Ausgerechnet am Muttertag hat sich NRW seiner Landesmutti entledigt und auch die Grünen kraftlos zurückgelassen. Während die Parteispitzen das Ergebnis detailliert auswerten holen wir eine andere, nicht primär wahlkampfgetriebene Einschätzung ein. Dafür hat sich wahl.de im politischen Berlin umgehört und einige Politikberater gefragt, wie das Ergebnis der NRW-Wahl zu deuten ist.

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Es ist die Rückkehr der „Bürgerlichen Mehrheit“, stellt Axel Wallrabenstein von MSL fest, und das „im sozialdemokratischen Stammland NRW“. Auch für Hendrik Hagemann von FleishmanHillard ist Schwarz-Gelb ein „no-brainer“, Jörg Ihlau von Serviceplan geht ebenfalls davon aus, dass die „Union der FDP alle Zugeständnisse machen wird, die Lindner für den Beleg der Eigenständigkeit braucht.“ Frevel sieht in Schwarz-Gelb ein „Zweckbündnis“ und sieht wie Hagemann die Chance: „Die Verhandlungen können scheitern.“ Christian Thams von Burson-Marsteller findet alles andere als Schwarz-Gelb wäre nur ein „halber Wechsel“

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

„Für die SPD ist es sicher dramatisch, dass Hannelore Kraft kein Interview in der Bunten hatte.“ konstatiert der Kommunikationsberater Christof Fischoeder mit Blick auf die Schuldfrage. Nach drei Wahlergebnissen müsse man von einem Bundestrend sprechen, meint Wallrabenstein. Gleichzeitig aber könnte „schwarz-gelb als neuer Kampfbegriff auf der linken Seite durchaus Schaden für die Union anrichten.“ Für Hagemann hat Kraft „die Wahl eigentlich schon (berechtigt) verloren“, auch ohne Bundestrend. Dem pflichtet Frevel bei: „Das NRW-Personal war entscheidend, die Themenzuspitzung und handwerklich guter Wahlkampf.“ Aus der Sicht von Ihlau wirkte neben einer schlechten SPD-Bilanz auf Landesebene auch die weiter offene Frage „warum man SPD wählen soll“ zugunsten von CDU und FDP.

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Da nun auf dem Weg zur Bundestagswahl nurmehr das Wetter oder internationale Ereignisse nicht im Zugriff der Wahlkampfstrategen sind, stellt sich die Frage nach der Ausrichtung eines Wahlkampfes. Die letzten drei Landtagswahlen haben hier ja durchaus unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Wallrabenstein wiederholt sein Mantra: „Mobilisierung ist Trumpf“ und verweist abermals auf die erfolgreiche Kampagnenarbeit der CDU. Auch Thams kann erkennen, die „CDU hat offensichtlich ihr Gleichgewicht gefunden“, während die Grünen „ohne den Habeck-Effekt“ weiter verloren haben.
Ihlau und Fischoeder vermissen bei der SPD „eine nach vorn gerichtete Modernisiererrolle jenseits von Verteilungsfolklore“ bzw. „das Bild einer besseren Zukunft“. „Aber wer sollte die verkörpern?“ fragt Ihlau. „Personen mit Charisma“ wie Macron, Merkel oder Habeck hält Hagemann für wichtig. Frevel beobachtet: „Deutschland ist politisiert. Die Wahlbeteiligung ist hoch. Die Bürgerinnen und Bürger gehen wieder wählen, sie wählen verlässlich bürgerlich-liberale Themen.“ „Schulz hat sicherlich zu einer ideologischen Zuspitzung geführt, für die ihm alle Parteien und die Menschen im Land dankbar sein sollten“ ergänzt Fischoeder, und stellt optimistisch fest, dass „glaubwürdige Alternativen der bürgerlichen Parteien die Zustimmungswerte für Extremparteien“ reduzieren.

