Es war nicht gerade eine Sturmflut, von der die Küsten-Koalition weggespült wurde. Aber für die SPD kommt das Wahlergebnis zur Unzeit – und vergrößert die Lücke, die sich nach dem Abebben der Schulz-Euphorie zeigt. Anstelle des erwarteten Amtsbonus von Albig schwebt weiterhin der Merkel-Effekt über allem, auch wenn gerade die CDU ihre Kampagne als ausschlaggebend hervorhebt. In der Quintessenz aber dürfen nun FDP und Grüne unter sich ausmachen, wer sich ins andere „Lager“ zwecks Regierungsbildung aufmacht.

Für eine andere, nicht primär wahlkampfgetriebene Einschätzung hat sich wahl.de im politischen Berlin umgehört und einige Politikberater gefragt, wie das Schleswig-Holstein-Ergebnis zu deuten ist.

Ampel oder Jamaika

Jörg Ihlau von Serviceplan erwartet eine Jamaika-Koalition und meint, „ Sozialliberale Optionen braucht es vielleicht noch anderswo.“ „Mit den pragmatischen Grünen und der starken FDP wäre das tatsächlich neu.“ unterstützt auch Kommunikationsberater Christof Fischoeder. Für Axel Wallrabenstein von MSL wäre das sogar „eine ernsthafte Option für den Bund im September.“ Sebastian Frevel von der Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft sieht das ähnlich, betont aber mit Blick auf die bunten Konstellationen mit liberaler Beteiligung: „die FDP geht mit mehreren Optionen in die Bundestagswahl“. In die entgegengesetzte Richtung schaut Hendrik Hagemann von FleishmanHillard und mutmaßt, ob es nicht ggfs. auch zu einer „schwarzen Küstenkoalition“ kommen könne. Neben Koalitionen überlegt Manuel Adolphsen von Panke auch andere Köpfe und hält eine „Ampel, unter Führung Ralf Stegners“ für möglich.

Bundestrend oder Albig-Effekt

„Die Union hatte ihren Schulz-Effekt“ findet Ihlau mit Blick auf Daniel Günther als „neues Gesicht, das noch keine Zeit hatte, Fehler zu machen“. „Schulz war kein Thema.“ meint auch Wallrabenstein, der insbesondere einen Merkel-Effekt sieht. „Albig verspielte den ohnehin nicht großen Amtsbonus“ stellt Adolphsen fest – deutlicher wird Hagemann: „Albig hat es versemmelt“. „Spätestens seit Rudolf Scharping hätte Ministerpräsident Albig wissen müssen, dass eine homestory in der Bunten in der heißen Wahlkampfphase nach hinten los gehen kann.“ erinnert Frevel an einschlägige SPD-Erfahrungen. Für Fischoeder zeigt sich in den Wahlergebnissen doch ein Trend, für die SPD: nach unten, denn es fehle „die Vision und Umsetzungsstärke vor Ort“.

AfD: gut oder schlecht

Ganz knapp drüber, aber ganz deutlich einstellig – trotzdem sind sich alle einig, dass das Ergebnis weder ein Sieg für oder gegen die AfD ist. Auch wenn sich der Spitzenkandidat im Nachwahlinterview bereits für seine Seriösität [sic!] rechtfertigen muss, nicht zuletzt im Lichte des letzten Bundesparteitags ist die Partei nurmehr in den Parlamenten angekommen, wo sie weiter unter kritischer Beobachtung bleibt.

Die Aussagen im Wortlaut:



Jörg Ihlau

Geschäftsführer, Serviceplan Public Opinion


Die FDP wird über die Koalition entscheiden. Da gibt es keine Logik, die für eine Ampel spräche, warum die Nähe zum Verlierer suchen? Sozialliberale Optionen braucht es vielleicht noch anderswo.

Auch in Kiel haben die Köpfe entschieden. FDP und Grüne hatten starke Figuren. Und die Union ihren Schulz-Effekt: Ein neues Gesicht, das noch keine Zeit hatte, Fehler zu machen oder langweilig zu werden.

Fragen zur Wahl:

Ampel oder Jamaika?

Jamaika

Bundestrend oder Albig-Effekt?

beides

AfD: gut, weil schlechtes Ergebnis – oder schlecht, weil gutes Ergebnis?

schlecht, weil nirgends die Chance größer war auf einen Landtag ohne AfD


Axel Wallrabenstein

Chairman, MSLGROUP Germany GmbH


Die CDU hat in den letzten Wochen extrem aufgeholt. Die SPD verloren. Das lag sowohl am Ministerpräsidenten und seinen schlechten persönlichen Umfragewerten im Verlgeich zu einem Newcomer, als auch an den hervorragenden Imagewerten der Bundeskanzlerin und damit Rückenwind aus Berlin. Schulz war kein Thema.
Ich schätze, daß es zu einer Jamaika-Koalition kommt. Die Küstenkoalition wurde klar abgewählt. Die FDP dürfte große Probleme haben ernsthaft mit SPD und Grünen zu koalieren, zumal die SPD klarer Wahlverlierer ist.
Jamaika wäre damit auch eine ernsthafte Option für den Bund im September.
Daß die AfD den Einzug knapp geschafft hat ist ärgerlich. Allerdings sind knapp 6% überschaubar wenig im Vergleich zum Anspruch. Die Linke kam erst gar nicht ins Landesparlament. Somit sind extreme Parteien unter 10%. Ein gutes Signal.
Interessant, daß im Wahlkampf „Tür zu Tür“ und digitales Campaigning medial einen solchen Niederschlag fanden. Das dürfte auch am kommenden Sonntag in NRW der Fall sein. Kampagne bewegt wieder Wahlen.


