Wenige Debatten werden so emotional geführt wie die über Cannabis. Das liegt auch daran, dass die vertretenen Meinungen und Positionen äußerst vielfältig sind und für Nicht-Experten oft schwer nachzuvollziehen.
Sind Legalisierung und Entkriminalisierung dasselbe, darf jetzt jeder kiffen auf Rezept und was passiert zu dem Thema eigentlich im Bundestag? In unserer Reihe Cannabis Konkret lassen wir Meinungsführer aus den Bereichen Politik, Gesundheit, Wirtschaft und Co. zu Wort kommen. Jedes Interview wird sich einem bestimmten Themenschwerpunkt widmen und hoffentlich dazu beitragen, ein differenzierteres Bild davon zu zeichnen, wer in Deutschland welche Position vertritt.
Der Autor und die Plattform wahl.de verfolgen dabei einen rein aufklärerischen Dienst und machen sich die Meinung der Interviewpartner nicht zueigen.

Für den ersten Teil unserer Interview-Reihe fragen wir Frank Tempel von der Linkspartei unter anderem, wie erfolgreiche Oppositionsarbeit aussieht und wie seine Vergangenheit als Polizist seine Einstellung zu Cannabis beeinflusst hat.

Herr Tempel, Sie sind nicht nur drogenpolitischer Sprecher der Linkspartei, sondern auch ehemaliger Polizist. Trotzdem oder gerade deswegen setzen Sie sich für eine Kehrtwende in der Drogenpolitik ein. Erklären Sie doch mal:

Ich habe in meiner Ausbildung gelernt, wenn der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreift, muss das verhältnismäßig sein. Da gibt es drei klar definierbare Kriterien: Geeignet, erforderlich, angemessen. Wenn ich jetzt für Jugendliche, die mit ein, zwei Gramm Cannabis erwischt wurden, eine Strafanzeige schreiben muss, dann ist diese Verhältnismäßigkeit für mich nicht gegeben. Eine potenzielle Selbstschädigung unter Strafe zu stellen, das ist ein einmaliges Phänomen in der deutschen Rechtspolitik und insofern steht das für mich im Widerspruch zu dem, was man mir in der Ausbildung beigebracht hat.

Gerade zu diesem Thema hatte Ihre Partei ja zusammen mit den Grünen vor einiger Zeit einen Antrag in den Bundestag eingebracht, da ging es um die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten. Der wurde, wie auch jüngst das grüne Cannabiskontrollgesetz, von CDU und SPD abgelehnt. Ist das ein herber Rückschlag oder hatte man damit schon gerechnet?

Naja, wir hatten den Antrag „Evaluierung Drogenstrafrecht“ gemeinsam auch als Türöffner für die Gesundheitspolitiker der SPD eingebracht, die sich eigentlich deutlich offener in der Thematik zeigen als noch in der Vergangenheit. Und schon dieses Fenster wurde nicht erwischt, das ist natürlich schade. Allerdings haben wir es auch geschafft, keinen Wettstreit innerhalb der Opposition zu haben, welches die besten Modelle, die besten Wege sind. Nun versuchen wir, die Argumentation öfter in den Bundestag zu setzen und so die Debatte am Leben zu halten.

Sie merken an, dass sich der Diskurs in der SPD gewandelt hat. Gerade im Bezug auf die Cannabis-Debatte kann ich das auch beobachten. Trotzdem ist der Antrag auch wegen dem Veto der Sozialdemokraten nicht durchgegangen. Wie erklären Sie sich das?

Die SPD hat das Problem, dass sich Fachpolitiker in der Legislatur wirklich mit dem Thema beschäftigt haben, es allerdings die Führungsebene nicht erreicht hat. Der drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion (Burkhard Blienert, A.d.R.) hat im Plenum gesagt, dass wir jetzt auch über Cannabis als Genussmittel diskutieren müssen, ob Kriminalisierung von Konsumenten der richtige Weg ist, ob die Illegalisierung der Substanzen wirklich Schäden minimiert oder nicht eher Schäden potenziert. Doch das ist weder bei Gabriel, bei Steinmeier, bei Schulz oder sonst irgendwo angekommen. Dementsprechend sind dann auch die Abstimmverhalten in der Partei zu erklären.

Sie sagen also, es gibt ein Gefälle zwischen der Basis und den Spitzenpolitikern?

Bei der SPD auf alle Fälle. Wenn ich gucke, was in dieser Legislatur alles drogenpolitisch passiert ist, die Reise des Gesundheitsausschusses nach Portugal und nach Uruguay, aber auch in Sachen Kommunikation. Bei der Anhörung zum Evaluierungsantrag haben sich alle Sachverständigen, die von der SPD-Fraktion eingeladen wurden, und zum Teil sogar die von der Union Eingeladenen deutlich für eine Überprüfung des Drogenstrafrechts ausgesprochen. Das sind durchaus wichtige Eckpunkte, sie haben sich halt nur nicht in Ergebnissen niedergeschlagen.

