DIE LINKE sitzt im Schatten von Schulz. Machtpolitisch wird sie nicht wirklich ernst genommen. Zu unrecht. Gerade professionelle Politikbeobachter sind gut beraten, DIE LINKE schon während des Wahlkampfes stärker in den Blick zu nehmen.
DIE LINKE fühlt sich ausgerechnet durch den Zuspruch bestätigt, den die SPD mit Martin Schulz erhält. 17 Prozent aller Wahlberechtigten können sich vorstellen, DIE LINKE zu wählen. Die Strategen der Linkspartei erkennen ein klares Bedürfnis der Menschen nach linker Politik. Die Veränderte Ausgangslage im Wahljahr 2017 ist auch für DIE LINKE eine Motivationsspritze, auch wenn sie von ihrem Potenzial bislang nur gut ein Drittel ausschöpfen kann. Das weiß auch der SPD-Kanzlerkandidat. Schulz traf sich letzte Woche – von der breiten Öffentlichkeit erstaunlich unbemerkt – mit den Grünen-Vorsitzenden und erstmals auch mit den Linken-Vorsitzenden.
#r2g bekommt Rückenwind
War Rot-Rot-Grün im letzten Bundestagswahlkampf 2013 noch ausgeschlossen, hat sich das Projekt #r2g mittlerweile zur realistischen Machtoption entwickelt. Dagegen wirkt der schwarz-grüne Flirt momentan merkwürdig aus der Zeit gefallen. Ja gut, die Umfragen sehen nicht so rosig aus. Noch nicht. Doch die Landtagswahl im Saarland wird die LINKE schlagartig zurück auf die Bühne bringen. Mit Oskar Lafontaine ist ein gutes zweistelliges Ergebnis zu erwarten. Auch das wird zusätzliche Kräfte freisetzen. Es folgt der Einzug in den Landtag von NRW, womöglich als ein Zünglein an der Waage, und schon schleicht sich das Gefühl ein, dass die Machtoption r2g ins Spiel kommt.
DIE LINKE hat profilierte Köpfe
Es ist ja nicht so, als sei DIE LINKE nur ein Verein von Karteileichen. Die Partei verfügt über funktionierende Strukturen und kluge Köpfe, die erstaunlich bekannt sind. Köpfe, die bei näherer Betrachtung sogar für klare Positionen und Politikfelder stehen:
Die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger bedienen soziale Gerechtigkeit als wichtigsten Anliegen und Markenkern. Jan Korte bedient die Innenpolitik, Klaus Ernst kann TTIP und Axel Troost Finanzen. Mit außenpolitischen Themen hat Jan van Aken viel Medienpräsenz und eine klare Position gegen Rüstungsexporte. Geführt wird der Wahlkampf in vielen Landesverbänden von erfahrenen Urgesteinen, die nicht zu unterschätzen sind. Den Berliner Landesverband wird Vize-Bundestagspräsidentin Petra Pau mit Gesine Lötzsch in den Wahlkampf führen. Nicht vergessen werden darf Gregor Gysi, seit Dezember 2016 Vorsitzender der Europäischen Linken, weiterhin mit parteipolitischem Einfluss und öffentlicher Wirkung. Und Spitzenkandidatin Wagenknecht (Rampenfrau und Polarisiererin) wirbt um die Wutwähler, während ihr Co-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch als einer gilt, der auch eine rot-rot-grüne Koalition schmieden kann. Sowieso hat sich DIE LINKE vom Mantra der reinen Oppositionspartei bereits mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident Thüringens verabschiedet. Hinter vorgehaltener Hand kommentiert ein DAX-Vorstand die Situation in seinen fünf Standortbundesländern so, dass der einzige Ministerpräsident, mit dem man noch vernünftig reden könne, Ramelow sei.
Spitzenkandidatin Wagenknecht wirbt um die Wutwähler, während ihr Co-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch Koalitionen schmiedet.
Angriffslustiger Wahlkämpfer
Zu einem angreifenden Wahlkämpfer wird DIE LINKE auch deshalb, weil sie die Freiheit einer Opposition genießt, Elemente einer Protestpartei lebt, ihr Spitzenpersonal kann bis zur populistischen Variante zuspitzen und Ramelow gerade zeigt, wie man weitgehend skandalfrei regieren kann. Vor allem aber ist sie gefährlich, weil sie eine Perspektive hat: Über konkrete rot-rot-grüne Politik auf Bundesebene wurde kontinuierlich zwischen den beteiligten Parteien diskutiert. Jetzt zeigen sich erste Früchte von jahrelangen Anbahnungsversuchen, gemeinsamen Projekten und Plattformen wie das „Institut Solidarische Moderne“, die „Oslo-Gruppe“ oder die „Denkfabrik“ von SPD-, Grünen- und Linkspartei-Politikern, viele davon allerdings aus der zweiten Reihe. Noch prominenter war Mitte Oktober eine Runde aus rund 100 Abgeordneten von SPD, Grünen und Linkspartei, die gemeinsame Perspektiven ausgelotet haben. Die Welt am Sonntag hat jüngst ausgerechnet die Ex-Linke Angelika Marquardt als #r2g-Architektin geadelt. Selbst Sahra Wagenknecht, über Jahre scharfe SPD-Kritikerin, schlägt versöhnliche Töne an. Und es gibt neuerdings einen bemerkenswerten Koalitionsvertrag im Land Berlin, mit dem Perspektiven eröffnet werden könnten.
Strategisches Dilemma
Dabei steckt die Linkspartei in dem strategischen Dilemma, sich einerseits klar als SPD-Alternative verkaufen zu müssen. Andererseits sollte sie nicht zu sehr gegen Schulz und die SPD wettern, da man sich sonst in puncto eigene Machtperspektive bzw. Regierungswechsel selbst schädigt. Genau diesen Spagat will man wohl versuchen. Mit Riexingers Worten klingt das dann so:
„Wir werden deutlich machen, dass es einen richtigen Kurswechsel ohne DIE LINKE nicht geben wird.“
Hinzu kommt, dass die Linkspartei vor allem in den neuen Bundesländern versuchen muss, nicht zwischen SPD und AfD aufgerieben zu werden. Während rechtspopulistische Kräfte im medialen Fokus überall erstarken, schaut kaum einer genauer bei den Linken hin. Wer es genauer wissen will, der kann bei der Wahlstrategie anfangen. Und dann, Vizekanzlerin Wagenknecht? Ach, soweit würde ich dann doch nicht gehen.
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