Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder Große Koalition? Merkel oder Steinbrück? Steuern rauf oder runter? Ein Großteil der Wahlberichterstattung dreht sich um nationale Themen. Wahlen werden aber auch vor Ort entschieden. Neben möglichen Koalitionen und dem Schlagabtausch zwischen den Spitzenkandidaten der Parteien geht es auch um über 600 Bundestagsabgeordnete, die ihre Region vertreten, über Gesetze entscheiden und den Kanzler oder die Kanzlerin wählen.
Vor der Bundestagswahl ist nach der Parteiwahl. Hinter den Spitzenkandidaten und ihren Fraktionen stehen Parteien und ihre Basis vor Ort. Ehrenamtliche Mitglieder und Funktionäre führen den Wahlkampf vor Ort, kleben Plakate, erstellen Websites, betreuen Informationsstände. In Abstimmungen in Wahlkreisen und Landesparteitagen entscheiden sie auch über die Kandidaten und stellen so bereits maßgeblich die Weichen für jene Volksvertreter, die nach dem 22. September 2013 ihre Arbeit in den Ausschüssen des Bundestages neu- oder wiederaufnehmen und die Geschicke der Bundespolitik in den nächsten vier Jahren mitbestimmen. Weil die Verhältniswahl bei Bundestagswahlen eben doch personalisiert ist, beginnt der Wahlkampf so für den einzelnen Kandidaten bereits sehr weit vor der Wahl.
Durch Analyse der Nominierungen in den Wahlkreisen und Landeslisten, der Erst- und Zweitstimmenergebnisse der letzten und vorheriger Bundestagswahlen sowie aktueller Umfragewerte hat Burson-Marsteller Berlin eine Prognose zur Wiederwahl einzelner Abgeordneter erstellt. Wir haben die Abgeordneten aus den Ausschüssen Wirtschaft, Umwelt, Ernährung und Verkehr untersucht, um zu sehen, wer bleiben wird, wer um seinen Wiedereinzug zittern muss und wer kaum noch Chancen hat.
Durch den Ausgleich von Überhangmandaten bei der Bundestagswahl 2013 wird sich die Anzahl der Abgeordneten wahrscheinlich auf mehr als 670 erhöhen. D.h. die Chancen auf eine Wiederwahl steigen, sofern Abgeordnete von ihrer Partei nominiert wurden.
Viel Kontinuität und ein wenig Wandel
War es bei der letzten Bundestagswahl weniger als die Hälfte der Mandatsträger, die sich über ihren Wiedereinzug freuen konnten, so ist der Wiedereinzug bei dieser Wahl bereits jetzt für deutlich mehr als die Hälfte der Abgeordneten in den betrachteten Ausschüssen wahrscheinlich. Nur knapp ein Viertel der Abgeordneten wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wieder im Parlament vertreten sein. Lediglich für ein Fünftel der derzeitigen Mandatsträger wird es ein wirklich enges Unterfangen.
CDU will keine Experimente, SPD muss um Meinungsführer bangen
Auch dank der guten Umfragewerte liegt die Wiederwahlwahrscheinlichkeit bei Vertretern der CDU/CSU mit gut zwei Dritteln derzeit am höchsten. Dies gilt insbesondere für Schlüsselpositionen – prominente Abgeordnete sind durch traditionell CDU/CSU dominierte Wahlkreisnominierungen und gute Landeslistenplätze abgesichert.
Auch die Sozialdemokraten weisen insgesamt eine voraussichtlich relativ hohe Kontinuität aus. Wichtiges Personal könnte allerdings verloren gehen. So werden mit Dr. Matthias Miersch und Dirk Becker voraussichtlich zwei wichtige Umweltpolitiker um ihre Sitze zittern müssen. Mit Rolf Hempelmann und Martin Dörmann treten zwei erfahrene SPD Wirtschafts- und Energiepolitiker nicht wieder an.
FDP und Grüne verlieren profilierte Köpfe in Kernbereichen
Beim Überspringen der 5%-Hürde wird nur eine vergleichsweise geringe Anzahl liberaler Mandatsträger ihre Arbeit im Bundestag wiederaufnehmen. Das liegt nicht nur an nach wie vor schlechten Umfragewerten. Bereits im Vorfeld, bei der Aufstellung der Landeslisten, wurde einer Vielzahl von FDP-Politikern von ihrer Basis eine Nominierung verweigert. So wurden beispielsweise der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto, sowie Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms von ihren Landesverbänden nicht wieder in aussichtsreicher Position aufgestellt. Beide zogen letztendlich ihre Kandidatur zurück. Bei Wiedereinzug verbleiben der Partei in ihrem Schlüsselgremium, dem Wirtschaftsausschuss, aber voraussichtlich immerhin zwei profilierte Politiker, die Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg und Berlin, Birgit Homburger und Dr. Martin Lindner.
Auch bei den Grünen zeichnen sich entscheidende personelle Veränderungen ab. Im traditionellen Kernpolitikfeld der Grünen, der Umweltpolitik, ist der Verbleib von Dorothea Steiner und Hans-Josef Fell, den beiden wichtigsten Vertretern der Fraktion im Umweltausschuss, eher ungewiss. Dagegen kommen jedoch wahrscheinlich drei der vier Grünen-Ausschussmitglieder im Wirtschaftsausschuss wieder.
Übrigens ist nach unseren Analysen der Wirtschaftsausschuss voraussichtlich der am meisten von personellen Änderungen betroffene Ausschuss. Dies dürfte auch nicht spurlos an dessen inhaltlicher Ausrichtung vorübergehen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Wie auch bei CDU und SPD, scheint die Basis der Grünen insgesamt zufrieden mit der Arbeit Ihrer Vertreter im Bundestag: für über die Hälfte der betrachteten Ausschussmitglieder ist von einer Wiederwahl auszugehen. Wie zu erwarten, weisen jene kleineren Parteien, die laut aktueller Umfragewerte unterhalb ihres Ergebnisses von 2009 liegen, laut Prognose eine vergleichsweise geringere Wiederwahlwahrscheinlichkeit ihrer Vertreter in den analysierten Ausschüssen auf (FDP: 45%, DIE LINKE: 37,5%).
Stabilität wichtig für Parteien
Die Parteien setzen 2013 meist auf Kontinuität und kontrollierte Erneuerung bei den Nominierungen: Stabilität beim politischen Personal zählt. Für viele bisherige Abgeordnete wird es deshalb heißen: auf ein Wiedersehen ab Oktober 2013 in Berlin. Das letzte Wort darüber haben aber wie immer die Wähler.
Christian Thams
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