YouTube ist zusammen mit Facebook das mit Abstand größte soziale Netzwerk Deutschlands, zumindest wenn mal auf die Anzahl der Besucher der Webseite guckt. So hatte YouTube (bei den letzten mir vorliegenden Zahlen) im März 2012 fast 34 Millionen Besucher auf der Webseite (zum Vergleich: Facebook, der Platzhirsch unter den Sozialen Netzwerken, kommt im März 2013 auf knapp 39 Millionen Unique Visits). Und auch die letztjährige Onlinestudie von ARD und ZDF zeigt, dass Videoportale im Schnitt häufiger und von einem höheren Prozentsatz der Internetnutzer besucht wird.
Ein Blick über den großen Teich
Die Wahlkämpfer der deutschen Parteien schielen ja immer mit beiden Augen vor allem auf die Präsidentschaftswahlkämpfe in den USA und kommen immer wieder begeistert zurück, um dann mit großen Augen zu schildern, was sie alles von Obama und Romney und deren Wahlkampfstäben gelernt haben. Die beiden Kampagnen haben dabei viel auf die Karte auf visuelles Storytelling gesetzt. Denn grade visuelle Elemente dienen als emotionale Trigger und sind in der Ansprache von Wählern besonders überzeugend und wirksam.
Neben Fotos und Infografiken kamen dabei vor allem Videos zum Einsatz, um so rhetorische und visuelle Botschaften, Bilder und Slogans kombinieren zu können. Bei der Verbreitung und Vermarktung der Clips spielten vor allem Videoplattformen wie YouTube eine große Rolle, da sie aufgrund ihrer Interaktivität sowie ihrer technischen Möglichkeiten zum Teilen via anderer sozialer Netzwerke und zum Einbinden auf anderen Webseiten den Kampagnen eine große Reichweite bescherten. So schauten sich 66 Prozent der registrierten Wähler in den USA, die das Internet nutzen, im Präsidentschaftswahlkampf 2012 Wahlvideos im Internet an. 62 Prozent aller im Internet aktiven registrierten Wähler erhielten sogar Video-Empfehlungen von anderen Nutzern.
YouTube als Wahlkampfplattform
Diese Mechanismen kannten ohne Zweifel auch die digitalen Wahlkampfstrategen von Obama und Romney und nutzten Online-Videos sowie ihre YouTube-Präsenzen als eine zentrale Stütze ihres Campaigning. Denn Online-Wahlvideos gaben den beiden Kampagnen mehr Flexibilität: Sie konnten spontan auf aktuelle Entwicklungen oder Aktionen des politischen Gegners reagieren und so ihre Agenda dem Wähler vermitteln, ohne dafür Sendezeit bei Fernsehsendern kaufen zu müssen. Das von Oscar-Preisträger David Guggenheim für Obama produzierte und von Tom Hanks gesprochene Video „The Road We’ve Traveled” ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Kandidaten YouTube für ihr Storytelling nutzten. Der fast 17-minütige Kurzfilm erzählt die Geschichte der ersten Amtszeit von Barack Obama und wurde im März 2012 direkt auf den YouTube-Kanal der Obama-Kampagne hochgeladen. Die klassischen TV-Sender wurden dabei völlig umgangen, YouTube hingegen in der Rolle als legitime Kampagnenplattform bestätigt, vor allem da mit dem Video mehr 2,5 Millionen Nutzer erreicht wurden.
Eine weitere Rolle spielen zudem natürlich auch die Wähler und Online-Aktivisten in den USA, die eine Unmenge an Videos zur US-Wahl und den Kandidaten produzierten, von Kommentaren über Musikvideos bis hin zu Persiflagen. So hatte der offizielle YouTube-Kanal von Barack Obama zwar bis July 2013 über 200 Millionen Videoaufrufe zu verzeichnen, die Videos, die entweder Obama oder Romney zum Thema hatten, erzielten bis Ende August 2013 jedoch sogar zwei Milliarden Videoaufrufe. Eine Lip-Dubbing-Video, das das Flip-Flopping von Romney basierend auf einem Song von Eminen auf die Schippe nimmt, kommt aufgrund seine kreativen Umsetzung daher dann auch schnell auf acht Millionen Views:
Und Deutschland?
