Wenige Debatten werden so emotional geführt wie die über Cannabis. Das liegt auch daran, dass die vertretenen Meinungen und Positionen äußerst vielfältig sind und für Nicht-Experten oft schwer nachzuvollziehen.
Sind Legalisierung und Entkriminalisierung dasselbe, darf jetzt jeder kiffen auf Rezept und was passiert zu dem Thema eigentlich im Bundestag? In unserer Reihe Cannabis Konkret lassen wir Meinungsführer aus den Bereichen Politik, Gesundheit, Wirtschaft und Co. zu Wort kommen. Jedes Interview wird sich einem bestimmten Themenschwerpunkt widmen und hoffentlich dazu beitragen, ein differenzierteres Bild davon zu zeichnen, wer in Deutschland welche Position vertritt.
Der Autor und die Plattform wahl.de verfolgen dabei einen rein aufklärerischen Dienst und machen sich die Meinung der Interviewpartner nicht zueigen.
Für den dritten Teil der Reihe gab uns Emmi Zeulner von der CSU ein Interview. In der Cannabis-Debatte steht die Gesundheitspolitikerin – auch in der Opposition – für den diskursfreudigen Part ihrer Partei.
Frau Zeulner, zum neuen Patientengesetz wurde schon viel geschrieben, wir wollen uns heute mit den Punkten Entkriminalisierung und Legalisierung beschäftigen.
Wenn man sich die Cannabis-Debatte heutzutage ansieht, hat man den Anschein, die Union verliert ihren Rückhalt auf der Fachebene. Neben Fachpolitikern aller Bundestagsfraktionen befürworten auch immer mehr Organisationen die Entkriminalisierung bzw. kontrollierte Legalisierung als Alternative. Das sind unter anderem die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen und sogar der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Wie geht die Union argumentativ damit um?
Selbstverständlich ist der Austausch auf der Fachebene sehr wichtig. Ich kann auch nachvollziehen, dass die Vertreter verschiedener Fachbereiche wie z.B. Strafrechtsprofessoren und der Bund Deutscher Kriminalbeamter sich für eine Legalisierung aussprechen. Der Arbeitsaufwand für Polizei und Justiz ist natürlich vorhanden und würde mit einer Legalisierung wohl zurückgehen. Aber dennoch zeigen Zahlen in Colorado, wo zum 1. Januar 2014 Cannabis legalisiert wurde, z.B., dass der Cannabiskonsum bei Minderjährigen, für die der Konsum nicht legalisiert wurde, um 20 Prozent angestiegen ist. Auch die Zahl der Anrufe beim Giftnotruf bzw. der Notaufnahmen wegen Kindern, die sich an Cannabisprodukten vergiftet haben, ist seit der Legalisierung deutlich angestiegen. So wurde 2009 nur von einem Kind unter 9 Jahren berichtet, dass sich durch die Aufnahme von Cannabisprodukten vergiftet hat, 2015 waren es 16. Das Hauptargument gegen eine Legalisierung ist für mich weiterhin, dass ich keine verantwortbare Lösung in Bezug auf den Jugendschutz habe. Darauf hat bis jetzt auch keine andere Partei eine gute Antwort geliefert.
Das Argument, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, wurde schon in zahlreichen Studien widerlegt (u.a. in einer, die vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer in Auftrag gegeben wurde.) Trotzdem wird es von Ihrer Partei, auch von Ihnen, immer wieder vorgebracht. Die Journalistin mit Schwerpunkt Neurowissenschaften, Maia Szalavitz, hat sich zu diesem Thema einmal so geäußert:
“Bei Mitgliedern der Motorradgang “Hell’s Angels” ist es 104 Mal wahrscheinlicher, dass sie bereits als Kind Fahrrad gefahren sind. Es bedeutet aber genauso wenig, dass Fahrradfahren bereits ein erster Schritt zur Karriere als Mitglied einer Motorradgang ist.”
Verwechselt die Union manchmal Korrelation mit Kausalität?
