Alle vier Jahre ganz nahbar: Plötzlich säumen die Konterfeis jeglicher Spitzenpolitiker wieder bundesdeutsche Straßenränder. Während die Designs immer wieder für Diskussionsstoff sorgen, sind ihre Qualitäten zur Vermittlung politischer Inhalte eher beschränkt.

Deshalb machen sich im heurigen Wahljahr verschiedene Kreative Gedanken darüber, wie man politische Meinungsbildung über Digitalangebote fördern kann. Die Ergebnisse können sich sehen lassen.

Wahlswiper – Wahl-O-Mat meets Tinder

Dass eine bekannte Dating-App als Vorbild für Wahlswiper herhält, daraus macht Max Mitschke keinen Hehl. „Wir haben uns entschieden, die Beantwortung der Fragen im Stil von Tinder zu machen, damit es einen spielerischen Ansatz gibt und es einfach Spaß macht, seinen Top Match für die Bundestagswahl zu finden“, erklärt der 24-Jährige Entwickler der App. Mitschke arbeitet für die Berliner Digitalagentur MOVACT, die mit dem Non-Profit-Projekt vor allem jüngere und ältere Erstwähler erreichen will.

Und das geht am besten mit einem Konzept, das einem großen Teil dieser Generation vertraut ist: Nach rechts wischen heißt ja, nach links wischen nein. Verbunden mit dem Prinzip des Wahl-O-Mat, bei dem der Nutzer seine Antworten auf politische Positionen mit denen der Parteien vergleicht, ergibt Wahlswiper ein smartes Tool für Unentschlossene.

(Startscreen und erste Frage. Bild: Screenshot)

Der Katalog beinhaltet 30 Fragen, die allen zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien zugeschickt wurden. Inhaltlich decken diese Fragen alle wichtigen Wahlkampfthemen ab, von Bildung, Steuern, Migration bis zur Europapolitik. Wer sich ob der knappen Fragestellung unsicher fühlt, für den haben die Entwickler eigene Erklärvideos kreiert, die in jede Frage eingebunden sind. Falls das bei wem nicht klappt (ich hatte irgendwie keinen Ton), kann man alle Videos noch einmal in einer von MOVACT zusammengestellten YouTube-Playlist anschauen. Spannend ist übrigens das binäre Antwortsystem. Die Option „neutral“ existiert bei Wahlswiper nicht. Nutzern und Parteien wird eine klare Positionierung abverlangt.

Wer alle Fragen beantwortet hat, kann auswählen, mit welchen Partien das Ergebnis verglichen werden soll. Im Gegensatz zum Wahl-O-Mat gibt es keine Begrenzung – man kann so viele Parteien auswählen, wie man will. Standardmäßig sind die sechs Parteien angewählt, die um den Einzug in den Bundestag wetteifern. Im nächsten Schritt offenbart sich das Top-Match. Als Prozentzahl angegeben zeigt die App die Übereinstimmung mit den verschiedenen Parteien. In der Detailansicht der jeweiligen Partei sieht man das Antwortverhältnis bei den jeweiligen Fragen und eine Begründung der Antwort, sofern die Partei eine solche beigelegt hat.
Sehr zu loben ist im Übrigen die Verlinkung von Partei-Website und Wahlprogramm.

(Top-Match und Detailansicht. Bild: Screenshot)

 Wahl 2Q17 – Google Trends zur #BTW

Wer wissen will, was in den Köpfen der Leute vorgeht, fragt Google. Deren seit Jahren von Werbern und Analytikern geliebtes Feature Google Trends liefert aufschlussreiche Daten über die peripheren Inhalte der Bundestagswahl. Die Firma Truth and Beauty um Moritz Stefaner ist auf Datenvisualisierung und Informationsästhetik spezialisiert. Mit Unterstützung des Google News Lab hat das Team um Stefaner das interaktive Tool Wahl 2Q17 entwickelt.

