Lange befürchtet und doch hat der Wechsel einer Abgeordneten von den Grünen zur CDU die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen kalt erwischt. Seit Dienstag, 8. August, ist es offiziell. Elke Twesten ist Mitglied der CDU-Fraktion, die Mehrheitsverhältnisse haben sich von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb gedreht. Die rot-grüne Regierung hat keine parlamentarische Mehrheit mehr und die schwarz-gelbe Parlamentsmehrheit hat keine Regierung. „Der Verlust der Regierungsmehrheit in Hannover ist auch das Ende einer rot-grünen Ära in den Bundesländern“, hält die Süddeutsche Zeitung in einer treffenden Analyse fest.

Wie geht es weiter?

Ministerpräsident Weil hat seinen Rücktritt aufgrund einer „Intrige“ ausgeschlossen. Der Zustand der politischen Lähmung wird drei Wochen nach der Bundestagswahl durch vorgezogene Neuwahlen am 15. Oktober behoben. Ursprünglich war die Wahl in Niedersachsen für den 14. Januar 2018 vorgesehen.

Bis zur Konstituierung einer neuen Regierung bleibt die alte rot-grüne Regierung im Amt. Ministerpräsident Weil und die rot-grünen Minister behalten die Handlungshoheit bei allen Angelegenheiten, für die sie keine Landtagsmehrheit brauchen, z. B. Personalentscheidungen, Organisatorisches und Verwaltungsvollzug. CDU und FDP haben die Mehrheit im Ältestenrat und allen Ausschüssen, sie bestimmen damit die parlamentarischen Abläufe bis zur Neuwahl.

Die Terminplanung liegt jetzt in der Hand des Landtagspräsidenten Busemann (CDU). Der Landtag kommt diesen Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen. Hier soll mit einem gemeinsamen Antrag aller im Landtag vertretenen Fraktionen die Selbstauflösung des Landtags nach Artikel 10 der Landesverfassung beantragt werden. Eine Abstimmung über die Auflösung ist aktuell für den 21. August angesetzt.

Die CDU will verhindern, dass Weil weiter das Heft des Handelns in der Hand hat und sie will sicherstellen, dass der Spitzenkandidat der CDU, Bernd Althusmann, der kein Landtagsmandat hat, an der Bewältigung der Krise auf Augenhöhe mit Weil beteiligt ist. Die CDU-Fraktion behält sich daher die Option eines konstruktiven Misstrauensvotums gegen die Landesregierung weiterhin vor. Althusmann könnte, auch als Nichtmitglied im Landtag, von der schwarz-gelben Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Doch dieser Weg ist mit der Einigung auf Neuwahlen am 15. Oktober sehr unwahrscheinlich. Die FDP müsste zudem ohne Koalitionsverhandlungen den CDU Ministerpräsidenten mitwählen und auch Schwarz-Gelb hätte nur eine hauchdünne Einstimmenmehrheit.

Noch vierzig mehr oder weniger ausverhandelte Gesetze stehen auf der Tagesordnung des Landtages. Wassergesetz, Agrarstrukturgesetz, Polizeigesetz, Transparenzgesetz, Krankenhausgesetz oder das Gleichstellungsgesetz warten auf Abstimmung und Verabschiedung. Diese jetzt blockierten Gesetze mit starker Lobby im Land sind das Programm für den gemeinsamen Wahlkampf von Rot-Grün. SPD und Grüne kämpfen gemeinsam für eine Fortsetzung der rot-grünen Regierung.