Es gibt genauso die Studien, die die These bestätigen, dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist. Auch bei meinem Besuch in einer Suchtklinik war die Antwort von vielen Jugendlichen, dass sie nach einiger Zeit des Cannabiskonsums dann Interesse an weiteren Drogen bekommen haben und somit tiefer in die Sucht gerutscht sind. Aber mal abgesehen von der Frage, ob Cannabis nun die typische Einstiegsdroge ist oder nicht, gibt es diverse Studien, die auch darauf hinweisen, dass Cannabis schwere Psychosen auslösen kann und gerade bei Jugendlichen die Entwicklung schädigen kann. So lassen aktuelle Untersuchungen und Experimente vermuten, dass ein ausgeprägter Konsum von Cannabis in der Adoleszenz, also der Zeit zwischen später Kindheit und Erwachsensein, zu dauerhaften hirnstrukturellen Veränderungen führen kann, die stärker ausgeprägt sind als bei erwachsenen Konsumenten. Wir kommen also wieder zurück auf den Punkt, dass wir einen effektiven Jugendschutz einrichten müssen. Und bisher bin ich nicht überzeugt, dass wir den durch die bloße Legalisierung von Cannabis erreichen.
Das Thema Jugendschutz wird in der Debatte von allen Parteien sehr hoch gewichtet. Die einen sagen im Hinblick auf die Anarchie im Schwarzmarkt, nur eine kontrollierte Abgabe könne einen geeigneten Jugendschutz sicherstellen, die anderen sähen ihn gerade dadurch besonders gefährdet. Die einzigen Statistiken aus Langzeitbeobachtungen aus Portugal beziehen sich zwar auf alle Drogen, verzeichnen aber besonders unter den 15- bis 24-Jährigen einen starken Rückgang des Regelkonsums. Glauben Sie, in Deutschland würden sich im Falle einer Entkriminalisierung bzw. Legalisierung andere Zahlen abzeichnen?
Ich kann nicht nachvollziehen, warum Jugendliche weniger Drogen nehmen sollten, nur weil es für Erwachsene legal ist. Dies zeigen ja auch die Zahlen aus Colorado. Auch wird der Schwarzmarkt weiterhin bestehen bleiben. Denn es gibt Schwarzmärkte für beinahe alles, unabhängig davon, ob eine Ware legal gekauft werden kann oder nicht.
Bei mir überwiegt die Sorge, dass es schwerer wird die Jugendlichen davon zu überzeugen, kein Cannabis einzunehmen, da sie durch die Legalisierung das Gefühl bekommen, dass es doch ok ist, Cannabis zu konsumieren. Was z.B. im Görlitzer Park passiert, ist für mich Toleranz an der falschen Stelle. Nie könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, wie es scheinbar die politisch Verantwortlichen im Görlitzer Park in Berlin können, die Dinge einfach so laufen zu lassen. Wer einmal vor dem Dealertum kapituliert hat, der kann doch nur darauf warten, dass die Szene dort wächst. Aber der Görli sollte den Familien gehören und nicht irgendwelchen Dealern.
„Das Hauptargument gegen eine Legalisierung ist für mich weiterhin, dass ich keine verantwortbare Lösung in Bezug auf den Jugendschutz habe. Darauf hat bis jetzt auch keine andere Partei eine gute Antwort geliefert.“
Die Crux an der deutschen (Konsum-)Forschung ist der Mangel an Empirie, Journalisten und Politiker können sich meist nur auf ausländische Studien beziehen. Dabei wäre es doch wichtig bei einem Thema, das gerade für die kommende Generation von großer Bedeutung zu sein scheint, eine umfassende Aufklärung zu fördern. U.a. in der letzten Bundesratsinitiative wurde gefordert, die Beschränkungen für Modellprojekte zu Forschungszwecken fallen zu lassen. Doch es scheitert immer wieder an Union und SPD. Warum?
Ich kann nicht erkennen, dass die Legalisierung von Cannabis für die kommenden Generationen die große Bedeutung hat, wie es die Cannabis-Lobbyverbände natürlich gerne sehen würden. In bestimmten Kreisen mit Sicherheit, aber nicht generell.
Aber zu Ihrer Frage: Warum die SPD sich gegen eine solche Initiative wehrt, kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich persönlich hatte mich bereits geäußert, dass ich bereit wäre eine Enquetekommission einzurichten, die die Daten und Fakten zusammenführt und zu mehr Empirie führt und damit auch zu mehr Sicherheit für alle Akteure.
