Für Peter Altmaier schien der 13. Juni ein guter Tag zu sein. Nach dem Gezerre um das, was einmal ein Kompromiss bei der Endlagersuche für aus dem Ausland zurückkommenden Atommüll werden soll, konnte er einen „Durchbruch“ vermelden. Bund und Länder hatten sich geeinigt: Für die Zwischenlager wird es drei Standorte in drei unterschiedlichen Bundesländern geben, je eines in Schleswig-Holstein (Brunsbüttel) und Baden-Württemberg (Philippsburg), beide rot-grün regiert. Über das dritte soll erst 2014 entschieden werden.
Die Bundeskanzlerin sprach von einem „guten Schritt“. Sie hoffe, dass „diese wirklich hochkontroverse Debatte“ nun in ruhigere Bahnen gelenkt werde. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sprach von einer „guten Lösung“. Altmaier gestand im Deutschlandfunk, dass ihm zwar kein Felsbrocken, dafür aber ein „mittelgroßer Stein vom Herzen gefallen“ sei. Das ist nachvollziehbar, hätte ein Scheitern doch als persönliche Niederlage gegolten. Damit kann das Endlagersuch-Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Vor allem aber – so wohl die Hoffnung der Regierungsfraktionen – wäre es dann noch vor der heißen Wahlkampfphase vom Tisch. Vielleicht haben Altmaier und Merkel die politische Gunst der Stunde genutzt. Vielleicht bleibt es um das Thema ruhig. Wahrscheinlich ist das aber nicht.
Am 22. September wird nicht nur im Bund, sondern auch in Hessen, eine Woche zuvor in Bayern gewählt. Für die Union könnte die Endlagersuche deswegen doch noch zu einem heißen, vielleicht sogar gefährlichen Thema werden. Denn wenn es um das dritte Bundesland für ein Zwischenlager geht, schielt die Republik auf Hessen (Biblis) und Bayern (Garching). Bisher war von dort keine Bereitschaft zu erkennen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) lehnte mit dem Hinweis auf die langen Transportwege aus den Wiederaufbereitungsanlagen im britischen Sellafield und dem französichen La Hague ab. Außerdem sprächen zulassungsrechtliche Gründe dagegen. SPD und Grüne hingegen haben bereits jetzt signalisiert, dass eine von Ihnen geführte Landesregierung einer Einlagerung des Atommülls in Biblis nicht im Wege stehen würde.
Genau das könnte für die Hessen-CDU, aber auch für Merkel und Altmaier zum Problem werden. Zum einen, weil sich die Frage nach Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbereitschaft stellt, zum anderen, weil die Union den von ihrem Bundesumweltminister ausgehandelten Kompromiss in Frage stellen könnte. Sollte die OVG-Entscheidung vom letzten Mittwoch, der Brunsbüttel als Zwischenlager verbietet, standhalten dürfte sich der Druck auf alle Akteure entsprechend erhöhen.
Die rot-grüne Argumentation ist einfach, aber überzeugend: Es geht darum Verantwortung zu übernehmen und zu teilen. Nach dem vermutlich nun endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie müssen Lösungen gefunden werden, wie mit dem angefallenen Müll umzugehen ist. Auf der Suche nach einem Endlager müssen alle Akteure Verantwortung übernehmen, schließlich handelt es sich um eine gesamtdeutsche und eben keine regionale Herausforderung. Gerade die Grünen, deren Opposition gegen die Atomkraft zum Gründungsmythos gehört, aber auch die SPD, die sich spätestens Ende der 80er Jahre von ihr abwendete, agieren hier pragmatisch, übernehmen Verantwortung und schaffen in ihrem Machtbereich Möglichkeiten.
Die Hessen-CDU muss sich an den Worten ihres Vorsitzenden messen lassen. Erinnerungen werden (allen Voran bei den Grünen) wach, dass noch im November 2010 Bouffier gesagt hatte: „Wenn ein Zwischenlager gesucht wird, können wir als Hessen nicht von vornherein sagen, überall, aber nicht bei uns.“ Rot-grün wird dies als Wortbruch auslegen und im Wahlkampf mit Sicherheit genüsslich auskosten.
Auch wird Bouffier (und mit ihm die FDP) erklären müssen, warum seine Partei immer ein Verfechter der Atomenergie war, sich nun aber an der Folgenbewältigung nicht beteiligen möchte.
