Der Countdown läuft. Es sind noch weniger als 45 Tage bis zur Bundestagswahl 2017. Was müssen Interessenvertreter jetzt beachten, wofür lässt sich der Sommer nutzen?

Public Affairs während des Wahlkampfs ist eine Haltungsfrage

Eines ist sicher, die Automobilindustrie wäre jetzt lieber nicht Teil des Wahlkampfes. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen. Interessenvertreter haben drei einfache Optionen: a) keinen, b) indirekten oder c) direkten Einfluss auf den Wahlkampf auszuüben. Aus dem Wahlkampf heraushalten sollte man sich, wenn die Themen zu komplex und schwierig sind, es nicht wirklich etwas zu gewinnen gibt und die Angst vor dem Scheinwerferlicht der kritischen Öffentlichkeit überwiegt. Indirekte Einflussnahme umfasst die wohlbekannten Klassiker des Wahlkampfs: Zeitungsanzeigen, Sachleistungen, Wahlprüfsteine oder Parteispenden. Der Vorteil ist, man geht ein geringes Risiko ein. Der Nachteil ist, wirklichen Einfluss erzielt man so nicht. Nur wer bereit ist, ein Risiko einzugehen, sollte sich aktiv in den Wahlkampf einmischen. Dann aber auch klare Haltung zeigen, eindeutig Position beziehen und wichtig: im Sturm nicht umfallen.

Natürlich kann man im Wahlkampf als Interessenvertreter punkten

Erfolgreich ist, wer sich selbst direkt zu Wort meldet, auf die richtigen Themen setzt und Haltung zeigt. Doch das gilt nicht ohne Weiteres: Digitalisierung, Mobilität und Sicherheit sind geeignete Wahlkampfthemen, um sich als Unternehmen ins Gespräch zu bringen. Herausgestellt werden sollten die Innovationskraft, Nachhaltigkeit und der gesellschaftliche Mehrwert von Unternehmen. Wichtig ist der unmittelbare Kontakt mit den MdB-Kandidaten und ihren Wahlkämpfern. Es gilt, den Kandidaten direkt zu begegnen und z. B. während Unternehmensbesuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um frühzeitig belastbare Kontakte auch zu potenziell neuen MdBs aufzubauen.

In der wirklich heißen Phase bitte nicht mehr einmischen

In der wirklich heißen Phase des Wahlkampfes sind Unternehmen und Verbände gut beraten, sich nicht in die politische Debatte einzumischen, Partei zu ergreifen oder gar selbst zum Thema zu werden. Im harten, zugespitzten Kampf der Parteien ist das Risiko viel zu hoch, selbst unter die Räder der Öffentlichkeit zu gelangen.

Die sitzungsfreie Zeit ist die richtige Zeit für Urlaub

Rund um den Wahltermin passiert nur noch wenig. Nur der Vorstand braucht Orientierung – aber die bekommt er ehrlicherweise auch aus der Zeitung. Heißt, einfach mal Urlaub machen, um gestärkt und mit frischer Energie in die Zeit nach der Bundestagswahl starten zu können.

Wer arbeitet, hat gut zu tun: Lesen, Networking, Grundsätzliches und freie Terminkalender

Wer den Sommer trotzdem lieber am Schreibtisch verbringt, der hat gut zu tun.

Lesen: Es lohnt sich, noch einmal die wichtigsten Papiere und Gesetze der vergangenen vier Jahre vertieft zu studieren, denn viele Debatten werden sich auch in der kommenden Legislatur wiederholen.

Networking: Jetzt ist die Zeit, Termine zu bekommen. Trotz Sommer- und Urlaubszeit sind mehr Leute zeitlich verfügbar, als man zunächst annimmt. Das gilt insbesondere für zwei Zielgruppen: Ministeriumsmitarbeiter und Spitzenpolitiker auf Landesebene. Zahlreiche Landespolitiker wie z. B. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet oder die Berliner Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Ramona Pop, unternehmen Sommertouren. Das sind ideale Möglichkeiten für einen Unternehmensbesuch oder ein Gespräch mit dem Vorstand.

