Wenn man dem Tenor der deutschen Berichterstattung glaubt, dreht sich im niederländischen Wahlkampf alles um Geert Wilders. Dem ist aber nicht so. Der blondierte Rechtspopulist ist in den letzten Wochen eher selten in der Öffentlichkeit aufgetreten, hat lieber getwittert als an dem größten TV-Duell teilzunehmen. Auch wird Wilders aller demoskopischen Wahrscheinlichkeit nach nicht der große Wahlsieger sein. Die größten Zuwächse könnte laut langfristigem Umfragetrend ein Mann und eine Partei verbuchen, über die hierzulande kaum jemand spricht: Jesse Klaver von den Grünen, die in Holland „GroenLinks“ heißen.

Im aktuellen Parlament stellen die Grünen nur eine possierliche Mini-Fraktion von vier Abgeordneten, nun könnten sie 17-20 Sitze erreichen, liegen in einer der letzten Umfragen mit 13% nur zwei Prozentpunkte hinter Wilders und drei Prozent hinter der führenden VVD von Ministerpräsident Mark Rutte. Der Aufstieg des grünen Frontmanns Jesse Klaver ist ein Lehrstück für den Umgang mit Rechtspopulisten. Klaver personifiziert und vertritt als das, was Wilders vehement bekämpft. Klaver, der selbst marrokanische Wurzeln hat, ist für Migration, für mehr Europa, für sehr viel stärkeren Klimaschutz. Er wird oft mit dem kanadischen Ministerpräsidenten verglichen, doch diese Parallele trägt nicht weit. Äußerlich mag er Justin Trudeau ähneln, aber inhaltlich ist er deutlich näher bei Bernie Sanders. In der Wirtschaftspolitik will er allem voran die Steuersparmodelle, mit dem der Staat große Unternehmen wie Starbucks ins Land gelockt hat, endgültig abschaffen.

Klaver ist der beliebteste Kandidat unter den 18 bis 35-Jährigen, nicht zuletzt weil er dem Rechtspopulismus eine alternative Identitätspolitik entgegensetzt. Diese Identität beruht auf kulturellem Miteinander, gegenseitigem Respekt, pro-europäischer Haltung – sie betont Gemeinsamkeiten statt Gegensätze der in Holland lebenden Menschen. Der liberale Mark Rutte beantwortet die Frage, wie die niederländische Gesellschaft aussehen soll, mit einer Anbiederung an Wilders und schärft den Ton gegenüber Muslimen. Das hat Rutte in den Umfragen kaum etwas gebracht, er profitiert nur von Wilders Schwäche. Jesse Klaver hat in die kulturell geführte Einwanderungsdebatte eine positive Vision eingebracht, die deutlich besser mit den Verfassungsgrundsätzen der Niederlanden und den Realitäten einer international verflochtenen Welt korrespondieren als Wilders „De-Islamisierungskurs“. Während Rutte Wilders hinterherläuft, läuft Klaver in die entgegengesetzte Richtung. Und viele Holländer laufen dem Grünen hinterher.

In den letzten Monaten ist eine regelrechte Graswurzelbewegung entstanden. Als Klaver am letzten Donnerstag in einer großräumigen Amsterdamer Konzerthalle auftrat – normalerweise stehen Rihanna oder Kings of Leon auf dieser Bühne – jubelten ihm 5.000 Anhänger zu. Er gab dieser Massenansammlung an diesem Abend einen Namen: Bewegung der Empathie. Im europäischen Superwahljahr 2017 scheint das eine der besten Antworten zu sein, die bisher auf Trump, Brexit und Rechtspopulismus gegeben wurde.


Bildnachweis:

The following two tabs change content below.
Johannes Hillje
Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Politiker, Parteien, Institutionen, Verbände und Firmen. 2014 leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei. Davor arbeitete er für die UN in New York und beim ZDF in Mainz.
Johannes Hillje

Neueste Artikel von Johannes Hillje (alle ansehen)