Die Empörung ist immens. Erst lernten wir von Edward Snowden von PRISM und der US-amerikanischen Speicherung sämtlicher Meta-Daten von Bürgern weltweit. Dann erfuhren wir von den Abhörattacken gegen diplomatische Vertretungen von US-Bündnispartnern. Und diese Woche ging der Skandal in eine weitere Runde: mit XKeyscore können digitale Konversationen in Echtzeit beobachtet werden.

Die Medienwelt überschlägt sich mit News, Analysen und Kommentaren. Auch in der Kulturszene regt sich der Widerstand: Die Schriftstellerin Juli Zeh hat einen offenen Brief an die Kanzlerin geschrieben, darin fordert sie größeres Engagement der Bundesregierung bei der Aufklärung.

Viele Bürger geben sich wütend. Im Netz haben sich mittlerweile fast 30.000 Personen Zehs Petition angeschlossen. Nach einer repräsentativen Umfrage von forsa für FleishmanHillard finden fast drei Viertel (73 %) der Befragten, dass Angela Merkel und die Bundesregierung mehr tun müssten. Und der ARD-Deutschlandtrend von InfratestDimap hat ermittelt, dass 78 % der Befragten der Aussage der Kanzlerin keinen Glauben schenken, sie habe erst aus den Medien von den Ausspähprogrammen erfahren.

Was bedeutet das alles für den Wahlkampf? Unbefangen würde man erwarten, dass sich hier Sprengstoff verbirgt. Aber so sehr SPD und Grüne auch versuchen, die Koalition mit diesem Thema unter Druck zu setzen (Peer Steinbrück gab sogar zu Protokoll, dass er Snowden „bewundert“): Bisher nützt es ihnen nicht. Die Bundesregierung mit 52 % den höchsten jemals gemessenen Zustimmungswert seit 1996, und zwei Drittel der Bürger (67 %) geben sich trotz Datenskandal zufrieden mit der Arbeit der Kanzlerin. Satte 60 % der Befragten möchten sie als nächste Kanzlerin sehen (Steinbrück dagegen nur 28 %).

Warum also kann der wohl größte Ausspähskandal der Bundesrepublik der Regierung so wenig anhaben? Und noch paradoxer: Warum ist die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin nicht angekratzt, obwohl man ihr nicht glaubt, was sie weiß oder wusste?

CC BY-SA 3.0 Armin Kübelbeck http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angela_Merkel_10.jpg 

Zwei Vorschläge zur Begründung:

Begründung Nummer 1: Das Internet ist – trotz aller Häme für den Ausdruck – für viele Bundesbürger immer noch #Neuland.

Die Möglichkeiten digitaler Kommunikation sind eigentlich nur von der sogenannte Generation Y, also den heute unter 30-Jährigen begriffen. Für die anderen, und damit die Mehrheit der Gesellschaft, spielen sich Alltag, Kommunikation und Informationsbeschaffung überwiegend in konventionellen Kanälen ab.

Zudem sind die „Gefahren aus dem Internet“ komplizierte Fragen und passen nicht in einfache schwarz-weiß Schemata. Denn viele Bürger akzeptieren, dass auch im Internet Freiheit und Sicherheit in einem Spannungsfeld zueinander stehen. Und es ist durchaus unklar, welche Konsequenzen sich aus der vernetzten Kommunikation für unsere Sicherheitsinteressen ergeben: Wie muss eine effektive, aber rechtsstaatlich unbedenkliche Gefahren- und Terrorabwehr ausgestaltet werden? Welche Rolle haben Geheimdienste bei weltweit operierenden Terrornetzwerken? Im Moment können weder Politik noch Gesellschaft eine befriedigende Antwort anbieten. Zugespitzt: Ist das Thema so komplex, dass es das „normale Wahlvolk“ in die intellektuelle Resignation zwingt?

Begründung Nummer 2: Empörung ist billig, Handeln ist teuer

Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit und trotz der Unzufriedenheit und Empörung: Einfluss auf das Verhalten der Bundesbürger im Netz hatten PRISM und Konsorten bisher nicht. Die FleishmanHillard-Studie zu dem Thema zeigt überraschendes:

Etwa die Hälfte (48%) der Befragten gab an, dass durch PRISM ihr Vertrauen in die Anbieter von Online-Diensten sehr (16%) oder etwas (32%) gesunken sei. Diese Haltung ist insbesondere bei den unter 30-jährigen ausgeprägt. Allerdings gab die andere Hälfte (50%) der Befragten zu Protokoll, dass sich an ihrem Vertrauen gegenüber Online-Diensten nichts geändert habe.  

Das Kommunikationsverhalten im Netz haben nur 11% der Befragten geändert, und lediglich 2% haben als Konsequenz einen Online-Dienst, also E-Mail, Social Media-Anbieter etc. gewechselt.

Die einfache Formel: „Meckern ist einfacher als Handeln“ trifft wohl nur eingeschränkt zu. Aber die persönlichen Kosten der Umstellung schrecken ab. Und für viele Bürger gilt: Internet bleibt Internet, NSA bleibt NSA – und daraus folgt eine gefühlte Machtlosigkeit. Denn eine persönliche Betroffenheit aus den Abhöraffären werden die allermeisten in ihrer Lebenswirklichkeit nicht verspüren. Warum also sollte man sich die Mühe machen?

Mit anderen Worten: Das Thema spielt für die Wahlentscheidung so gut wie keine Rolle, weil es den Menschen gefühlt gut geht. 76 % der Bundesbürger schätzen ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut ein. Und weil Angela Merkel sie, wie von Daniel Florian in diesem Blog bereits festgestellt, in Ruhe lässt. Wie Bill Clinton schon 1992 im Wahlkampf propagierte: It’s the economy, stupid!

 

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Isabelle Fischer

Isabelle Fischer

Isabelle Fischer ist mit Herz und Seele Rheinländerin, politik- und social media-affin und arbeitet seit 2010 als Account Supervisor bei FleishmanHillard in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Public Affairs & Government Relations und Corporate Affairs mit besonderem Fokus auf die Themenbereiche Public Diplomacy, Food & Agriculture. 2006 gewann sie die Europameisterschaften im Hochschuldebattieren.
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