Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ihre Studie „Gewalt im Diskurs. Soziale Medien als Radikalisierungsplattform“ vorgestellt. Die Autoren haben dabei den Diskurs rund um Flüchtlinge in ausgewählten Städten betrachtet und kommen darin zu dem Ergebnis, dass soziale Medien sehr wohl in bestimmten Kontexten zu einer Enthemmung beitragen.

Soziale Netzwerke schaffen eine neue Form des Gemeinschaftsgefühls politisch Gleichgesinnter. Dabei entfällt die Notwendigkeit, an einem gemeinsamen Ort zu sein, denn jeder kann an der digitalen Diskussion teilhaben. Durch Algorithmen wird die eigene Welt-Wahrnehmung verstärkt und bestätigt. Nach den Wahlerfolgen der AFD und der Pegida-Bewegung stellte sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung 2014 der Aufgabe, Zusammenhänge zwischen folgenden Phänomenen zu erörtern: die hemmungslos werdenden Äußerungen gegen Flüchtlinge in den sozialen Medien und die Bereitschaft, geflüchtete Menschen tätlich anzugreifen. Die nun vorgestellte Studie konzentriert sich bei der Untersuchtung dieser Phänomene zunächst auf Bremen, Halle (Saale) und Stuttgart.

Hohe Bereitschaft für Hasskommentare

Das Thema „Flüchtlinge“ wurde insbesondere in Stuttgart hochemotional behandelt, wobei die Intensität der Diskussion in allen drei Städten hoch war. In Bremen wurde weniger alarmistisch kommentiert, aber hier wie auch in Halle und Stuttgart gab es eine ausgeprägte Bereitschaft, das Thema Flüchtlinge mit Hasskommentaren zu würdigen, oftmals auch mit Beiträgen, die als Volksverhetzung strafbar sind.

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Argumentation umso vorurteilsbehafteter wurde, je negativer die allgemeine Wortwahl war. In hitzigeren Diskussionen wurde das Themenspektrum zudem schnell erweitert, also über den eigentlichen Kern des Anstoßes (Flüchtlinge) hinaus.

Geringes Risiko ohne Gruppenzugehörigkeit

Die Kommentatoren äußerten sich zwar radikal und rassistisch beleidigend, jedoch konnte bei ihren Debatten keine „Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit“ erkannt werden. Aus dem Kommentieren heraus entstehen also keine Bewegungen, die mehr tun als – diskutieren.

In den untersuchten Kommentaren zeigt sich ein stark ausgeprägtes Ungerechtigkeitsgefühl: man fühlt sich vom „Mainstream“, von Politik und Medien abgehängt. Dies äußere sich in Wut und Agression. Das Risiko, Worten auch Taten folgen zu lassen bestehe im Umfeld bereits fest organisierte Gruppen Rechtsextremer. Dies ist insbesondere in Halle und Stuttgart der Fall.

Neue Bühne für alte Parolen

Personen ohne Kontakt zu rechtsextreme Organisationen sind deshalb aber nicht pauschal verroht.
Die Angst vor Fremden ist ja nicht neu. Durch starke Migrationsbewegungen werden diese latenten Ängste aber hervorgeholt. Parolen, die früher nur am Stammtisch fielen werden heute als Kommentare unter Beiträge gesetzt. Dabei hat sich die Wortwahl oftmals kaum verändert. Nur das Publikum ist durch die Digitalisierung ein viel größeres.

Enthemmung: ja. Ursache: nein.

Insgesamt kommt die Studie zu dem Schluss, dass soziale Medien zwar zu einer deutlichen Enthemmung in rassistischer Ausdrucksweise beitragen. Die Medien an sich sind jedoch nicht eindeutig als Quelle einer konkreter Tatvorbereitung zu sehen. Der gewaltsame Protest gegen Flüchtlinge und die notwendige Organisation entstehen nicht allein durch das Vorhandensein der sozialen Medien. Allerdings trägt es deutlich dazu bei, eine bereits vorhandene Radikalisierung rechter Akteure voranzutreiben.

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Helena Serbent

Helena Serbent

Seit ihrem Volontariat bei Media Partisans arbeitet Helena Serbent für „wahl.de“ und moderiert bei ALEX Berlin die Talksendung „Kopf.Hörer“. Ihre Schwerpunkte sind Politik und Digitalisierung.