Das Verfassungsreferendum in der Türkei war knapp. Zu knapp, wenn es nach der Opposition geht. 51,4 Prozent der türkischen Staatsangehörigen haben mit “evet” (zu deutsch “ja”) gegen ein parlamentarisches Regierungssystem und für ein Präsidialsystem gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei 87 Prozent. In Istanbul, Ankara und Izmir, den drei größten Städten des Landes überwogen die Gegner des geplanten Systems.

Die Exekutivbefugnisse sollen nun gebündelt werden, womit der Einfluss des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan deutlich steigen wird.

“Hayir” zur Neuauszählung

Nach dem umstrittenen und knappen Sieg der “Evet”-Stimmen hat die Wahlkommission Anträge der Opposition auf Annullierung der Abstimmung zurückgewiesen. Nur eins von zehn Mitgliedern Wahlkommission habe die Opposition unterstützt. Die spricht weiterhin von Wahlbetrug und auch die OSZE fordert die Neuauszählung der Stimmen.

Die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP, die größten Oppositionsparteien im Land, und die außerparlamentarische Opposition hatten die Annullierung wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe beantragt. Eine Begründung ihrer Entscheidungen gab die Kommission bislang nicht heraus, man wollte sie aber nachreichen.

Kein normaler Wahlgang

Die Seriösität des Wahlganges darf angezweifelt werden: Das Gremium entschied Sonntags während der Wahl auch Stimmzettel und Umschläge ohne offizielles Siegel gelten zu lassen. Das Siegel stellt eigentlich sicher, dass keine gefälschten Wahlunterlagen verwendet werden können.

Die OSZE bemängelte, dass die Bedingungen der feindlichen Lager im Wahlkampf ungleich waren. “Hayri” hatte mit Hindernissen zu kämpfen, “Evet” hatte in der Berichterstattung dominiert.

Außerdem hatte das Pro-Lager und auf staatliche Ressourcen zurückgreifen dürfen. Damit habe die Türkei nicht die internationale Standards für eine faire, demokratische Wahl erfüllt. Die deutsche Bundesregierung riet der Türkei auf diplomatischem Wege, die Kritik nicht einfach abzutun.

Desweiteren gibt es unzählige Gerüchte über offenen Wahlbetrug.

Dieses Video soll zeigen, wie “Nein”-Stimmen überstempelt werden.

Tote im Hayir-Lager

In der nähe der osttürkischen Stadt Diyrbakir kam es auf dem Hof einer Schule, die als Wahllokal benutzt wurde, zu einer Schießerei. Dabei kamen drei Menschen ums Leben. Die örtliche Polizei habe den Streit beendet und Verdächtige zum Verhör auf das Revier gebracht.
Auslöser soll das Referendum gewesen sein, da ein „Ja“-Wähler das Feuer auf mehrere „Nein“-Wähler eröffnet habe.

Deutschtürken merhheitlich für Erdogan

In Deutschland hatten türkische Staatsbürger sich größtenteils für das Referendum ausgesprochen. Die Reaktion der Deutschen auf Twitter bewegt sich zwischen Verachtung und Hohn, dass man sich für “eine Diktatur” entschieden habe.

Abschied von Europa?

Die Stimmen, die die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei stoppen wollen, werden lauter. Auch Rechtspopulisten gewinnen dadurch, dass Merkel nach wie vor zu ihrem Deal in der “Flüchtlingskrise” mit der Türkei steht. Erdogan will die Todesstrafe wieder einführen – ein letzer Schritt um sich für immer vom demokratischen Europa abzuwenden.

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Helena Serbent

Helena Serbent

Seit ihrem Volontariat bei Media Partisans arbeitet Helena Serbent für „wahl.de“ und moderiert bei ALEX Berlin die Talksendung „Kopf.Hörer“. Ihre Schwerpunkte sind Politik und Digitalisierung.