In etwas mehr als 70 Tagen wird gewählt. PRISM könnte den bisher einschläfernden Wahlkampf nun aufmischen, weil ein solcher Skandal eine Chance für die Opposition ist. Wenn sie es denn schafft, die Entwicklung zu nutzen. Bisher gibt es keinen klaren Gewinner. Surfen die Grünen erfolgreich auf der Empörungswelle und mobilisieren mit einer klassischen Grassroots-Kampagne die Wähler?
Die Entdeckung der digitalen Wähler
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist Konsens und in allen politischen Lagern unumstritten. Das ursprünglich analoge Grundrecht spielt zunehmend auch beim digitalen Datenschutz eine Rolle – bei 31 Millionen Smartphone- und 26 Millionen Facebook-Nutzern in Deutschland kein Wunder.
So umgarnen die Parteien den digitalen Bürger mehr denn je: In den Programmen für die anstehende Bundestagswahl spielen digitale Themen eine weit größere Rolle als im Bundestagswahlkampf 2009, sind also kein „Neuland“ mehr.
Es schien auch bei digitalen Themen einen relativ breiten Konsens zu geben und so gingen sie im Wahlkampf bislang unter. Bis PRISM bekannt wurde und der Skandal den Wählern bewusst machte, dass sie Bürger in einer digitalen Welt sind – mit allen Vorteilen und Risiken.
CCBY See-ming Lee / SML Photography / SML Universe Limited
Datenschutz als digitales Bürgerrecht
Der US-Geheimdienst NSA überwacht die Welt – und anscheinend auch Millionen Deutsche. Bislang waren Netzthemen oftmals nur für die digitale Avantgarde relevant und meist waren Aktivitäten von Unternehmen Anlass für Aufreger, auch wenn die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung schon zeigte, wie sensibel Bürger bei ihren Daten sein können.
Allerdings galten digitale Themen lange nicht als wahlentscheidend. Das änderte sich kurzzeitig mit dem Auftauchen der inzwischen fast schon vergessenen Piraten-Partei.
PRISM betrifft jeden und macht Digitales wieder kampagnenfähig.
Auf den ersten Blick hat PRISM bei den Parteien trotz der allseitigen Bekenntnisse zu Datenschutz und Privatsphäre keinen wirklichen Gewinner. CDU/CSU und FDP sind als Regierungsparteien bei aller offiziellen, durchaus scharfen Kritik bisher nicht in der Lage, PRISM positiv zu wenden – wenig überraschend, müssen sie doch Staatsräson und diplomatischen Beziehungen ein großes Gewicht einräumen.
Die SPD tut sich schwer mit mobilisierender Kritik. Zu sehr scheint die Partei mit sich beschäftigt, um trotz des Engagements ihres Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel in der FAZ dieses Thema wirksam zu nutzen.
Für Abwechslung sorgen die Grünen und wagen sich mit einer kontroversen Grassroots-Kampagne für den „Whistleblower“ Snowden vor. Er sitzt derzeit angeblich noch auf dem Moskauer Flughafen fest – die Grünen wollen ihm politisches Asyl anbieten. Mit Plakatmotiven und einer breiten viralen Kampagne im Internet wollen sie Druck auf die Regierung Merkel aufbauen und riskieren damit durchaus gewollt einen öffentlichkeitswirksamen Affront gegenüber den USA, der im eigenen Lager und darüber hinaus Wähler mobilisieren könnte.
Es wäre interessant zu sehen, wie zum Beispiel die FDP als ihrem Verständnis nach traditionelle Partei der Bürgerrechte im Licht von PRISM digitale Bürgerrechte mit Regierungshandeln, Außenpolitik und innerer Sicherheit in Einklang bringt. Das wäre zwar nicht ganz so aufsehenerregend wie die Aktion der Grünen, sollte aber die Wähler der sagenumwobenen Mitte ansprechen, die Bürgerrechte und Sicherheit schätzen.
Bisher gab es noch keinen Gewinner der Debatte um PRISM, aber für Regierung und Opposition steht einiges auf dem Spiel. Wenn PRISM also dazu beitragen würde, den politischen Wettbewerb um Bürgerrechte in der digitalen Welt im Wahlkampf zu befördern, dann hätte das Ganze wenigstens eine gute Seite gehabt.
Christian Thams
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