Das transatlantische Freihandelsabkommen wird sich wahrscheinlich stärker im Geldbeutel der Wähler auswirken als Energiewende oder Mindestlohn. Dennoch wird es im Wahlkampf kaum thematisiert.
Im Juli dieses Jahres begannen im Rahmen der Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) offizielle Gespräche über das Transatlantische Freihandelsabkommen. Damit entstünde die größte Freihandelszone der Welt, die jedem privaten Haushalt in der EU durchschnittlich 545 Euro zusätzlich pro Jahr einbringen und mehr als zwei Millionen neue Jobs weltweit schaffen würde. Die Partnerschaft hat jedoch überraschend wenig Aufmerksamkeit im Wahlkampf erhalten – denn das Augenmerk liegt bei innenpolitischen Themen. Wenn es um Außenpolitik ging, dann meistens um die Europapolitik und die Eurokrise oder den Syrien-Konflikt.
Das Freihandelsabkommen soll Handelshindernisse zwischen der EU und den USA beseitigen. Das soll den Handel und die Zusammenarbeit zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten beschleunigen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass ein Abkommen das Pro-Kopf-Realeinkommen in Europa um 4,95 Prozent steigern würde. Für Deutschland werden 181.000 neue Arbeitsplätze prognostiziert. Die Partnerschaft könnte in einer Zeit, in der die Wachstumsraten der USA und der EU im Vergleich zu denen der Schwellenländer zurückgehen, den vielbeschworenen ökonomischen Aufschwung mit sich bringen. Obwohl das Freihandelsabkommen auf viele Industriezweige massive Auswirkungen hätte, wurde es im Wahlkampf kaum diskutiert. Es beträfe Regulierung im Bereich Online-Handel, im Außenhandel, Urheberrecht, Datenschutz und vielen weitere Themen.
Als führende Wirtschaftskraft in Europa ist gerade für Deutschland das Freihandelsabkommen von großer Bedeutung. Für die Zukunft der Partnerschaft spielt es eine entscheidende Rolle, wie aktiv sich die neugewählte Bundesregierung für das Freihandelsabkommen einsetzen wird und inwiefern andere internationale Themen wie die NSA-Spähaffäre oder die Syrien-Krise einen Einfluss auf die Agenda haben.
Doch was wollen eigentlich die Parteien?
Traditionell genießen bei der Union gute transatlantische Beziehungen einen hohen Stellenwert. Entsprechend ambitioniert geht Merkels Bundesregierung eine Freihandelspartnerschaft an. Trotz der Enthüllungen zu den Aktivitäten der NSA möchte die Bundesregierung an ihren Plänen festhalten und die Themen trennen.
CC BY-SA-2.0 jnn1776
Anders die SPD
Sie hat zwar grundsätzliche Unterstützung für die Partnerschaft geäußert. Doch im Zuge der Spähaffäre rief Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zum Aussetzen der Gespräche auf: „Ich würde die Verhandlungen so lange unterbrechen, bis ich von den Amerikanern weiß, ob deutsche Regierungsstellen und ob auch europäische Einrichtungen verwanzt sind und abgehört werden.“ Nicht nur ist das Freihandelsabkommen für die SPD Verhandlungsmasse in einem mit anderen Schwerpunkten ausgestatteten transatlantischen Dialog – auch für Freihandelsabkommen selbst sieht sie andere Schwerpunkte. Für sie spielen Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder der Produktionsbedingungen eine größere Rolle. Dennoch beschäftigt sich die SPD weniger mit internationalen Themen, sondern mehr mit einer sozialgerechteren Steuerreform oder der Arbeitsmarktpolitik und der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes. Auch ein Mitregieren der Grünen könnte aufgrund ihres geringen transatlantischen Profils sowie ihrem starken Fokus auf Verbraucher- und Datenschutz ein Inkrafttreten des Freihandelsabkommens – zumindest mit dem bisher anvisierten Schwerpunkt – erschweren. Spätestens seit der NSA-Spähaffäre könnte sich dies zum Knackpunkt entwickeln.
Ein Freihandelsabkommen hätte starke Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland.
Der Ausgang der bevorstehenden Wahlen wird maßgeblich den Weg bestimmen, den Europa dabei einschlagen wird: Die derzeitige Koalition ist sehr an einer Freihandelspartnerschaft interessiert. SPD und Grüne sehen außenpolitisch andere Schwerpunkte. So unterschiedlich die Ansätze der Parteien in der Frage sind, so verwunderlich scheint es, dass das Thema im Wahlkampf eine so geringe Rolle spielt.
Hierfür sind mehrere Gründe ausschlaggebend:
Zum einen ist ein Freihandelsabkommen kein Gewinnerthema: der Nutzen bleibt zu abstrakt, die einzelnen Aspekte sind zu komplex. Die transatlantische Partnerschaft ist heute nicht mehr kontrovers – trotz PRISM. Zum zweiten führt die Union einen sehr personalisierten Wahlkampf. Themen spielen hier allgemein kaum eine Rolle – stattdessen gibt sich Merkel präsidial. Statt Themen zu setzen, werden Angriffe der Opposition aufgegriffen und besetzt – über die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung der Union wurde schon früh viel geschrieben.
Die Opposition fokussiert im Wahlkampf hingegen auf innen- und wirtschaftspolitische Themen. Steinbrücks ausgeprägte Wirtschaftskompetenz ist einer der großen Aktivposten der SPD in diesem Wahlkampf. Diesen kann er in erster Linie bei Arbeitsmarktthemen ausspielen und indem er sich inhaltlich in Fragen der Eurokrise einbringt. Eine Debatte um das Freihandelsabkommen passt nicht zu den Themen, mit denen die SPD angreift.
Das Freihandelsabkommen und die transatlantischen Beziehungen sind politisch „alternativlos“ – wie die Euro-Hilfspakete. Daher spielt das Thema in diesem Wahlkampf keine Rolle. Für die EU ist die Transatlantische Handels- und Investmentpartnerschaft TTIP zentral. Sie wird auch die neue Bundesregierung beschäftigen und sollte eine ihrer Prioritäten sein. Einzig im Stil der Verhandlungen sind sich die Parteien uneins.
Christian Thams
Neueste Artikel von Christian Thams (alle ansehen)
- Klare Kante im Norden – Landtagswahl in Schleswig-Holstein - 15. März 2017
- Kaum eine Wahl beim transatlantischen Freihandelsabkommen - 20. September 2013
- Washington: It’s Merkel, stupid. - 27. August 2013
0 Kommentare
Kommentar schreiben