Nachdem wir über die offiziellen Plakatvorstellung der Parteien zur Europawahl berichtet hatten, wollen wir nun mit den Kampagnenverantwortlichen über ihre Strategien zur Europawahl sprechen. Was haben sie im Netz geplant, wie präsentieren sie ihre Kandidaten und wie arbeiten sie mit den Parteien auf europäischer Ebene zusammen? 

Den Anfang machen wir mit Robert Heinrich, dem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Bündnis 90/Die Grünen.

Robert Heinrich bei der Plakatpräsentation für die Europawahl Bild: Sebastian Schmidtsdorf

wahl.de:
Was haben Sie zur Europawahl im Netz geplant?

Robert Heinrich:
Europa ist ja im Grunde eine großartige Erzählung, im Detail aber wahnsinnig kompliziert und weit weg. Deswegen werden wir das Netz nutzen, um unsere Vision von Europa so zu erzählen, dass es Menschen berührt, betrifft und begeistert. Dieses digitale Storytelling-Format haben wir schon im Bundestagswahlkampf in Form von 2-Minuten-Stücken eingesetzt. Im Europawahlkampf werden die Geschichten noch emotionaler und personalisierter werden. So wird uns Sven Giegold erzählen, warum das geplante Handelsabkommen eine Gefahr für die europäische Demokratie ist. Und Rebecca Harms, warum es nicht reicht, nur in Deutschland aus der Atomkraft auszusteigen. Das geht im Netz natürlich viel besser als auf einem Plakat. 

"Oft liegt die Verweildauer von Usern auf Parteiseiten bei unter einer Minute."

wahl.de:
Zur Bundestagswahl haben sich eine Million User über ihr Format “Das Wichtigste in 2 Minuten” informiert.

Robert Heinrich:
Ja, das war ziemlich sensationell, vor allem weil die meisten auch wirklich zwei Minuten geblieben sind. Oft liegt die Verweildauer von Usern auf Parteiseiten bei unter einer Minute. Die geringe Absprungrate zeigt, dass man Bürger im Netz auch in einem themenarmen Wahlkampf mit politischen Inhalten packen kann. Es ist nur eine Frage des Formats. Das Aufbereiten von Inhalten und Parteiprogrammen in Form von Stories im Netz funktioniert und deswegen werden wir es auch im Europawahlkampf verstärkt und verbessert machen.

"Wir müssen nicht alle Wähler erreichen."

wahl.de:
Was ist im Europawahlkampf geplant um die grüne Filter-Bubble zu durchbrechen?

Robert Heinrich:
In dem wir unsere Botschaften und Themen so aufbereiten und zuspitzen, dass grüne Sympathisanten sie gerne  verbreiten. Ein gutes Sharepic ist auf Facebook jederzeit für sechsstellige Reichweiten gut – wenn man Geld in die Hand nimmt, auch noch deutlich mehr. Außerdem müssen wir ja gar nicht alle Wähler erreichen.

Europawahkämpfe sind ja  Mobilisierungswahlkämpfe. Das bedeutet, bei einer leider relativ geringen Wahlbeteiligung vor allem die eigenen potentiellen Wähler an die Urnen zu bringen und zu mobilisieren. Nicht diejenigen, die am Wahltag entscheiden, ob sie Grüne oder CDU wählen stehen im Fokus, sondern diejenigen, die am Wahltag entscheiden ob sie zur Wahl gehen oder nicht.

wahl.de:
Ist es im aktuellen Wahlkampf auch wieder geplant, Online-Werbung zu nutzen? Wie wir erfahren konnten, ist ein relativ großer Anteil des Media-Budgets im Bundestagswahlkampf in die Online-Werbung geflossen.

Robert Heinrich:
Ja, wir haben im Bundestagswahlkampf auch Dank Online-Werbung über 100 Millionen Kontakte erzielt. Wir werden im Europawahlkampf wieder ein Budget für Online-Werbung haben, aber insgesamt haben wir einen deutlich geringeren Betrag zur Verfügung. Deswegen werden wir es gezielter machen und uns viel stärker auf unsere Kernthemen konzentrieren. Wir werden außerdem versuchen Inhalte so aufzubereiten, dass sie gerne geteilt werden.

"Die Grünen-Wähler sind nach wie vor die online-affinsten Wähler."

wahl.de:
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung: Sind grüne Mitglieder und Wähler online-affin?

Robert Heinrich:
Ja, selbstverständlich. Da brauche ich gar nicht eine persönliche Einschätzung abgeben, denn dazu haben wir eindeutige Zahlen. Die Grünen-Wähler sind nach wie vor die online-affinsten Wähler von allen Parteien im Bundestag, auch wenn die anderen Parteien aufgeholt haben, weil einfach das Netznutzungsverhalten in der Bevölkerung gestiegen ist.

wahl.de:
Was für eine Verknüpfung ist zwischen interner und externer Mobilisierung bzw. Kommunikation geplant?