In Deutschland werden YouTube und andere Videoportale hingegen eher stiefmütterlich im Wahlkampf behandelt. Werfen wir kurz einen Blick auf den YouTube-Kanal der CDU. Guckt man sich dort die Liste der Videos an, fällt gleich auf, dass kein einziges Video der letzten vier Wochen mehr als 10.000 Aufrufe erzielt hat. Ein Großteil der Videos knackt nicht einmal mehr als Tausend Aufrufe. Die Gemeinsamkeit dieser Videos? Ein CDU-Politiker spricht in ein Mikrofon. Nicht besonders aufregend. Und Nichts, was man mit Freunden via sozialer Netzwerke teilt.
Die erfolgreichsten Videos des Kanals? Arnold Schwarzenegger spricht über Angela Merkel (215.000 Views, die wohl meistens irgendwelchen Suchen nach Arnie zu verdanken sind), Angela Merkel bedankt sich bei ihren Facebook-Fans (knapp über 100.000 Views) sowie der teAM Deutschland-Song von 2009 (56.000 Views dank der Faust von Leslie Mandoki, dessen Name daher auch gleich mal in der dazugehörigen Beschreibung falsch geschrieben wird). Bei Betrachtung des Kanals merkt man also nicht wirklich, dass Wahlkampf ist. Bei der SPD sieht es ähnlich aus im Bundestagswahlkampf.
Da war die CDU Niedersachsen im letzten Landtagswahlkampf schon deutlich erfolgreicher (133.000 Views), aber eher unfreiwillig: Ihr Wahlkampfsong „So machen wir das.“ erntete Hohn und Spott von allen Seiten. Die Bezeichnung „peinlich“ von Spiegel Online war noch eine der netteren Kritiken des Spots. Den Vogel im aktuellen Bundestagswahlkampf schießt allerdings die AfD ab. Mit ihren „Aktuellen Nachrichten I Episode 01“ haben sie einen Clip produziert, der an unfreiwilliger Komik kaum zu überbieten ist und direkt von Oliver Kalkofe zu stammen scheint:
Aber immerhin hat der nicht mal zwei Wochen alte Clip schon 22.000 Views generiert. Merke also: Die deutschen Parteien schaffen es bisher kaum, guten Content zu produzieren bzw. ihre Video so zu verbreiten, dass sie von Nutzern angeschaut werden. Merke auch: Manch Videos sind von so unfreiwilliger Komik, dass sie sich viral verbreiten.
Dass es auch anders geht, zeigt ein Clip der Grünen zum Europawahlkampf 2009 (der ja nun nicht wirklich von vielen Bundesbürgern verfolgt wird). Dieser Clip zeigt keinen in ein Mikrofon sprechenden Politiker, er ist vielmehr innovativ gestaltet, mit Blick auf Verbreitung über soziale Netzwerke produziert – und kann so mehr als 136.000 Views verzeichnen (zum Vergleich nochmal: bis auf das Schwarzenegger-Video kann keines der Videos auf dem CDU-Kanal diesen Wert erreichen):
Überhaupt scheinen vor allem die Grünen und die FDP erfolgreicher bei YouTube zu agieren. Laut einer kürzlich erfolgten Studie von socialbench.de liegen die beiden Parteien bei der Anzahl der Videoaufrufe vorne.
Und nun?
Das Potential von YouTube und anderen Videoportalen wird von den Parteien noch kaum ausgeschöpft. Weder stimmt der Inhalt, noch werden die Videos vernünftig verbreitet und geteilt. Ich erwarte nicht, dass CDU, SPD und Co. wie Obama und Romney intensiv Werbung bei YouTube schalten, hoffe aber dennoch, dass sich im Bereich Wahlvideos noch einiges tun wird (und freue mich in der Zwischenzeit vor allem auf Episode 2 der AfD-Nachrichten).
Adrian Rosenthal
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