67 Jahre ist der Bundestag inzwischen alt und viele Regeln und Rituale ebenfalls. Wenn es nach Norbert Lammert geht, könnten einige wirklich mal in den Ruhestand gehen. Niemand würde sie vermissen. Dazu gehört die „Fragestunde“. Sie findet in Sitzungswochen Mittwochs zu Beginn der Plenarsitzung statt. Der Ablauf ist genau vorgegeben:

MdB Meier will die Regierung etwas fragen und denkt sich zwei Fragen aus, wobei die zwei Fragen durch ein UND mit einer weiteren Frage verbunden werden dürfen und damit vier Fragen gestellt werden können. Diese werden an den Parlamentsdienst der Fraktion gemailt oder gefaxt. Die geben ihr OK. Könnte ja sein, dass man z. B. Regierungs-MdB ist. Dann sollte man mit seinen Fragen die Regierung nicht in die Bredouille bringen. Dann gehen die Fragen in vierfacher Ausfertigung an das Parlamentssekretariat des Bundestages, das die Rechtmäßigkeit der Fragen und die Rechtschreibung kontrolliert. MdB Meier erhält einen Korrekturabzug und gibt wiederum sein Ok zu eventuellen Formulierungsänderungen. Dann tauchen seine Fragen in einer Bundestagsdrucksache auf. Die Bundesregierung lässt das entsprechende Ministerium die Fragen schriftlich beantworten. Sie gehen dann über das Kanzleramt zurück ans Parlament (und kommen auch in eine Bundestagsdrucksache). Dann bekommt der Abgeordnete seine schriftlich beantworteten Fragen zugesandt.

Der nächste Sitzungsmittwoch naht. MdB Meier ist aufgeregt, seine Fragen stehen auf der Tagesordnung der Fragestunde. Der Präsident ruft seine Fragen auf. Meier steht auf und liest der Regierungsbank seine erste Frage vor. Ein/e Staatssekretär/in (oder wenn er ganz viel Glück hat die Ministerin oder der Minister) steht auf und liest ihm die Antwort auf Frage 1 vor, die Meier ja schon kennt, weil er sie vorab erhalten hat. So geht es mit der anderen Frage auch. Also:

Aufstehen, vorlesen, Antwort anhören, vorlesen, Antwort anhören, hinsetzen.

Aber MdB Meier weiß, was gleich kommt. Nach der Verlesung der letzten Antwort darf er nämlich eine Zusatzfrage stellen, die dem Ministerium noch nicht bekannt ist. So ein Knaller, zwei Wochen hatte er darauf gewartet. Er stellt seine Frage und denkt: „Das wird das Ministerium bloßstellen.“ Ein vergebliches Hoffen, denn meistens lässt sich aus den vorherigen Fragen die Zusatzfrage schon erahnen und natürlich sofort beantworten, überraschungsfrei. Oder aber, das Todesurteil:

„Die Beantwortung der Zusatzfrage erfolgt schriftlich.“

Lammert hört auf. Vielleicht kann er nächstes Jahr die Fragestunde einfach mit in den Ruhestand nehmen.

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Kim

Kim

Mitarbeiter bei Bundestagsabgeordneter
Kim ist seit mehr als einem Jahrzehnt Mitarbeiter_in einer Abgeordneten im Bundestag. Auf wahl.de berichtet Kim als Kolumnist_in aus dem politischen Alltag auf 16qm. Stets "Unter drei".
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