Der Spieler tippt: Schwarz-Gelb mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Prophet sagt: Schwarz-Grün mit Merkel. Der Analytiker folgert: Schwarz-Rot mit Merkel. Und der Skeptiker? Der erwartet vielleicht sogar Rot-Grün-Links mit Sigmar Gabriel als Kanzler.
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Die Umfragen
Woraus resultiert dieses Dilemma der verschiedenen Vorhersagen und Prophezeiungen? Seit langer Zeit finden Umfrage-Institute keine Mehrheiten mehr, weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Allerdings liegt die Union in den Meinungsumfragen konstant vorne, während am unteren Ende AfD und Piraten nicht in den Bundestag gewählt werden würden. Zudem liegt Angela Merkel in der Kanzlerfrage, die sich nicht auf dem Wahlzettel stellt, in allen Umfragen deutlich vorne. In der Koalitionsfrage, die sich ebenfalls nicht auf dem Wahlzettel stellt, führt hingegen Schwarz-Rot.
Aber noch sind Umfragen nur Umfragen. Denn die Bundestagswahl wird erst in der Hochphase des Wahlkampfes ab Mitte August entschieden. Auf dem Weg zum Wahltag am 22. September gibt es dabei noch zwei bedeutende Ereignisse, die den Ausgang der Bundestagswahl maßgeblich beeinflussen können: das TV-Duell 1. September TV-Duell Merkel-Steinbrück und die Bayern-Wahl am 15. September, die ein wichtiger Stimmungstest sein wird.
Elementar wichtig für die Wahlkämpfer wird zudem die Mobilisierung sein. Denn die Niedersachsenwahl wurde vor allem auch in den letzten Tagen entschieden. Die CDU will nun die Bürger in 10 Millionen persönlichen Gesprächen erreichen, die SPD im Haustür-Wahlkampf an 5 Millionen Türen klopfen. Dazu kommen: Plakatkampagnen, Briefkampagnen, Telefonkampagnen, Internetkampagnen.
Der Wähler und das Momentum
Bei der diesjährigen Bundestagswahl ist der Wähler der Star – und er macht, was er will: Er ist ärgerlich und leicht umzustimmen und leidet unter scheinbar ständigen Stimmungsschwankungen. Er bleibt zuhause und sorgt dafür, dass die Partei der Nichtwähler 30-40 Prozent erreicht. Er kommt spät zur Wahlentscheidung, denn 30 Prozent der Wähler entscheiden in den letzten Tagen. Er hält seiner Partei nicht mehr die Treue (nur noch etwa ein Drittel sind Stammwähler) und wechselt viel (20 Prozent und mehr sind Wechselwähler).
Entscheidend mit Blick auf den wechselhaften und unentschlossenen Wähler wird das „Momentum“ sein, die Wendemarke im Wahlkampf, von der man so gerne in den USA spricht. Was könnten dieses Wendemarken sein? Ein Streit zwischen CDU und CSU und Nervositäten vor der Bayern-Wahl. Ein Streit in der SPD um Steinbrück und mangelnde Geschlossenheit bei den Genossen. Zudem tauchen immer wieder neue Themen und unvorhergesehene Ereignisse auf: momentan ist es der PRISM-Skandal, es gab und gibt die Eurokrise, Energiepannen, Skandale, schlechte Wirtschaftszahlen, AfD über 5 Prozent in Umfragen – oder Piraten über 5 Prozent. Wir warten auf die Sommerüberraschung.
Die strategischen Eckpunkte
Der diesjährige Wahlkampf wird von zwei strategischen Eckpfeilern getragen: der schon erwähnten Mobilisierungsstrategie der Parteien sowie der Personalisierung. In vergangenen Wahlen sah es so aus, als ob der Medienwahlkampf als einziger Weg zum Wähler führen würde, aber das hat sich weltweit gewandelt, ausgehend von Amerika. Dort heißt es „Air War and Ground War“. Über die Massenmedien wird der Wähler direkt, über Dialogmaßnahmen persönlich angesprochen. Was Larzarsfeld und seine Kollegen in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts herausgefunden haben, ist auch die Basis des modernen Wahlkampfs. „More than anything else people can move people“ erkannten sie in ihrem 1944 erschienen Buch The People’s Choice.