Christof Fischoeder

Kommunikationsberater


Der Amtsbonus hat der SPD in Schleswig Holstein nicht geholfen. Also liegt das Problem nicht bei Schulz, sondern bei der regierenden Koalition. Insbesondere das gute Abschneiden der Grünen gegen den Bundestrend legt die Probleme offen: Albig ist an Albig gescheitert. Eine besondere Leistung liegt bei Daniel Günther, der mit Charme und Energie der CDU den Wahlsieg beschert hat.
Mit Blick auf die NRW-Wahl zeigt sich, dass die SPD zwar mit der Aufstellung Schulz wieder ideologisch polarisiert hat, das aber in den Bundesländern nicht positiv auf die Straße bringt. nach den Jahren großer Koalition suchen die Menschen zwar die Gegensätze, was den Zuspruch für Schulz ausmacht. Bei der konkreten Wahl vor Ort suchen sie aber die Kümmerer mit Vision.

Fragen zur Wahl:

Ampel oder Jamaika?

Ich halte Jamaika für ein spannendes Experiment. Mit den pragmatischen Grünen und der starken FDP wäre das tatsächlich neu.

Bundestrend oder Albig-Effekt?

Das Versagen der SPD an der Saar, in Schleswig Holstein und der Blick auf NRW zeigen die Schwäche der SPD nach den Jahren der großen Koalition, es fehlt die Vision und Umsetzungsstärke vor Ort.

AfD: gut, weil schlechtes Ergebnis – oder schlecht, weil gutes Ergebnis?

Man muss über Rechte nicht reden!


Hendrik Hagemann

FleishmanHillard


Zunächst lässt das Wahlergebnis erkennen, dass ein baldiges Ende der Ära Schäuble damit wohl in immer weitere Ferne rückt – dies ist insbesondere im Hinblick auf Finanzkunden von Bedeutung, die ein solches herbeisehen. Des Weiteren werden vor allem die Konsequenzen interessant sein, die die SPD aus dem Wahlergebnis zieht: setzt sich hier der linke Flügel durch, könnte dies der SPD bei der Bundestagswahl Wahlergebnisse um 20 % plus x bescheren. Alternativ könnte die SPD auch eine Strategie wählen, die mehr auf die Mitte abzielt (konkret: umfangreiche Steuersenkungen für die Mittelschicht, Leistungssenkungen, proaktive Industriepolitik). Dies erscheint jedoch wenig wahrscheinlich, da es hierfür ein Politiker im Format von Emannuel Macron bräuchte – unser Mann aus Würselen besitzt hierfür wohl nicht die notwendige Grandeur. Darüber hinaus steht abzuwarten, was die GRÜNEN auf Bundesebene aus dem Wahlergebnis in Schleswig-Holstein machen. Diese haben sich bedauerlicherweise, aufgrund ihres Urwahlentscheids in eine Sackgasse begeben. Jedoch demonstriert die Landtagswahl im Norden hier einmal mehr, dass ein populärer Kandidat doch nicht so unerheblich ist um Wahlen zu gewinnen …

Fragen zur Wahl:

Ampel oder Jamaika?

Jamaika (halte Große Koalition aber für wahrscheinlicher – ggfs. auch schwarze Küstenkoalition)

Bundestrend oder Albig-Effekt?

Beides: Albig hat es versemmelt, und der Bundestrend hat ihm nicht geholfen (dasselbe wird in NRW auch passieren)

AfD: gut, weil schlechtes Ergebnis – oder schlecht, weil gutes Ergebnis?

Schlecht, weil zu gutes Ergebnis (5 % Hürde überschritten)


Manuel Adolphsen

Director, Panke


Der Ausgang der Schleswig-Holstein-Wahl hat zu großen Teilen mit Schleswig-Holstein zu tun. Torsten Albigs Kampagne lief dort zuletzt nicht mehr rund und verspielte den ohnehin nicht großen Amtsbonus, während die CDU ein auch für SPD-Wähler überraschend attraktives politisches Angebot präsentierte. Welche Koalition jetzt kommt, ist mit Stand Montagmittag schwer zu sagen – ein Tipp wäre eine Ampel ohne Torsten Albig, also unter Führung Ralf Stegners. Letztlich werden Robert Habeck und Wolfgang Kubicki das ausdealen. Bei der AfD kann man klar von einem Misserfolg sprechen, sie hatte sich mehr erwartet und war vor der Wahl siegessicher aufgetreten. Aus demokratischer Perspektive kann man hier also von einem „guten“ Ergebnis sprechen – auch wenn nach dieser Sicht jede Stimme für die AfD natürlich schon eine Stimme zu viel ist.