Die Aussagen im Wortlaut:



Jörg Ihlau

Geschäftsführer, Serviceplan Public Opinion


Ein starkes Zeichen für die Bundesebene, dass die Union aus der Groko – vs. – Jamaika- Falle rauskommen kann. Dafür wird die Union der FDP alle Zugeständnisse machen, die Lindner für den Beleg der Eigenständigkeit braucht.
Rot-Grün hatte eine schwache Bilanz in NRW, zudem bleibt bundesweit die strategische Frage unbeantwortet, warum man SPD wählen soll – ein Anti-Austeritätswahlkampf mitten im Beschäftigungswunder bleibt Unsinn.
Der Trend Personalisierung steht. Innere Sicherheit gewinnt an Bedeutung. Die SPD kann nur dann einen Turnaround schaffen, wenn sie sich eine nach vorn gerichtete Modernisiererrolle jenseits von Verteilungsfolklore erarbeitet. Aber wer sollte die verkörpern?

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Schwarz-Gelb

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Beides

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Personalisierung


Axel Wallrabenstein

Chairman, MSLGROUP Germany GmbH


CDU und FDP werden wohl die nächste Regierung, eine bürgerliche Regierung im sozialdemokratischen Stammland NRW bilden. Das hätte man vor wenigen Wochen noch völlig ausgeschlossen. Der Trend wurde umgekehrt. Die CDU konnte deutlich machen, daß NRW objektiv schlecht regiert wird und diesen Trend inhaltlich und mit interessanten neuen Personen (Bosbach, Neumann, Metzelder) unterfüttern.
Nach drei verlorenen Landtagswahlen für die SPD muß man auch von einem Bundestrend sprechen. Aus dem anfänglichen Schulz-Effekt wurde mehr und mehr ein Merkel-Effekt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Bundestagswahl im September entschieden ist. Hier kann auch schwarz-gelb als neuer Kampfbegriff auf der linken Seite durchaus Schaden für die Union anrichten.
Die CDU hat es geschafft mehr als 400.000 Nichtwählerinnen und Nichtwähler zu mobilisieren. Das ist nicht zuletzt der Kampagnenplanung im Konrad-Adenauer-Haus mit connect17, einer neuen App und einer ausgefeilten Tür zu Tür-Kampagne gelungen.

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Bürgerliche Mehrheit

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Bundestrend und Landestrend

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Mobilisierung ist Trumpf


Christof Fischoeder

Kommunikationsberater


Für die SPD ist es sicher dramatisch, dass Hannelore Kraft kein Interview in der Bunten hatte. So fehlt ihr die Begründung, warum die Wahl verloren ging. Es muss irgend etwas mit der Regierungsarbeit der letzten fünf Jahre zu tun gehabt haben. Aber das Rätsel werden die Strategen in der Zentrale der Partei sicher lösen können.

Vielleicht sind die Grünen schuld? Oder das mein Heimat-Bundesland einfach sehr anfällig ist für eine Machtarroganz, die immer besser weiss, was die Menschen brauchen. Das war schon unter Landesvater Rau so -der sich ja im Ernst als Landesvater aufstellen und plakatieren lies. Sehr kaiserlich. Aber das fehlt ja sonst auch immer im Rheinland.

Armin Laschet hat gewonnen – Glückwunsch – es muss was mit Wahlkampf und Menschen zu tun haben, das die CDU in zwei, nein drei Bundesländern kurz hintereinander mit der Doppelkombination Mensch und Thema erfolgreich ist. Übrigens auch die FDP. Und wie wir sehen, reduzieren glaubwürdige Alternativen der bürgerlichen Parteien die Zustimmungswerte für Extremparteien wie AfD und Die Linke.

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Ich bin nicht Teil der Koalitionsverhandlungen, sähe aber für mein Heimatland sehr ungern eine große Koalition. Das bedeutet doch oft, politische Erstarrung auf dem Minimalkonsens und ermüdet die Menschen. Das haben die NRW-Wählerinnen und Wähler nicht verdient.

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Die NRW-Wahl war ein Kopf-an-Kopf Rennen, wie auch in Schleswig Holstein, das auf den letzten Metern entschieden wurde. Als Trend stehen für die SPD drei Wahlverluste hintereinander da. Sind sie damit in der Tabelle auf Relegation?