"Wir haben bereits über 100.000 Euro an Online-Spenden eingenommen."

Robert Heinrich:
Zum einen haben wir bereits über 100.000 Euro an Online-Spenden für Plakatflächen eingenommen. Zum zweiten nutzen wir die digitalen Kanäle natürlich besonders zur Mobilisierung für den Straßenwahlkampf – und wir verbinden beides Miteinander. So haben wir am letzten Freitag eine Unterschriftenaktion gegen Gentechnik gestartet, die auf die Straße wie auch im Netz laufen wird.

Und dann kommt es wie gesagt darauf an, die Filter-Bubble mit interessanten, teilbaren Inhalten zu durchbrechen. Das ist eine Frage von Emotionalisierung, von klarer Botschaft und von ganz viel Überzeugungsarbeit in der eigenen Community. Kürzlich haben wir so mit einem simplen Bild gegen das Schreddern von Eintagsküken auf Facebook weit über 150.000 Kontakte erreicht.

wahl.de:
Mit Blick auf die Vorstellung der Plakate ist uns aufgefallen, dass Sie mit Bildern von Spitzenkandidaten werben. Ist das ein Novum bei Ihnen, so wie es in der Presse kommuniziert wurde?

Robert Heinrich:
Neu ist, dass Rebecca Harms und Sven Giegold als Team auf einem Plakat sind. Wir Grünen sind ja die Partei der Doppelspitze, wir haben sogar Bleistifte mit einer Doppelspitze im Versand. Von daher war es nur konsequent, beide Kandidaten auf ein Plakat zu bringen und als Doppelspitze zu inszenieren.

 Foto: © Laurence Chaperon

"Die SPD hat kein Thema in diesem Europawahlkampf."

wahl.de:
Bleiben wir beim Thema der Personalisierung: Die SPD fährt diese Linie ja nun haarscharf, wie sieht das bei den Grünen aus?

Robert Heinrich:
Die SPD hat das Problem, dass sie eigentlich kein Thema in diesem Europawahlkampf hat, dafür aber einen Kandidaten, der verhältnismäßig bekannt ist. Deswegen ist die Strategie ausschließlich auf Martin Schulz zu setzen, zumindest nachvollziehbar. Der grüne Wahlkampf hat starke originär europäische Mobilisierungsthemen, die Sie auf unseren Plakaten finden, wie Gentechnik, Klimaschutz, Atomausstieg, Flüchtlinge, Überwachung oder das Handelsabkommen. Das sind alles Themen, wo wir eine Kernkompetenz und ein Profil haben und wo wir uns ganz klar von den anderen Parteien unterscheiden. Deshalb stellen wir diese Themen ins Zentrum unserer Kampagne, auch wenn diese Themen natürlich von Kandidaten transportiert werden. So steht beispielsweise Rebecca Harms wie keine Andere für Klimaschutz und Atomausstieg in Europa. Attac-Mitbegründer Sven Giegold wiederum wird sich als Finanzexperte, Bankenbändiger und Kritiker des geplanten transatlantischen Handelsabkommens profilieren.

Rebecca Harms und Sven Giegold Bild: Sebastian Schmidtsdorf

wahl.de:
Wieso wurde dann TTIP und die Bankenregulierung nicht auf die großen Themenplakate gebracht?

Robert Heinrich:
Fragen Sie mal ihre Nachbarn, ob sie wissen was TTIP ist! Eine Kampagne besteht aus mehr als nur Plakaten, es gibt einen TV-Spot, eine Wahlkampfzeitung in siebenstelliger Auflage, Online, jede Menge Aktionen und natürlich die ganze Medienarbeit. Nicht jedes Thema taugt gleichermaßen für ein Plakat, dass ja seine Botschaft in wenigen Sekunden rüber bringen muss. Ich bin davon überzeugt, das Handelsabkommen zu komplex ist und auch als Thema in der Bevölkerung noch nicht ausreichend bekannt um es plakativ zuzuspitzen. Aber wir haben andere Möglichkeiten,  um das Thema zu kommunizieren.

"Bei uns geht es eher um politische Biographien als um Pflaumenkuchenrezepte."

wahl.de:
Man hat im Bundestagswahlkampf den Trend gesehen, dass Personalisierung zum Beispiel durch Homestories betrieben wurde. Ist so etwas für Sie im Europawahlkampf denkbar oder schließen Sie das aus?

