155 Journalisten sitzen in der Türkei in Untersuchungshaft. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist nun einer von ihnen. Doch innerhalb weniger Stunden formierte sich der Protest gegen die Willkür der türkischen Regierung und die Beschneidung des Presserecht – digital.

„Propaganda für eine terroristische Vereinigung“

Yücel, ein Reporter der WELT, befand sich zu Recherche-Zwecken in der Türkei. Die Behörden werfen dem Journalisten die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vor. Yücel hatte über eine Hacker-Attacke auf das E-Mail-Konto des türkischen Energieministers Berat Albayrak berichtet. Albayrak ist der Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Welt hatte dem Artikel im Oktober 2016 veröffentlicht. Bei Wikileaks sind E-Mails aus dem Hackerangriff seit Dezember 2016 öffentlich einsehbar.

Yücel besitzt die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist. Zwei Wochen lang wurde er zunächst festgehalten, seit dem 27. März ist nun klar, dass Yücel nicht so schnell das Gefängnis verlassen wird. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vor. Die Untersuchungshaft kann bis zu fünf Jahre dauern.

Merkel: „Bitter und enttäuschend“

Merkel äußerte sich am noch am selben Abend zu den Vorwürfen. „Die Nachricht […] ist bitter und enttäuschend. Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart.“ Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Justiz in ihrer Behandlung des Falles Yücel „den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft“ berücksichtige. „Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt.“

Deniz’e özgürlük!

Bundesjustizminister Heiko Maas hat das Vorgehen in der Türkei gegen Yücel scharf kritisiert. Der Umgang mit dem Journalisten sei „völlig unverhältnismäßig“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Kritische Berichterstattung ist fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung. Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar.“

Digital für Freiheit

Innerhalb weniger Stunden errichteten sich die Grundmauern des digitalen Protest. Auf Openchange startet der Satiriker Shahak Shapira die Petition „Deniz’e özgürlük! Freiheit für Deniz!“ Auf Deutsch und Türkisch wirbt man unter dem Hashtag #freedeniz für die Freilassung und die Solidarität mit dem Journalisten.

Wer die Petition unterschreibt, den erreicht auch bald eine E-Mail mit den Daten zu folgenden Veranstaltungen am 28. Februar: Autokorsos in ganz Deuschland, Österreich und der Schweiz. Vor der türkischen Botschaft in Berlin wird eine Kundgebung organisiert.

Hier stehen die Oppositionspolitiker Özcan Mutlu und Cem Özdemir auf dem improvisierten Podium eines Kleinlastwagens. Kollegen von Springer, Reporter ohne Grenzen und Künstler bekundeten ihren Prostest. Die Veranstaltung wurde von mehreren Kanälen auf Facebook live übertragen.

Via Twitter teilten in ganz Deutschland Menschen Eindrücke von Autokorsos auf Twitter.

In Berlin wurde dieser jedoch nicht an der türkischen Botschaft vorbei gelassen.

Erdogan gegen das Internet

Erdogan befindet sich im Kampf gegen demokratische Grundrechte – und gegen das Internet. Eine der denkwürdigsten Aussagen bleibt seine Drohung, er könne Soziale Medien wie Facebook oder Twitter schließen lassen.

„Wir werden es nicht gestatten, dass das türkische Volk von diesen beiden Websiten verschlungen wird.“

Zwei Jahre lang war YouTube in der Türkei verboten, weil dort zuweilen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk persifliert oder beleidigt wurde.
In Zeiten, in denen Journalisten in Haft sitzen weil sie ihre Arbeit machen und die Medien nur noch wohlwollend über ihren Präsidenten berichten dürfen, ist die Digitalisierung tatsächlich die letzte große Macht gegen Erdogan.

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Helena Serbent

Helena Serbent

Seit ihrem Volontariat bei Media Partisans arbeitet Helena Serbent für „wahl.de“ und moderiert bei ALEX Berlin die Talksendung „Kopf.Hörer“. Ihre Schwerpunkte sind Politik und Digitalisierung.