Bei dieser Präsidentschaftswahl wählen die Franzosen nicht nur einen neuen Präsidenten, sie entscheiden auch über Europas Zukunft. Während Europapolitik weder in Frankreich noch in Deutschland jemals ein wahlentscheidendes Thema war, geht es in diesem Jahr um alles oder nichts.

Europa wird in diesem Wahlkampf von rechts und links in die Populistenzange genommen.

Um noch einmal kurz die Fronten zu klären: Auf der pro-europäischen Seite stehen der Intensität ihrer Europafreundlichkeit nach geordnet: Der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron, der Sozialist Benoît Hamon und der konservative François Fillon. Die prominentesten Europagegener sind Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National und der linksradikale Jean-Luc Mélenchon. Le Pen und Mélenchon gehören kurz vor der Wahl am Sonntag zu den Favoriten für die zweiten Runde. Sie beide wollen den Austritt Frankreichs aus dem Euro und der Europäischen Union insgesamt. Europa wird also in diesem Wahlkampf von rechts und links in die Populistenzange genommen.

Mit Schein- und Totschlagargumenten gegen Europa

Während Brüssel oder wahlweise die „EU-Bürokraten“ wie ein Boxsack von rechts nach links durch die Arena geprügelt wird bekommen die pro-Europäer Schwierigkeiten, ihre europapolitischen Reformvorschläge glaubhaft zu verteidigen. In der derzeitigen Europadebatte in Frankreich zeigt sich das grundlegende Dilemma eines vereinten politischen Europa ohne gemeinsamen Kommunikationsraum: Die Europagegner können unverhohlen die „Brüssel-Eliten“ für alles Schlechte in ihrem Land verantwortlich machen, kein Vertreter der europäischen Institutionen kann in der innerfranzösischen Debatte mit Argumenten und Fakten dagegenhalten. Die Europafreunde, allen voran Macron und Hamon, machen weitgehende Reformvorschläge, wie Europa stärker und besser zusammenarbeiten kann (etwa mit einem gemeinsamen Haushalt der Eurozone). Die Vorschläge werden ungehört vom Tisch gewischt, insbesondere mit dem Vorwurf, diese Vorschläge ohne Unterstützung der anderen Länder, insbesondere der zögerlichen Merkel, gar nicht umsetzen zu können. Hier wird um das gleiche Thema mit ungleichen Mitteln gerungen. Le Pen und Mélenchon schlagen mit ihren Scheinargumenten Europa tot und haben gegen Macron und Hamon ein scheinbares Totschlargument in der Hand.

Nous restons ensemble

Natürlich handelt sich bei der Präsidentschaftswahl immer noch um eine nationale Wahl und mit Einflussnahme von außen muss man sich zurückhalten. Aber wenn Le Pen oder Mélenchon in den Élysée-Palast einziehen, dann ist die EU am Ende —und das betrifft alle Bürger in Europa! Viele deutsche Bürger haben das schon erkannt und bei den „Pulse of Europe“-Demonstrationen der letzten Wochen „Nous restons ensemble“ über den Rhein gerufen.

Europa muss in Wahlkämpfen eine Stimme haben.

In einer transnationalen politischen Union haben nationale Wahlen direkte Auswirkungen auf alle anderen Mitgliedsländer. Um dem gerecht zu werden müssen wir nicht unser Wahlrecht ändern, aber schleunigst unsere Debattenkultur: Europa muss in Wahlkämpfen eine Stimme haben statt stummer Prügelknabe zu sein. Warum debattiert nicht Jean-Claude Juncker, der multilinguale Kommissionspräsident, der von allen 28 europäischen Regierungen ins Amt gehoben wurde, mit Le Pen und Mélenchon, was deren europapolitische Vorstellungen in der Praxis für das Land und den restlichen Kontinenten bedeuten? Warum sagen Angela Merkel und Martin Schulz nicht, welche Reformvorschläge sie von Hamon, Fillon und Macron für unterstützungswürdig halten und welche nicht? Entscheiden sollen am Ende die Franzosen, frei und souverän, aber ihre Wahl könnte informierter ausfallen, wenn die europapolitische Vorschläge einem europäischen Realitätscheck unterzogen werden. Doch dazu müsste man mit Europa reden.

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Johannes Hillje
Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Politiker, Parteien, Institutionen, Verbände und Firmen. 2014 leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei. Davor arbeitete er für die UN in New York und beim ZDF in Mainz.
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