„Die Fachpolitiker haben sich wirklich mit dem Thema beschäftigt. Doch das ist weder bei Gabriel, bei Steinmeier oder bei Schulz angekommen.“

Aber man hört doch immer wieder von Experten, die sich vehement dagegen stemmen?

Das sind im Wesentlichen ein Oberstaatsanwalt, ein Suchtmediziner, die da als Einzelexperten eingeladen werden. Es gibt keine Organisation mehr, die den Kurs der Bundesregierung noch unterstützt, weder die Hauptstelle für Suchtfragen, die deutsche AIDS-Hilfe, die deutsche Suchtmedizin, der Bund deutscher Kriminalbeamter, Akzept e.V. und so weiter. Man kann in dieser Legalisierungs- bzw. Entkriminalisierungsdebatte mittlerweile sehr viele Expertisen aus der Fachwelt vorweisen, und gerade deshalb ist es wichtig, diese Debatten, wie auch das Cannabiskontrollgesetz, einfach auch im Plenum zu haben. Es ist auch eine Erfahrung der Legislatur, dass Menschen diese Debatten interessiert verfolgen und auch darauf achten, wie man mit den Argumenten umgeht. Das ist schon sehr wichtig, weil man eben auch argumentativ viele Hardliner und ihre Herangehensweisen in die Ecke treiben kann.

Was heißt das für die neue Legislaturperiode?

Ich sage mal so, ich kann mir zum jetzigen Zeitpunkt vorstellen, dass man einen gemeinsamen Nenner bei Rot-Rot-Grün finden würde, der es auch der SPD ermöglicht, auf ihrem jetzigen Diskussionsstand in eine andere Drogenpolitik einzusteigen. Legalisierung ist da zwar noch nicht diskutierbar, die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten aber schon. Die Frage ist nur, ob es solche Mehrheiten dann gibt. Ansonsten kann es tatsächlich sein, dass der ganze Prozess, der momentan gut läuft, wieder ins Stocken gerät.

Nun sind Ihnen die derzeitigen Umfragewerte für Rot-Rot-Grün auch bekannt. Da muss man sich notgedrungen die Frage stellen: Wie macht die Linke weiter, wenn sie ab September wieder in der Opposition sitzt?

In der Opposition ist es klar, ein Thema zum öffentlichen Thema zu machen und hierbei Regierungsfraktionen Stück für Stück zu zwingen, in einzelnen Positionen nachzugeben. Man muss dann Argumente finden, die es den Fraktionen ermöglichen, selbst Schritte vorzulegen und schrittweise Hemmschwellen mitzugehen. Das ist beschwerlicher, kann aber auch erfolgreich sein. Ich meine, wer hätte vor drei Jahren geglaubt, dass wir ein verändertes Gesetz zur medizinischen Verwendung von Cannabis kriegen. Wichtig ist halt, das Thema mindestens im Halbjahrestakt im Bundestag zu halten, damit auch ein medialer Druck entsteht. In dem Moment, wo es nicht mehr öffentlich ist, da ist jeder Druck zur Veränderung verschwunden.

In Berlin ist die Linke ja mittlerweile in der Regierungsverantwortung. Dort ist auch die SPD noch etwas offener. Wo sehen Sie denn da Chancen noch für diese Legislatur?

Also ich würde mir schon sehr wünschen, dass vor dem Sommer die Bundesländer noch eine Bundesratsinitiative bringen. Wenn man da auf präventive Strategien setzt und den einzelnen Bundesländern die Umsetzung von Modellprojekten ermöglicht, damit man wirklich mal empirische Daten zu den Themen Jugendschutz und Konsumsteigerung hat, dann kann man da glaube ich Lösungen finden, die auch für SPD-Länder mehrheitsfähig sind. Dagegen spricht leider der Ausgang der jüngsten Landtagswahlen. Wie sich die neugewählte Regierung in NRW oder in Schleswig-Holstein verhält, weiß ich nicht. Das macht es natürlich momentan etwas schwieriger. Nichtsdestotrotz, die Bundesländer, die es machen wollen, wie Bremen, Thüringen, Berlin, die müssen diesen Weg über den Bundesrat dann auch einfach mal gehen. Die sollten wirklich nicht auf den Bundestag warten.

Die von Herrn Tempel geforderte Initiative wurde von den Ländern Bremen und Thüringen in den Bundesrat eingebracht und am 07.07.2017 abgelehnt. Das Interview fand zuvor statt.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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