Rot-Grün geht geschlossen in den Wahlkampf – gute Aussichten für schwarz-gelbe Mehrheit

Ablaufplan

  • 10.08.
    Sondersitzung des Landtages, Einbringung und 1. Beratung des gemeinsamen Antrages zur Auflösung des Landtages
  • 11.-13.08.
    Landesversammlung der Grünen wählt die Landesliste für die Landtagswahl
  • 12.-13.08.
    FDP beschließt auf einem Parteitag Wahlprogramm und wählt Landesliste
  • 16.08.
    Reguläre Sitzung des Landtages, Nachtragshaushalt mit Ausgleich der Hochwasserschäden. Weitere Beschlüsse mit schwarz-gelber Mehrheit sind zu erwarten, die aber kaum Aussicht auf Umsetzung haben werden
  • 21.08.
    Sondersitzung des Landtages, Abstimmung über Auflösung des Landtages
  • Anfang Sep.
    SPD entscheidet über das Wahlprogramm und die Listenaufstellung
  • 15.10.
    Neuwahl des niedersächsischen Landtages
  • Spätestens 30 Tage nach der Wahl konstituierende Sitzung des Landtages und Wahl des MP

Der Lagerwahlkampf mit Schlammschlacht ist seit dem Wochenende eingeleitet. Der CDU wird „Intrige“ und Stimmenkauf vorgeworfen, SPD-Ministerpräsident Weil steht mit einer im Januar 2015 gehaltenen Regierungserklärung zu VW massiv unter Druck. Angeschlagen war Rot-Grün schon vor dem Verlust der Einstimmenmehrheit. Diverse Untersuchungsausschüsse der letzten Jahre werfen ein schlechtes Bild auf die Landesregierung. In der Vergabeaffäre im Wirtschaftsministerium und in der Staatskanzlei machten weder der Ministerpräsident noch Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) eine gute Figur.

Schwarz-Grün-Debatten sind seit dem Wechsel von Twesten zur CDU bei den Grünen in Niedersachsen für diese Neuwahl nicht mehr führbar. Es gibt nur die Optionen Fortsetzung von Rot-Grün oder Opposition. Alles ist abhängig von der Mobilisierungsfähigkeit der Parteien und den Stimmungsumschwüngen bis zur Wahl. Die Negativstimmung trifft im Moment alle Parteien, die Vorgänge im Landtag werden als Politikversagen, Intrigen und Schlammschlacht wahrgenommen. Es wird sehr darauf ankommen, wer in dieser Regierungskrise als verantwortungsvoll und verlässlich wahrgenommen wird und damit das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen kann. Profitieren könnte von dieser Politikkrise die AfD, die bislang nicht im niedersächsischen Landtag vertreten ist.  

Mangels aktueller Umfragen ist es kaum möglich, Schlüsse zum Wahlausgang und zur Regierungsbildung nach der Wahl zu ziehen. Bereits bei den letzten Umfragen hatte Rot-Grün in Niedersachsen keine verlässliche Mehrheit mehr. Gleichzeitig gab es keine ausgeprägte Wechselstimmung und Ministerpräsident Weil hatte weitaus bessere Kompetenz- und Sympathiewerte als der wenig bekannte und wenig beliebte Ex-Kultusminister der CDU, Bernd Althusmann. Das Abschneiden der kleineren Parteien ist offen. Linke und AFD können in den Landtag einziehen.

Das grüne Ergebnis in Niedersachsen ist trotz guter Bewertung der grünen Minister stark schwankend und dem negativen Bundestrend ausgesetzt. In der Tendenz ist derzeit eher davon auszugehen, dass Rot-Grün die Mehrheit verliert. Wenn die Linke in den Landtag einzieht, könnte es für Rot-Rot-Grün reichen. Eher wahrscheinlich ist eine schwarz-gelbe Mehrheit oder aber der Zwang zu einer Großen Koalition. Jamaika schließen die Grünen aus, sie können schlecht ihrer abtrünnigen Abgeordneten in eine von der CDU geführten Koalition folgen. Aber auch hier gilt, erst wird gewählt, dann wird verhandelt.

Aus für Rot-Grün in Niedersachsen färbt die Bundespolitik schwarz ein

Ein zu erwartender Regierungswechsel in Niedersachen hat große Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Aktuell stellen SPD und CDU jeweils sieben Ministerpräsidenten; Grüne und Linke jeweils einen. Bei einer Abwahl Weils kippt das Verhältnis zugunsten der CDU. Gemeinsam mit der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg gäbe es eine Mehrheit für die Union. Im Umweltausschuss würden die Grünen ihre Mehrheit trotz Abwahl in Niedersachen behalten. Auch im Wirtschaftsausschuss würden die A-Länder eine knappe Mehrheit behalten. Die Mehrheit der B-Länder im Innenausschuss würde sich vergrößern.

