihnen gebeten, den Wahl-O-Mat mit ihnen durch zu gehen.

Das war der Anlass für sehr lustige Abende mit Wein und Käse und mit einer ausgeprägten politischen Diskussion. Uns fiel dabei auf, dass es alles gar nicht so einfach ist. Fast jede Frage bedurfte meiner Erläuterung. Das ein oder andere Mal folgten meine Freunde dann auch meiner Argumentation und klickten auf die jeweilige Antwort, die ich ihnen fast vorgab. Was vielleicht für mich spricht, aber was dann ja doch nicht Sinn der Sache war. Es stellte sich die Frage nach einer Erläuterung der Sachthemen, die erstmal unabhängig der Parteimeinungen das Problem schildern. Sowas liefert der Wahl-O-Mat bzw. die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), aber leider erst dann, wenn alle Fragen beantwortet und die Ergebnisse zu den einzelnen Parteien bereits gegeben sind. Ganz ehrlich – ich habe es auch erst beim dritten Anlauf gesehen, denn das kleine Info-Icon kann man doch schnell übersehen.

Warum werden die Links zu den Erläuterungen nicht bereits bei den Fragen gegeben? Dies könnte sehr hilfreich sein. Ein Freund von mir formulierte es ganz gut:

„Ich habe den Eindruck, dass man beim  Wahl-O-Mat aufgrund der kurz gehaltenen Fragen doch Gefahr läuft, Fehlentscheidungen zu treffen, die wiederum durch gefährliches Halbwissen herbeigeführt werden. Wäre ein Erklärungstext nicht sinnvoll?“

Wenn die Ergebnisse kommen, macht man es dann doch, so wie man es immer macht:

Ergebnisse da, kurz schauen, überlegen, und dann schnell das rote Kreuz drücken und weiter zur nächsten Seite. Doch dann wird der Wahl-O-Mat zum Glücksspiel!

Klar, das Tool kann einem die Entscheidung für oder gegen eine Partei generell nicht abnehmen. Dafür liegen die Ergebnisse der einzelnen Parteien oft auch zu nah beieinander. Der Wahl-O-Mat kann nur eine Entscheidungshilfe sein und im besten Fall eine Animation, sich doch nochmal mit dem ein oder anderen Thema näher auseinanderzusetzen.

Politik als Holschuld

Der Erklärungsbedarf zu den unterschiedlichen Themen und Positionen hat mich dann doch etwas erschreckt. Was sagt das eigentlich über die Medien sowie die Parteien, Politiker und deren Öffentlichkeitsarbeit aus? Man kann allerdings dagegen halten: Der Bürger hat auch eine Holschuld. Wenn ich aktiv am politischen und gesellschaftlichen Leben partizipieren will, muss ich mich auch informieren und dies möglichst nicht nur alle vier Jahre.

Volksentscheide als Lösung?

Eine Lösung könnten hier vielleicht wirklich die bundesweiten Volksentscheide sein.

 

Dieser letzten Frage des Wahl-O-Mat haben meine Freunde alle zugestimmt. Die Einführung solcher Volksentscheide könnte die Beschäftigung mit einzelnen Sachthemen regelrecht erzwingen und zu einer gewissen Politisierung führen, wie man es zum Beispiel in Berlin beim Volkswasserentscheid oder bei der Abstimmung über Stuttgart 21 gesehen hat.

Als Resümee kann ich sagen, dass der Wahl-O-Mat nun mal nur eine technisch vermittelte Entscheidungshilfe ist. Er nimmt niemanden die Entscheidung ab und auch nicht die Beschäftigung mit politischen Sachthemen.

Ich bedanke mich für das entgegen gebrachte Vertrauen meiner Freunde und sage jetzt nur noch eins:

Geht wählen und beschäftigt euch zumindest ein wenig mit Politik, es lohnt sich! 

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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