Wenige Debatten werden so emotional geführt wie die über Cannabis. Das liegt auch daran, dass die vertretenen Meinungen und Positionen äußerst vielfältig sind und für Nicht-Experten oft schwer nachzuvollziehen.
Sind Legalisierung und Entkriminalisierung dasselbe, darf jetzt jeder kiffen auf Rezept und was passiert zu dem Thema eigentlich im Bundestag? In unserer Reihe Cannabis Konkret lassen wir Meinungsführer aus den Bereichen Politik, Gesundheit, Wirtschaft und Co. zu Wort kommen. Jedes Interview wird sich einem bestimmten Themenschwerpunkt widmen und hoffentlich dazu beitragen, ein differenzierteres Bild davon zu zeichnen, wer in Deutschland welche Position vertritt.
Der Autor und die Plattform wahl.de verfolgen dabei einen rein aufklärerischen Dienst und machen sich die Meinung der Interviewpartner nicht zueigen.

Für den zweiten Teil unserer Interview-Reihe konnten wir Herrn Dr. Mischo, Vorsitzender der Landesärztekammer Saarland, für uns gewinnen. Der tätige Chirurg engagiert sich zudem in der Bundesärztekammer als Chef der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen.

Herr Dr. Mischo, als Chef der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen der Bundesärztekammer nehme ich an, dass Sie sich mit Cannabis lange Zeit vor allem unter suchtmedizinischen Aspekten beschäftigt haben. Was halten Sie denn davon, dass es jetzt quasi jedem Arzt selbst überlassen ist, die Droge zu verschreiben?

Grundsätzlich begrüße ich es, dass wir als Ärzte mehr therapeutische Möglichkeiten haben. Zum Beispiel bei chronischen Schmerzpatienten, wo die Standard-Therapie ausgereizt ist, da haben wir jetzt die Möglichkeit, auch noch Cannabis einzusetzen. Wobei man ganz klar sagen muss, dass die Studienlage gering ist. Es ist nicht so, dass wir wie bei einem Herzmedikament zum Bluthochdruck oder einem Antibiotikum sagen können „wir geben das bei diesem Krankheitsbild und in dem und dem Prozentsatz wirkt es“. Das heißt, das hat auch eine Art experimentellen Charakter. Es ist eine therapeutische Maßnahme im Einzelfall, die wir anwenden können, dürfen und natürlich auch sollen, wenn die übrigen Standards der therapeutischen Möglichkeiten versagt haben.

Wie schätzen Sie denn den Kenntnisstand über Cannabis bei Ihren Kollegen so ein?

Das hängt natürlich stark von der Fachrichtung ab. Bei den Schmerztherapeuten, die sich ja mit diesen Fragen viel intensiver beschäftigt haben als beispielsweise die Chirurgen, schätze ich den Stand der Dinge ganz gut ein. Trotzdem sehen wir auch etwas Beratungsbedarf. Es gibt viele offene Fragen, organisatorische Fragen, Fragen zu  Nebenwirkungen und so fort. Deswegen haben wir seitens der BÄK auch eine FAQ-Liste veröffentlicht. Da ist sehr umfassend für jeden Arzt einsehbar, was er beachten muss und wie der aktuelle Stand der Dinge ist.
Das zweite ist, dass wir seitens der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen der BÄK planen, im Herbst eine Konferenz der Suchtbeauftragten der Landesärztekammern durchzuführen. Dort können wir den Bedarf dann mit den Suchtbeauftragten noch einmal diskutieren und thematisieren und auch hören, wo es besonderen Schulungsbedarf gibt.

Mit Ihrer Kritik an der fehlenden Evidenz stehen Sie nicht alleine da. Aus diesem Grund sieht das neue Gesetz eine Begleitforschung vor. Können Sie kurz skizzieren, wie diese Forschung aussieht?

Der Arzt soll angeben, bei welchem Patienten welche Indikation gegeben wurde und wie das gewirkt hat, allerdings in anonymer Form. Ich hoffe, dass sich dann vielleicht in einigen Jahren etwas mehr zur Evidenz sagen lässt.
Ich halte es für dringend notwendig, dass wir da mehr Erkenntnisse bekommen!