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Nicht Wahlkampf, sondern Politik für und mit den Menschen, die damit leben müssen. Also schlage ich einen Wahlkampf an den Themen und mit den Personen vor, die die Menschen herausfordern und ihnen das Bild einer besseren Zukunft und Lösungen für ihre Probleme zeigen. Schulz hat sicherlich zu einer ideologischen Zuspitzung geführt, für die ihm alle Parteien und die Menschen im Land dankbar sein sollten, weil er damit die Frage, wen wir wählen sollen seit langem mal wieder mit Relevanz aufgeladen hat. Ich schlage vor, alle Parteien legen inhaltlich nach, dann wird die Wahlbeteiligung höher und wir schaffen wieder eine repräsentative Basis. Gemäß der Kampagne https://www.facebook.com/mitmir90Prozent/


Hendrik Hagemann

FleishmanHillard


Die Menschen machen sich – bei historisch niedriger Arbeitslosigkeit – dann doch mehr Sorgen um Wohnungseinbrüche, Flüchtlingswellen, Steuer- und Abgabensenkung, Staus und ob ihr teures Diesel-SUV ggf. in einem Jahr wertlos ist. Und wer die Schlange in Leipzig bei der KITA-Einschreibung gesehen hat, der sieht, dass das alte Sprichwort „action sounds louder than words“ immer noch wichtig ist. Auch dass Schulz kein Amt hat und Leute wie Stegner nach wie vor die prominente Rolle (trotz krachender Niederlage) in der Partei bekommen sollte die SPD gründlich überprüfen. Und ein neuer Generalsekretär(in) (z.B. Maas, Kutschaty, Machnig etc.) wäre sicher hilfreich…

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Eigentlich Schwarz-Gelb als no-brainer, aber durchaus berechtigte Wahrscheinlichkeit, dass FDP und Union über Kreuz gehen und am Ende Laschet-Kutschaty das Ruhr-Westfalen-Rhein Rettungsbündnis formen.

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Kraft hatte die Wahl eigentlich schon (berechtigt) verloren (wer in letzter Zeit die A3 genommen hat oder in Hagen war weiß warum) und der Bundestrend Ihr auch nicht geholfen … im Gegenteil

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Siehe Macron, Habeck, Merkel, May … entweder Personen mit Charisma und/oder strategisch schlau sein und dazu noch auf die wirklich wichtigen Themen (Sicherheit, Bildung=Investionen, etc.) setzen.


Sebastian Frevel

Geschäftsführer, Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft


Im bedeutenden Wirtschafts- und Industrieland ist rot-grün klar abgewählt. Eine wirtschaftsfreundliche CDU-geführte Regierung wird die Zukunft des Landes NRW in den nächsten Jahren gestalten. Hier ergeben sich für die Unternehmen neue Ansätze, ihre Interessen einzubringen. Dennoch werden auch ohne Grüne in der Regierung die Einhaltung von Klimaschutzzielen und die Energiewende eine wichtige Rolle spielen. Bundespolitisch ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, das Angela Merkel mit einer CDU-geführten Bundesregierung Bundeskanzlerin bleibt. Sicher ist es nicht. Die Ausgangslage für die CDU/CSU ist komfortabel: Merkel kann ihre europa- und weltpolitische Agenda mit ruhiger Hand weiter verfolgen.
Mit „sozialer Gerechtigkeit“ konnte die SPD in Schleswig-Holstein und in NRW keine Wahlen gewinnen. Im Industrieland NRW scheiterte die SPD auch, weil ihr keine Wirtschaftskompetenz zugetraut wurde.
Die Grünen müssen sich entscheiden, wollen sie mehr Kretschmann- und Habeck-Grüne sein, oder soll der linke Flügel weiter auf den Parteitagen und in der Progammgestaltung die Richtung vorgeben? Nach der NRW-Wahl stehen die Grünen vor einer Zerreißprobe.
Die AfD ist geschwächt und die Linke wird die SPD weiter mit dem Thema „soziale Gerechtigkeit“ vor sich hertreiben.

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Die totgesagte Zwei-Parteien-Lagerbildung ist wieder auferstanden und für das konservativ-liberale Lager eine Option. Schwarz-Gelb ist aber eher ein Zweckbündnis. Ein Liebesbündnis wird es sicherlich nicht. Die Verhandlungen können scheitern.