Die bisher vorgebrachten Argumente (Entfernung und Zulassungsrecht) lassen sich entkräften: Es stimmt, in Biblis dürfen bisher nur abgebrannte Brennelemente aus dem Reaktorkern unterkommen. Eine Änderung dürfte aber eine Frage des politischen Willens sein.
Die Sache mit der Entfernung ist ebenfalls Quatsch nicht gleich offensichtlich: Frische Brennstäbe werden auch auf deutschem Boden transportiert, ohne dass die Atomaufsicht in Hessen oder Bayern Einwände hätte. Auch wenn man sich die Gesamtstecken an, so liegt 1. schon Gorleben weiter von Sellafield und La Hague weg als Biblis, 2. aber sind Philippsburg und Brunsbüttel noch weiter entfernt. So einfach darf man es sich natürlich nicht machen. Eigentlich relevant sind nämlich nicht die (ohnehin geheimgehaltenen und mit Alternativrouten versehenen) Streckenabschnitte, die per Schiff oder Zug zurückgelegt werden. Risikobehaftet sind die Strecken, die mit Spezialtransportern auf der Straße bewältigt werden müssen. Im Klartext heißt das: der Weg vom Verladebahnhof zum Kraftwerk. Hier muss man mit Protesten rechnen. Im Wendland hat es davon genug gegeben. Genau dieser Weg aber ist in Biblis nicht länger oder kürzer als bei anderen Atomkraftwerken auch. Schließlich mussten Brennstäbe ja auch dorthin gebracht werden. Man darf davon ausgehen, dass es hierfür Sicherheitsvorkehrungen gab.
Wäre die Entfernung ein maßgebliches Kriterium, hätten alle Brennstäbe, die zum Beispiel auf dem Seeweg aus Sellafield zurückkamen, nach Brokdorf oder Unterweser gebracht werden müssen, nie nach Gorleben. Auf Unterweser setzt nun auch Hessen. Also doch wieder Niedersachsen, das „nicht-mehr-CDU-Land“….
Letztendlich bleibt aber auch die Frage der Entfernung eine politische. Wäre da politischer Wille, ließen sich die Bedenken sicher ausräumen.
Die Frage bleibt also: Warum macht Herr Bouffier das?
Will Herr Bouffier in dieser Sache sein Gesicht und seine Glaubwürdigkeit waren, muss er sich wohl bewegen oder Antworten finden. Zu hoffen, dass das Thema im Wahlkampf keine Rolle spielen wird, dürfte angesichts des großen Emotionalisierungspotentials (das Wort wäre dann auch länger als Endlager-Suchgesetz) von Atomkraft ruhig als naiv bewertet werden.
In den politischen Kommentaren war von der „Hoffnung aus Hessen“ durch den möglichen Regierungswechsel die Rede, in der FAZ wurde sogar der politische Mut zur offenen Endlagersuche in Frage gestellt. Eine amtierende Landesregierung, die als Bremser und Ballast für notwendige politische Entscheidungen gehalten wird, dürfte es im Wahlkampf schwer haben.
Auf Bewegung oder Antworten dürfte auch die Bundes-CDU hoffen. Immerhin war es Angela Merkel die es schaffte, die Zustimmung der CDU zum Atomausstieg herzustellen und damit eine der größten gesellschaftspolitischen Debatten befriedete. Peter Altmaier darf sich zu Recht auf die Fahnen schreiben, die Endlagersuche konstruktiv vorangetrieben zu haben. Auch sein Kompromiss – so er denn hält – ist ein großer politischer Erfolg.
Die Union konnte sich bisher durch große Geschlossenheit hervortun – etwas was sie im Wahlkampf aufrechterhalten will und muss. Auch Dank des Gezänks in der SPD-Spitze und den vielen Indiskretionen, die aus dem Willy-Brandt-Haus an die Öffentlichkeit dringen, erscheint die Union wie der ruhige Dampfer, der Kurs hält. Merkel und Altmaier tragen aufgrund ihrer politischen Stärke und Präsenz maßgeblich dazu bei.
Sperrt sich die Hessen-CDU weiter, präsentiert sie ihren politischen Gegnern jedoch das Argument gegen die Kanzlerin und ihren Umweltminister auf dem Silbertablett: In wichtigen politischen Fragen ist die Union uneins, weder die Kanzlerin, noch der Umweltminister sind stark genug, um bei der Endlagersuche zu führen.
Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht das Zwischenlager-Verbot für Brunsbüttel, wird man das Paket ohnehin neu aufschnüren müssen. Und in einem werden die Hessen dann vielleicht recht behalten: An ihnen geht kein Weg vorbei.
Isabelle Fischer
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