2010, fast sieben Jahrzehnte später, beschrieb Obamas Cheforganisator David Plouffe in seinem Buch The Audacity to Win die heute schon legendäre Kampagne von 2008: „People may have lost trust in many of our institutions, but they still trust the people they live with, the people in their communities.“ So hat Obama auch 2012 Wahlkampf gemacht: Über Nachbarschaften. Von der Wahlkampfzentrale Obamas wurden Apps mit Bildern und Personalangaben von anzusprechenden Wählern an Obamas lokale Wahlhelfer verteilt.
Eine spannende Erkenntnis: Menschliche Überzeugungskraft ist stärker als mediale. Für Mitglieder und Anhänger ist das vielleicht unangenehm, plötzlich stehen sie selbst in der Verantwortung, sie können mitentscheiden. Das Motto und die Aufgabe muss also sein: nicht nur beobachtender Zaungast, sondern Vertreter der Partei, Botschafter mit eigenen Aussagen im eigenen persönlichen Umfeld. Sie können Veranstaltungen besuchen, Briefe an Freunde und Bekannte schreiben, Telefonate führen, Straßenwerbung ihrer Partei unterstützen, in sozialen Netzwerken und Foren unterwegs sein, schließlich spenden. So kann jeder Einzelne sichtbar und wirksam sein. Engagement ist angesagt.
Wer wird seine Wähler besser mobilisieren: Union oder die SPD? [Aussage twittern] Beide Wahlkampfzentralen beherrschen das Wahlkampf-Einmaleins unserer Zeit, aber können sie es auch in praktische Wirkung umsetzen? Sie müssen mit einem eigenen Bild vom Wählerverhalten ihre Maßnahmen treffen und nicht so sehr auf Leitartikler und Demoskopen hören, weil auch die erst am Ende alles genau wissen. Wenn es gelingt, in Gesprächen mit der Basis und verbunden mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aller Art ein realistisches Bild von den eigenen Wählern zu entwerfen, kann eine wirksame Mobilisierung erfolgen.
Personalisierung und Mobilisierung
Die Wähler geben immer wieder an, nur politisch-programmatisch zu entscheiden. Dennoch wächst die Zahl der Wähler, für die der Kandidat ausschlaggebend ist. 2009 haben nach eigenen Angaben 33 Prozent der Unionswähler die Partei wegen Merkel gewählt. Bei dieser Bundestagswahl wird der Anteil der Merkel-Wähler wohl über 40 Prozent steigen. [Aussage twittern]
Man muss aber beachten, dass es Forscher gibt, die eine Bindung an eine Partei eng mit der Kompetenzzuweisung und der Parteienpräferenz verbinden. Einfach gesprochen: Viele finden auch eine Kandidatin oder einen Kandidaten gut, weil er aus ihrer Partei kommt.
Zudem werden die Medien den Wahlkampf personalisieren. Trotz sozialer Netzwerke undd direktem Kontakt an der Haustür: Natürlich wird der Wahlkampf auch in den Medien geführt, die Medien werden sich stark einmischen. Hier treten die Kandidaten auf, hier wird für politische Themen der Rahmen gesteckt, hier findet immer noch das Agenda-Setting statt. Stimmungen kommen daher meist aus den Medien.
Zudem wird 2013 der Online-Wahlkampf als fester Bestandteil jeder Kampagne endgültig in die deutsche Wahlgeschichte eingeführt. Die Fingerübungen der Parteien aus früheren Wahlkämpfen sind vorbei, der Internetwahlkampf wird ein Faktor der Wahlkampfführung. Alle Parteien sind in sozialen Netzwerken aktiv, ob Facebook, Twitter oder YouTube.
Für die Stimmung und Mobilisierung im Wahlkampf wird entscheidend sein, ob dem Wähler Entscheidungsfragen gestellt werden. Wird es ein großes Thema geben, oder bleibt es beim Klein-Klein und Hick-Hack von Tag zu Tag? Große Themen gibt es eigentlich genug: Energie, Steuergerechtigkeit, Bildung, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, und und und. Der Wähler wartet in der nun bald startenden entscheidenden Phase des Wahlkampfes auf klare Ansagen – und den direkten Kontakt mit den Parteien. [Aussage twittern]
Es wird spannend.
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