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Das ist eine Landtagswahl. Das NRW-Personal war entscheidend, die Themenzuspitzung und handwerklich guter Wahlkampf.
Die Bundespolitik hat oft das Potenzial zu schaden. Doch Merkel gibt wieder Rückenwind.

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Das Personen den Ausschlag geben ist klar. Aber nach den außenpolitischen Verwerfungen von Brexit bis Trump, mit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien und der Verunsicherung durch Terrorismus und Flüchtlingsbewegungen ist Deutschland politisiert. Die Wahlbeteiligung ist hoch. Die Bürgerinnen und Bürger gehen wieder wählen, sie wählen verlässlich bürgerlich-liberale Themen.


Christian Thams

Geschäftsführer, COO, Burson-Marsteller GmbH


Der Erfolg bei der NRW-Wahl ist ein Signal für den Bund und bestätigt den positiven Trend für die CDU, die in drei aufeinanderfolgenden Landtagswahlen stärkste Partei wurde und zweimal SPD-Regierungskoalitionen beenden konnte. Gar nicht so heimlicher Gewinner der Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist die FDP, die jetzt noch mehr Rückenwind hat und vor dem Wiedereinzug in den Bundestag steht. Die SPD hingegen ist nach den Wahlen in NRW weiter in der Defensive, genauso wie die Grünen, die ohne den Habeck-Effekt nicht sehr gut abgeschnitten haben.

Das stabile Ergebnis der AfD zeigt, dass deren Potenzial weder verschwunden noch ausgeschöpft ist. Sie hat trotz der innerparteilichen Querelen und weniger Aufmerksamkeit für ihre Kern-Themen die Fünf-Prozent-Hürde ohne Probleme genommen und hält weiter Kurs auf den Bundestag. Für die Linke sollten auch die Landtagswahlen in NRW ein Alarmsignal sein, dass sie zumindest im früheren Westen Deutschlands keine etablierte Größe ist.

Zwar ist die Bundestagswahl für die Union noch nicht gewonnen und für die SPD noch nicht verloren, denn es sind noch mehr als vier Monate bis zur Wahl. Erst recht in diesen politisch volatilen Zeiten eine gefühlte Ewigkeit. Und Erfolge können täuschen, denn sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein lag die CDU nur wenige Prozente vor der SPD und selbst das sehr starke FDP-Ergebnis in NRW reicht nur für die knappe Mehrheit einer Zwei-Parteien-Koalition.

Doch ist es sehr wahrscheinlich, dass sich das Narrativ eines unvermeidlichen Wahlsiegs von Kanzlerin Merkel verfestigt und die ehr geringen Chancen des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz noch weiter vermindert. Die SPD muss jetzt offensiv, klar und gleichzeitig überlegt agieren – keine beneidenswerte Aufgabe für Kandidaten und Partei.

Fragen zur Wahl:

Schwarz-Gelb oder GroKo?

Schwarz-Gelb für NRW, sonst wäre es nur ein halber Wechsel. Wichtiger für den Bund wird Schleswig-Holstein und da wird es einen Jamaika-Versuch als Test für Berlin geben.

Bundestrend oder Kraft vs Laschet?

Der Bundes-Trend war gut für die CDU, der Landes-Trend war gegen SPD und Grüne.

Wahlkampf: Fokus mehr Themen? Oder auf Personen? Und welche?

Beides. Die CDU hat offensichtlich ihr Gleichgewicht gefunden (und die CSU sollte für den Erfolg kooperativ bleiben). Die SPD benötigt mehr Schulz, mehr Team und mehr Mitte-Themen. Die FDP muss aufpassen, dass dem Lindner-Wahlkampf nicht vorzeitig Themen und Wahrnehmung ausgehen. Die Grünen sollten einen personellen und inhaltlichen Reset versuchen.

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Klas Roggenkamp

Klas Roggenkamp

… macht wahl.de seit 2005, seit 2016 für appstretto. Verbindet Digital & Politik zu erfahrbaren Angeboten – technisch, inhaltlich, optisch. Wahlkampferprobt und agenturerfahren.
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