Fragen zur Wahl:

Ampel oder Jamaika?

Tipp: eine Ampel ohne Torsten Albig, also unter Führung Ralf Stegners. Letztlich werden Robert Habeck und Wolfang Kubicki das ausdealen.

Bundestrend oder Albig-Effekt?

Tendenziell Albig Effekt

AfD: gut, weil schlechtes Ergebnis – oder schlecht, weil gutes Ergebnis?

Schlecht.


Sebastian Frevel

Geschäftsführer, Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft


Klarer Wahlverlierer ist die SPD

Die Wahlschlappe von Ministerpräsident Albig und Landesvorsitzenden Stegner hat mehr vermasselt als die Weiterführung der sog. „Küstenkoalition“ in Kiel. Zum zweiten Mal in Folge hat der Martin-Schulz-Effekt nicht gezogen.

Zu einem großen Teil war die SPD-Wahlschlappe hausgemacht. Spätestens seit Rudolf Scharping hätte Ministerpräsident Albig wissen müssen, dass eine homestory in der Bunten in der heißen Wahlkampfphase nach hinten los gehen kann. Ich ziehe mal zu meiner Geliebten, weil meine Ehefrau als Nur-Hausfrau nicht mehr mit mir auf Augenhöhe ist, hat nicht nur weibliche Wählerinnen verärgert und irritiert. Der SPD-Linke Ralf Stegner hat in seiner schnodderig-arroganten Art im konservativen Schleswig-Holstein nur ein Angebot an linke Wähler gemacht. Mit Gerechtigkeit für Alle und Abschiebestopp für Afghanistan sind aber keine Mehrheiten zu gewinnen.
Aber natürlich ist die Wahlniederlage der SPD in Schleswig-Holstein auch die Niederlage von Martin Schulz. Er war viel unterwegs in Schleswig-Holstein, hat tapfer Kieler Sprotten verspeist, aber begeistern und mobilisieren konnte er im kühlen Norden nicht.

Die Träume von rot-rot-grün, die insbesondere die SPD-Linke beflügelt hatten, sind nach der Wahl in Schleswig-Holstein aber auch mit der unverhohlenen Ablehnung des französischen Präsidenten Macron durch Spitzenpolitiker der Linken ausgeträumt. Die Bundes-SPD hat bislang inhaltlich wenig zu bieten, auch das hat Schleswig-Holstein gezeigt, mit sozialer Gerechtigkeit allein, ist keine Wahl zu gewinnen. Die strategische Option der SPD reduziert sich wieder auf die Position des Junior-Partners in einer Großen Koalition oder eine rechnerisch mögliche Ampel.
Setzen kann die SPD nicht auf eine Ampel-Option, sie muss jederzeit damit rechnen, dass die FDP sagt, Ampel schließen wir auf Bundesebene aus.

Wir suchen uns einen Ministerpräsident aus

Erfrischend offen und witzig waren die Auftritte von Robert Habeck (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) am Wahlabend. Sie versicherten vor laufenden Kameras grinsend, dass sie natürlich miteinander Politik machen können und vermittelten die Eindruck, sie treffen sich nach der NRW-Wahl auf ein Flens (Flensburger Bier) und überlegen gemeinsam, wer der nächste Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wird.
Robert Habeck hat auch am Wahlabend den Bundesgrünen vorgeführt, wie erfolgreiche Politik geht. Kein FDP-bashing, offen für alle Koalitionen, die großen gesellschaftlichen Fragen in den Mittelpunkt stellen.

Wolfgang Kubicki musste verschmerzen, nicht 1. Königsmacher zu sein, er konnte aber mit dem hervorragenden zweistelligen Ergebnis seine bundespolitische Bedeutung unterstreichen.

Jamaika ist wahrscheinlich

Die Grünen werden und müssen ihre Priorität für die Ampel in den kommenden Tagen betonen und auf ernsthafte Verhandlung dieser Option dringen. Am Ende könnte aber doch alles auf Jamaika hinauslaufen. Die Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein wird sich dagegen wehren, dass der Wahlverlierer Albig weiter Ministerpräsident bleibt und die Grünen werden eine Regierungsbeteiligung unter schwarz-grün-gelb nicht verweigern.

Die FDP geht mit mehreren Optionen in die Bundestagswahl: Ampel in Rheinland-Pfalz, Jamaika in Schleswig-Holstein (noch ?) und Regierungsbeteiligung in NRW (?).

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Klas Roggenkamp

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… macht wahl.de seit 2005, seit 2016 für appstretto. Verbindet Digital & Politik zu erfahrbaren Angeboten – technisch, inhaltlich, optisch. Wahlkampferprobt und agenturerfahren.
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