Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist der umstrittene Versuch von Noch-Justizminister Heiko Maas, Hasskommentare im Internet einzudämmen. Seit heute ist das Gesetz inkraft – und zeigt schon erste Reaktionen. Facebook und Google verzeichnen in ihren sozialen Netzwerken nun die Adressen von rechtlichen Ansprechpartnern in Deutschland. Damit kommen sie einem der zentralen Paragraphen nach.

Was steht eigentlich drin?

Das Gesetz ist vor allem eine staatliche Antwort auf die Lethargie der Internet-Giganten, die mit der selbstständigen Löschung von Hatespeech einen zu laxen Job getan hatten. Trotzdem scheinen auch kleinere Netzwerke wie reddit, tumblr, flickr und die Video-Plattform vimeo von der neuen Rechtslage betroffen zu sein. Das berichtet der SPIEGEL unter Berufung auf interne Informationen.

Ein Abschnitt erfordert von den betroffenen Firmen, einen dauerhaft erreichbaren rechtlichen Ansprechpartner in Deutschland bereitzustellen. Nutzer mit Beschwerden oder Ermittler, die Auskünfte verlangen, müssen dort innerhalb von 48 Stunden bedient werden. 

„Offensichtlich rechtswidrige Verstöße“ müssen von den sozialen Netzwerken innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, sonst drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro.
Sollte die Rechtswidrigkeit eines Verstoßes nicht offensichtlich sein, sodass sich die Netzwerke eine Bewertung darüber nicht selbst zutrauen, kann der Fall innerhalb von sieben Tagen an eine „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ weitergereicht werden. Diese vom Bundesamt für Justiz kontrollierte Institution fällt dann eine Entscheidung, der sich das Unternehmen zu unterwerfen hat.

Was war zuvor passiert?

Bereits Anfang April wurde das Gesetz vom Bundestag verabschiedet, schon damals gab es starke Proteste von mehreren Seiten. Zu den Kritikern zählten Industrie- und Medienverbände, aber auch journalistische Zusammenschlüsse wie Reporter ohne Grenzen. Deutliche Worte kamen auch aus dem parlamentarischen Inneren. So stellte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ernüchtert fest:

“Im Ergebnis kann in den Vorgaben des § 3 NetzDG-E ein Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit erkannt werden. Dieser Eingriff erscheint nach Abwägung der erörterten Belange nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein.”

Nach diesem Gutachten entschied sich das Justizministerium dafür, einige Änderungen vorzunehmen. Gestrichen wurden nun z.B. der Straftatbestand der Beleidigung des Bundespräsidenten, wie auch die von Digitalaktivisten massiv kritisierten Upload- und Inhaltsfilter. Dabei handelt es sich um Automatismen, die mutmaßlich illegale Inhalte erkennen, löschen und mit einem Uploadfilter belegen, der verhindert, dass sie erneut hochgeladen werden. Problematisch daran ist, dass so die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Löschung durch juristische Instanzen ausgehebelt werden würde.

Die größte und von vielen Seiten mit Zuspruch bedachte Änderung bestand in der Neudefinition des Anwendungsbereiches. Messenger-Dienste wie Whatsapp und Telegram, aber auch persönliche Kommunikation via E-Mail, sind vom NetzDG nicht betroffen. Doch das reicht vielen Kritikern nicht.

Was sind die Probleme?

Einer dieser Kritiker ist Volker Tripp. Der politische Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, der sich für Bürgerrechte und Verbraucherschutz in der Netzpolitik engagiert, erläutert in einer Stellungnahme des Vereins Ende Juni auch die problematische Situation für die Konzerne:

“Die von dem Gesetz ausgehende Gefahr für die Meinungsfreiheit ist alles andere als gebannt, da die Unternehmen immer noch dazu verpflichtet sind, komplexe juristische Prüfungen unter gesetzlich verordnetem Zeitdruck durchzuführen.”

Das kann dazu führen, dass diese im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig löschen; „Overblocking“ nennt sich dieser Effekt. Dieser Zweifelsfall wird einerseits durch die hohen Bußgelder bei Untätigkeit, andererseits durch den schwammigen Gesetzestext gefördert. Denn der lässt konkrete Definitionen und Beispiele dafür missen, was denn offensichtlich rechtswidrige Verstöße genau sind.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Privatisierung von Löschungen. Denn die Einrichtung der regulierten Selbstregulierung, an die sich die Unternehmen bei Unklarheit wenden können, wird zwar vom Bundesamt für Justiz überwacht, letztendlich aber von den Unternehmen selbst betrieben. Das erzeuge Intransparenz, merkt Reporter ohne Grenzen an. Es sei nämlich nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien wird dort entschieden werden würde.

Wo herrscht noch Unklarheit?

Bis jetzt weiß niemand genau, wer vom NetzDG letztendlich betroffen sein wird. Das ist insofern problematisch, als dass die offizielle Übergangsphase am ersten Januar nächsten Jahres zu Ende geht. Ab dann müssen alle Unternehmen einen funktionierenden Plan zur Umsetzung aufgestellt haben. Sonst heißt es tief in die Tasche greifen. Für Milliardenunternehmen wie Facebook, Google und Co. wird das nicht allzu problematisch werden. Schwierigkeiten stehen vor allem für die „kleinen“ Netzwerke mit knapp über zwei Millionen deutschen Mitgliedern an. Wer in diese Kategorie fällt, weiß womöglich noch nichts davon. Dazu zitiert der SPIEGEL das Bundesjustizministerium:

Die Auswahl betroffener Netzwerke liege im „Ermessen des Bundesamts für Justiz. Demzufolge wird es erst nach Aufnahme der Tätigkeit des BfJ möglich sein, dazu eine abschließende Aussage zu treffen.“

Auch, wie sich fälschlicherweise Betroffene gegen die Löschungen wehren können, lässt das Gesetz offen. Auf Twitter ruft der Deutsche Journalistenverband dazu auf, die Löschungen zu dokumentieren. Auch Netzpolitik.org rät dazu, die Löschungen auf der Website onlinecensorship.org zu speichern.

Die größte Frage aber müssen die Koalitionsverhandlungen beantworten. Hier klärt sich nämlich die Frage, welche Zukunft das Gesetz überhaupt haben wird. Sollten FDP und Grüne die Regierung stellen, könnte Heiko Maas‘ Projekt nämlich schnell ad acta gelegt werden. Entsprechende Stimmen haben sich bereits geäußert.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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