Robert Heinrich:
Natürlich wollen die Wähler wissen, wer die Menschen sind, die zur Wahl stehen – und was sie antreibt. Dass Rebecca Harms gelernte Gärtnerin ist, durch die Gorleben-Proteste im Wendland politisiert wurde und der Ukraine seit den Achtzigern verbunden ist. Dass Sven Giegold aus der globalisierungskritischen Bewegung kommt, und gleichzeitig im evangelischen Kirchentag engagiert ist. Aber bei uns geht es eher um politische Biographien als um Pflaumenkuchenrezepte.

wahl.de:
Ist so etwas wie ein Tür-zu-Tür-Wahlkampf geplant, wie ihn die SPD im Bundestagwahlkampf ausgerufen hatte?

Robert Heinrich:
Ich halte sehr viel von Haustürenwahlkampf und glaube, dass das ein sehr gutes Wahlkampfinstrument ist. Aus meiner Sicht funktioniert er am besten in einem Kommunalwahlkampf. Deshalb werden wir Haustürwahlkampf vor allem in den zehn Ländern unterstützen, in denen zeitgleich mit der Europawahl Kommunalwahlen abgehalten werden. Wir investieren zum Beispiel in Schulungen.

"Es ist nicht zielführend, dass überall in Europa die gleichen Plakate hängen."

wahl.de:
Eine Frage zur Kampagne der europäischen Grünen: Gibt es eine Verzahnung zwischen den Kampagnen oder nutzen Sie bestimmte Materialien?

Robert Heinrich:
Die Verzahnung läuft über gemeinsame Werte, Positionen und Botschaften. Gleichzeitig ist der Wahlkampf in Deutschland ein anderer als der in Irland oder Spanien. Dort steht die Krise viel stärker im Fokus. Im übrigen gibt es auch große kulturelle Unterschiede bei Ästhetik und Tonalität, von den Sprachbarrieren ganz zu schweigen. Deswegen ist es nicht zielführend, dass überall in Europa die gleichen Plakate hängen. Wichtig ist vielmehr, dass man eine gemeinsame Botschaft hat. Wir treten gemeinsam mit einer konsequent pro-europäischen Kampagne an, die gleichzeitig sagt, wo wir Europa verändern und verbessern wollen. Das sagt der Claim der EGP „Change Europa – Vote Green“ wie auch seine deutsche Entsprechung „Grün für ein besseres Europa.“

Mit dieser Botschaft werden die europäischen Grünen gemeinsam Wahlkampf machen. Es gibt einen gemeinsamen Wahlkampfauftakt der europäischen Grünen am 4. Mai in Berlin, wo Kandidaten aus ganz Europa zusammenkommen. Auch im Netz machen wir viel gemeinsam. So gibt es eine App, mit der Menschen von Helsinki bis Lissabon ihr eigenes Plakat basteln. 

wahl.de:
Wo wir gerade bei der europäischen Kampagne sind: Vielleicht noch einmal eine Frage zur Aktion von Reinhard Bütikofer und dem Plakat mit Sahra Wagenknecht.

Robert Heinrich:
Darüber wurde nun wirklich schon mehr als genug gesagt.

wahl.de:
Zuletzt wurde ja nun auch eine Null-Promille-Diskussion von den Grünen angestoßen. Ist sowas im Vorfeld einer Wahl hilfreich?

Robert Heinrich:
Wir hatten und haben nicht vor, das Thema proaktiv auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn man über die Absenkung der Grenzwerte diskutiert, muss man sich auf eine Lösung einigen, die dann auch tatsächlich praktikabel ist. Im Wahlkampf spielen für uns ganz andere Themen eine Rolle.

wahl.de:
Sind sonst irgendwelche Tabubrüche für den Europawahlkampf der Grünen geplant?

Robert Heinrich:
Tabubrüche kündigt man ja eher nicht per Interview an. Aber Sie können sich auf einen Wahlkampf freuen, der sehr grün wird und gleichzeitig sehr pro-europäisch. Deshalb wird unsere bewährtes Schluss-Format  “3 Tage wach” als Europa-Edition präsentiert, Überraschungen inklusive!

Robert Heinrich, 37, ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der GRÜNEN und war Wahlkampfmanager für den Bundestagswahlkampf 2013. Der gebürtige Leipziger und studierte Politikwissenschaftler arbeitet seit 2003 für die GRÜNEN, zunächst als Büroleiter der Politischen Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, seit 2007 als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Funktion war er an der Organisation mehrerer bundesweiter Wahlkämpfe beteiligt und bereits 2009 für den Online-Wahlkampf verantwortlich. Zuvor arbeitete Heinrich als freier Journalist bei Tageszeitungen und Radio.

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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