Wenn man sich die Diskussionen im Bundestag zum Thema anschaut, verlaufen die immer äußerst hitzig und emotional, manchmal geht das auf Kosten der Sachlichkeit. Als Zuschauer hat man oft das Gefühl, die Redner hätten die Programmatik der Gegenseite gar nicht verstanden oder verdrehten bewusst den Inhalt. Wie ist das bei Ihnen? Kennen Sie die Positionen Ihrer Kontrahenten genau?
Ja ich kenne sie. Besser als einige Mitglieder der „Kontrahenten-Parteien“ selbst. So konnte mir der Parteivorsitzende Özdemir auf die Frage bei der letzten Bundestagsdebatte, warum die Grünen in ihrem Antrag eine niedrigere Bestrafung bei der Weitergabe von Cannabis an Jugendliche wollen als es unter der jetzigen Gesetzeslage ist, keine Antwort geben. Ich denke es ist klar, dass eine mildere Strafe für die Weitergabe an Jugendliche kontraproduktiv zu einem guten Jugendschutz steht. Das macht die ganze Argumentation der Grünen, dass ein besserer Jugendschutz das Ziel ihrer Legalisierungsvorschläge sei, unglaubwürdig.
Und gerade bei der letzten Debatte war es offensichtlich, dass die Grünen, statt ihren Fachpolitiker reden zu lassen, lieber die Bühne für den Vorsitzenden frei machen wollten, damit dieser dann nochmals mit diesem Thema in den sozialen Netzwerken platziert wird. Es ging also nicht mehr um die Sache sondern um Stimmenfang – und so etwas kann ich dann doch nicht mehr ernst nehmen.
Über die politischen Vertreter hinaus, sehe ich aber auch nicht, dass die Mehrheit der Cannabiskonsumenten verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen. Hier ist ein deutlicher Unterschied zu bemerken zwischen den „Alt-68ern“, die sich meist fundiert und sachlich mit dem Thema auseinandersetzen und leider vor allem jungen Leuten, die jeden, der sich gegen die Legalisierung von Cannabis äußert, mit Massen von niveaulosen Hassnachrichten bei Facebook bedrängen.
Es wird ja immer gesagt, dass Kiffer so entspannt seien, aber das kann ich aus meiner täglichen Arbeit heraus nicht bestätigen. Bestätigt wird hingegen die Aggressivität von Kiffern, die immer wieder durch seltsame Aktionen auffallen. So wurde zum Beispiel bei Facebook eine Seite eingerichtet, die zur Hinrichtung der Drogenbeauftragten Marlene Mortler aufgerufen hat. Dazu fällt mir echt nichts mehr ein. Es fehlt insgesamt das Regulativ in der „Szene“ und man hat eher den Eindruck, ein jeder müsse sich bei Facebook-Kommentaren noch aggressiver und absurder äußern als der vorherige Schreiber.
Die Offenheit für andere Meinungen, die hier oft von den Befürwortern der Legalisierung gefordert wird, wird von diesen leider oft selbst nicht beachtet. Und so läuft es halt einfach nicht in der Politik.
Zurzeit existiert noch keine Mehrheit in der Bevölkerung, die sich für eine Legalisierung ausspricht. Sollte sich das in ein paar Jahren ändern, wäre dann auch die Union bereit, darüber ernsthaft zu diskutieren? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie würde ein von der Union mitgestaltetes Gesetz zur Legalisierung aussehen – ganz hypothetisch?
Wir diskutieren auch jetzt schon. Nur muss eben ein funktionierender Jugendschutz im Vordergrund stehen. So müsste es z.B. sehr harte Strafen für diejenigen geben, die Cannabis an Jugendliche weitergeben. Hier muss auch klar sein, dass wir auch dann weiterhin den Einsatz von Polizei und Justiz brauchen werden. Eventuell könnte man diskutieren, ob man erstmal deutschlandweit einheitliche Höchstmengen für den Eigenbedarf festlegt, sich dabei aber an der aktuell niedrigsten Menge von 6 Gramm orientiert. Aber ich bleibe dabei: Eine bloße Legalisierung überzeugt mich nicht und führt meiner Meinung nach nicht zu einer besseren Drogenpolitik.
Aus terminlichen Gründen hatten sich Frau Zeulner und der Autor auf ein schriftliches Interview geeinigt.
Louis Koch
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