Hier werden die Google-Suchen zu den Spitzenkandidaten der sieben größten Parteien in verschiedene Kontexte gesetzt. Zum Beispiel lässt sich einsehen, welche Begriffe an einem bestimmten Tag am häufigsten in Verbindung mit einem Kandidaten gesucht wurden. So zeigen sich, je nach Kandidat, verschiedene Wortwolken. Wer eins der Wörter anklickt, startet selbst eine entsprechende Google-Suche für das jeweilige Datum.

(Das sucht Deutschland zur Wahl am 16.8.17. Bild: Screenshot)

Auch zeigt das Tool, welche/r KandidatIn in den letzten 21 Tagen am meisten Aufmerksamkeit erhalten hat. Angela Merkel führt diese Liste an, gefolgt mit einigem Abstand von Martin Schulz, der wiederum einigen Abstand auf die anderen Kontrahenten hat.
Ein anderes Feature lässt den Nutzer zeitstrahlartig im Wahljahr zurückblättern. Eine bunte Berglandschaft zeigt die politischen Momente der Spitzenkandidaten und ruft prägende Ereignisse noch einmal hervor. Der Mount Everest ist hier Angela Merkels Besuch in den USA, von dem medial vor allem ein missglückter Handschlag hängen geblieben ist.

(Moment des Wahljahres: Merkel bei Trump. Bild: Screenshot)

Wahl 2Q17 gibt einen interessanten Einblick darüber, was den Wähler an den Spitzenkandidaten interessiert. Wie tiefgehend dieses Interesse ist, darüber gibt eine Google-Suche natürlich keinen Aufschluss. Trotzdem ist das Konzept deshalb so spannend, weil es keine konstruierten Inhalte wiedergibt, sondern aus der Wählerperspektive „zeigt, was ist“. Wer sich für Google Trends begeistern kann, sollte auch auf der Google-eigenen Seite zur Bundestagswahl vorbeischauen.

wepublic/+me – Politiker und Wähler zusammen bringen

Man hört allenthalben, soziale Medien wie Twitter und Facebook hätten es geschafft, eine Unmittelbarkeit zwischen Politikern und Wählern aufzubauen. Und tatsächlich gibt es zahlreiche Beispiele für gelungene Twitter-Konversationen, in denen beide Parteien via 140 Zeichen in direktem Kontakt stehen. Der Regelfall ist das aber nicht. Zum größten Teil dient Social Media den Politikern als flexibleres Pendant zum Wahlplakat; kommuniziert wird vornehmlich in eine Richtung.
Einen dialogorientierteren Ansatz verfolgt das Team wepublic. Mit ihrem Pilotprojekt +me schaffen sie eine Bürgerdialog-App, die es Interessierten ermöglicht, politische Fragen zu stellen. Ähnlich wie in Foren gibt es eine Upvote-Funktion, die Fragen können also hochgewählt werden. Hat eine Frage genügend Upvotes, wird sie an die Politik weitergereicht. Im Gegensatz zum Wahl-O-Mat oder Wahlswiper können die Parteien dann nicht einmalig einen Fragenkatalog beantworten, sondern müssen sich auf die individuellen Fragen situativ einstellen.

(Fragen finden, Fragen schreiben, Antworten lesen: Die Bürgerdialog-App +me. Bild: Screenshot/Collage)

Die Antworten auf eine Frage kommen immer von allen Parteien gleichzeitig. So hat man einen guten Querschnitt, wie wer zum eigenen Thema steht. Die jeweiligen Antworten kann der Nutzer dann auch als gut oder schlecht bewerten.

+me ist ein spannendes Konzept, das Lust macht, sich auszuprobieren. Gerade das crowdbasierte Setzen von Themenschwerpunkten grenzt das Projekt von anderen Dialogplattformen ab. Noch ist die App zwar nicht draußen, eine Beta-Version soll aber bald kommen. Das Technik-Magazin t3n beziffert das Release-Datum auf den 24. August.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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