Von vielen Aktivisten hört und liest man die Kritik, dass es zur Zeit noch oft an den Ärzten scheitere, die lieber auf Altbekanntes setzten, als Cannabis zu verschreiben. Ich frage mal bewusst provokant, Ihr Kollege aus Oberbayern, der ein Leben lang mit der Ansicht aufgewachsen ist, Cannabis sei eine Horrordroge, wie bewegt man den dazu, sich mit dem Thema undogmatisch auseinanderzusetzen?

Man muss den Ärzten etwas Zeit geben, schließlich ist das Gesetz erst wenige Monate in Kraft. Zudem hängt der Kenntnisstand, wie gerade erwähnt, auch von der Fachrichtung der Kollegen ab. Die Information der verordnenden Ärzte ist die Aufgabe der einzelnen Landesärztekammern. Deswegen wollen wir das ja mit deren Suchtbeauftragten besprechen, wir wollen sie informieren und uns auch mit ihnen abstimmen. Das heißt, bei der Bundesärztekammer werden wir Informationsmaterialien und Schulungsmaterialien bereitstellen. Die einzelnen Landesärztekammern, in Person der Suchtbeauftragten, werden daraufhin Schulungsmaßnahmen anbieten. So wird man die Informationen dann über die Kreisvereine und über die Qualitätszirkel nach und nach and die Kolleginnen und Kollegen bringen können.

Während Sie medizinisches Cannabis befürworten, positionieren Sie sich zum Freizeitgebrauch nicht ganz so klar. Ihr Kollege Herr Dr. Jonitz (Präsident der Berliner Ärztekammer, A.d.R.) ist hingegen ein offener Befürworter der Legalisierung. Haben Sie sich mit ihm schon einmal über das Thema unterhalten?

(Lacht) Ich habe vor einigen Wochen in der Saarbrücker Zeitung ein Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der Piratenpartei im Saarland geführt, die ja für eine Legalisierung sind. Und er meinte, das hätte ihm sehr gut gefallen.
Ich denke, man muss mehrere Dinge unterscheiden: Wir als Arbeitsgruppe Sucht und Drogen bewerten die Frage „Ist nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand Cannabis eine harmlose Droge?“ und da ist die aktuelle Studienlage eindeutig. Je jünger ein Mensch anfängt, Cannabis zu konsumieren und je länger er das macht, um so mehr Probleme sind zu erwarten, also Wesensveränderungen und Psychosen, Persönlichkeitsstörungen und solche Dinge. Damit ist für uns ganz klar, aus medizinischer Sicht können wir nicht sagen, das ganze ist harmlos und es spricht nichts dagegen.
Ob man aber sagt, das wird legalisiert, weil zum Beispiel die Risiken und Nebenwirkungen der Beschaffungskriminalität größer sind als die Nebenwirkungen des Konsums, das ist eine politische Frage. Das müssen dann die Kriminalexperten oder wer auch immer beantworten, aber nicht die Mediziner.

Herr Dr. Mischo, was erhoffen Sie sich nach der Wahl für einen Umgang von der Politik mit dem Thema Cannabis, einerseits als Arzt, andererseits vielleicht auch als Privatperson?

Also als Privatperson würde ich bezüglich Freizeitkonsum die bisherige Strategie beibehalten. Wichtig ist, dass man auch von politischer Seite Cannabis nicht verharmlost. Auch wenn man zu dem Ergebnis kommen sollte, dass man das legalisiert, muss man klar die Nebenwirkungen benennen, genauso wie man auch die Probleme des Rauchens und die von Alkohol thematisiert. Das muss auch der Gesellschaft klar sein, das darf man nicht bagatellisieren.
Bezüglich Cannabis als Medikation wünsche ich mir, dass sich der Wirkstoff jetzt möglichst einfach verordnen lässt, damit man den Patienten, die das brauchen, ihre Medizin auch zukommen lassen kann. Das ist ja im Moment alles noch ein bisschen sperrig, sage ich mal. Da muss man sehen, ob sich das so einspielt, wie es jetzt geregelt ist. Gegebenenfalls muss da die Politik noch etwas nachbessern, damit die therapeutischen Möglichkeiten letztendlich so wahrgenommen werden können, wie sie sollten.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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