Grundsätzliches: Der Sommer bietet auch die Zeit, sich mit grundsätzlichen strategischen Fragen zu beschäftigen. Gerade mit Blick auf die nahende Bundestagswahl stellt sich die Frage, wie Interessenvertreter künftig mit der AfD umgehen?

Erst wird gewählt, dann wird verhandelt

Wer über die Legislaturperiode hinweg solide Lobbyarbeit geleistet hat, der geht ohnehin gut vorbereitet in die anstehende Phase. Koalitionsverhandlungen beginnen nie bei Null, darum ist die kontinuierliche Arbeit in den Jahren davor so wichtig.

Du hast Zeit

Das Grundgesetz gibt in Artikel 63 den Takt vor, aber auch die Parteien müssen sich nach der Wahl erst einmal sortieren und orientieren. Es ist kontraproduktiv, in hektischen Aktionismus zu verfallen. Erstmal sind andere am Zug.

Bitte nicht nerven

Nach der letzten Bundestagswahl hat Peter Tauber in seinem Blog geschrieben, er hat habe zuvor noch nie so viele Emails und Zuschriften bekommen. Dafür hat er zwar Verständnis gezeigt, das kann jedoch auch nerven und kontraproduktiv sein. Ob man gleich ganze Textbausteine liefert, muss jeder Interessenvertreter selbst entscheiden.

Natürlich kann und sollte man gute Beziehungen nutzen

Gerade in den Koalitionsverhandlungen zahlen sich gute, über viele Jahre gewachsene Kontakte aus. Auch wenn hunderte Personen an den Verhandlungen beteiligt sind, so ist es nur ein kleiner Kreis, der Zugang zu den sensiblen Themen und Papieren hat. Um hier Zugang zu bekommen, braucht es ein über viele Jahre gewachsenes Kontakt- und Vertrauensnetzwerk.

Beruhigt Euch

Die Jagd nach Papieren hat sehr viel mit Eitelkeiten und der Dokumentation von Leistungsfähigkeit und weniger mit Prioritätensetzung zu tun. „Seht her, ich habe das vertrauliche Papier, bin nah dran am Geschehen und koste nicht nur Geld“, rufen die eifrigen Interessenvertreter ihrem Vorstand zu. Doch praktisch bringt das wenig. Die Arbeit beginnt jetzt. Das Spiel wird doch jetzt erst angepfiffen, es dauert eine Legislatur lang und die Inhalte werden alle veröffentlicht. Auch muss man bedenken, dass Koalitionsverträge häufig eher unkonkret sind und die Vertragsinhalte Spielraum zulassen.

Denkt langfristig

Daher heißt die Devise: langfristig denken. Es gilt zu analysieren, welche Linien und Themen in den nächsten vier Jahren wichtig werden. Wann welche Themen öffentliche bzw. gesetzgeberische Relevanz haben. Wer noch betroffen und involviert ist (EU-Ebene, Bundesländer etc.), und diese in einen Zusammenhang zu bringen und richtig in ein großes Bild einzuordnen.

Erledigt die Basics

Das Einmaleins des Interessenvertreters klingt so einfach, wird aber häufiger als gedacht vernachlässigt. Die Basics sind der Grundstein für vier weitere Jahre erfolgreiches Lobbying.

Basics für Interessenvertreter

  • Synopse Koalitionsvertrag & Themenkatalog
  • Wahlglückwünsche
  • Organigramme, Verteiler, MA-Listen, Sitzungskalender
  • Profile neuer Schlüsselpersonen
  • Briefing intern (Themen, Stakeholder)
  • 100-Tage-Programm (Antrittsbesuche, Kurzbewertung Koalitionsvertrag streuen)
  • Kontakt zu ausscheidenden Wissensträgern
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Sebastian Frevel
Sebastian Frevel ist Experte für Corporate und Public Affairs und Geschäftsführer der Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft. Er ist spezialisiert auf strategische Interessenvertretung, politische Unternehmensreputation sowie Stakeholder Management.