Hintergrund Elke Twesten

Sie galt eher als Hinterbänklerin. In ihrer Fraktion war sie für Frauenpolitik zuständig. Auch im grünen Realo-Kreis, der für ein schwarz-grünes Bündnis in Niedersachsen nach der Wahl durchaus offen war, spielte Elke Twesten nie eine Rolle.

Als Wackelkandidatin galt Elke Twesten von Anfang an. Nur mit der Drohung, es gäbe auch andere politische Angebote, wurde sie Schriftführerin im Landtagspräsidium und hatte so Zugang zu Auslandsreisen und andere Privilegien des Präsidiums. Letztendlich ist es der grünen Fraktion nicht gelungen, ihre Loyalität bis zum Schluss zu sichern. Angebote für einen Wechsel bekommt man eben nicht nach der Wahl sondern nur, wenn der Wechsel so spektakulär ist, dass er eine Regierung stürzt.

Für den glücklosen Martin Schulz ist der Verlust der rot-grünen Mehrheit in Niedersachsen ein Desaster so kurz vor der Bundestagswahl. Nach dem Verlust rot-grüner Mehrheiten in NRW und Schleswig-Holstein ist Niedersachsen das dritte Flächenland in Folge, in dem SPD geführte Länder ihren Ministerpräsidenten verlieren. Rot-Grün ist kein Modell mehr, das Strahlkraft entwickeln und mobilisierend wirken kann, die Option Rot-Rot-Grün wirkt noch abschreckender. Da Sigmar Gabriel eine Fortführung der Großen Koalition öffentlich ausgeschlossen hat, steht Martin Schulz ohne echte Machtoption dar.

Kanzlerin Merkel kann ihren Wahlkampf mit ruhiger Hand so fortführen, sie muss nur zusehen, wie die SPD weiter in den Keller geht und die Grünen sich weiter selbst zerlegen. Die Chancen für eine schwarz-gelbe Mehrheit nach der Bundestagswahl steigen. Allein aufgrund der Schwäche von Rot-Grün geht die FDP mit zwei schwarz-gelben Bündnissen in die Bundestagswahl. In NRW sitzt sie mit der CDU in der Regierung, in Niedersachsen hat sie eine parlamentarische Mehrheit mit der CDU und beste Aussichten nach der Neuwahl mitzuregieren. Strategisch geplant war es nicht. Keiner nimmt der FDP jetzt ab, dass sie noch offen dafür ist, Martin Schulz eine Kanzlermehrheit zu verschaffen.

Für Grüne ist der Wechsel der grünen Abgeordneten Elke Twesten zur CDU ein Desaster. Der empfundene Selbstauflösungsprozess der Partei erhält neues Futter. Die Grünen sind derzeit weder inhaltlich noch personell in der Lage zu begeistern. Sie bieten ein Bild der Zerrüttung und haben ihre Mobilisierungsfähigkeit nach innen und außen verloren. Der Spagat in der geschenkten Diesel-Affäre zwischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg und den radikalen Parteitagsbeschlüssen ist so groß, dass eine glaubwürdige Botschaft nicht mehr rüberkommt. Die Grünen haben ihre Erdung verloren, das Zentrum der Mitte ist zu schwach, um die Ränder des linken und rechten Flügels einzubinden. Die Entfernung zwischen Kreuzberg und Tübingen ist zu weit für eine kleine Partei. Die grüne Partei hat eine Erfolgschance, wenn sie für ein Jamaika-Bündnis auf Bundesebene gebraucht wird.

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Sebastian Frevel
Sebastian Frevel ist Experte für Corporate und Public Affairs und Geschäftsführer der Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft. Er ist spezialisiert auf strategische Interessenvertretung, politische Unternehmensreputation sowie Stakeholder Management.