Horst Seehofers persönliche Unabhängigkeitserklärung liegt heute 13 Jahre zurück. Damals zog er sich aus der Fraktionsführung der Union in Berlin zurück, weil er die Gesundheitsprämie, damals Merkel-Linie zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, partout nicht mittragen wollte.

Wer freiwillig auf ein Führungsamt verzichtet, schwimmt sich frei von jenem verbreiteten Karrieremechanismus, in dem Loyalität mit weiterem Aufstieg belohnt wird. Seehofer suchte sich seine Ersatzbühne in München, besiegte seine Widersacher auf dem Weg zur bayerischen Doppelkrone und schaffte damit, was Wenigen gelingt: Beinfreiheit gegenüber Berlin mit der dortigen Kanzlerin und gegenüber seiner eigenen Heimatpartei.

Heute vermag er es, eine erstaunlich große Zahl von erstaunlich mächtigen Menschen nach seiner Agenda-Setting-Pfeife tanzen zu lassen, ohne dabei selbst aus der Kurve zu fliegen. Er kann parallel alle Anwärter auf seine bayerischen Führungspositionen auflaufen lassen und über Monate den Großkonflikt mit der Bundeskanzlerin inszenieren. Aktuell heizt er wieder Spekulationen an, nach Ostern Klarheit über seine Zukunftspläne zu schaffen.

Unberechenbar erfolgreich

Warum sollte er das tun? Sein bewährtes Machtprinzip ist – völlig wertfrei gemeint – Unberechenbarkeit. Die Koalitionspartner von CDU und SPD verzweifeln seit geraumer Zeit am programmatischen Irrlichtern aus München, nur mühsamst teilkompensiert von einer bewundernswerten Landesgruppenchefin Hasselfeldt. Die Diadochenkämpfe um Parteivorsitz und MP-Rolle werden längst in den bunten Seiten abgehandelt statt im Politikteil, so bühnenreif sind die Wechsel von Attacke, Rückzugsandeutung und genährter Hoffnung auf Unterstützung gegenüber Söder, Hermann, Weber oder anderen.

Konsequenz zeigte die Seehofer-CSU ausgerechnet bei Herdprämie und PKW-Maut, Projekten mit enormem Nervpotenzial für das politisch denkende Deutschland. Konsequenz bis zum Pakt mit dem Erfurter Klassenfeind, der im Bundesrat (mangels eigener Außengrenzen?) ein paar elektrifizierte Schienenkilometer für die Maut-Duldung eintauscht.

Aber warum schadet all das Vielen, nur nicht dem Herrn der Nebelkerzen? Sagen die Lehrbücher nicht, dass Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit die Voraussetzung für öffentlichen Zuspruch, für das Prägen einer erfolgreichen Politikermarke sind?

Der Schulterschluss entscheidet

Weil die CSU alles ist, aber keine Programmpartei. Außerhalb der Unionparteien kann man sich kaum vorstellen, wie sehr die Adenauersche Prägung der Union nachwirkt: Die Partei lebt vom Schulterschluss gegen die Herrschaft der anderen. Offensichtlich kann man Unions-Parteitage auch heute bestens bestehen, wenn man als Führungsfigur, zwischen allen Tonlagen wechselnd, mal den global denkenden Machtmenschen, mal den umarmenden Heimatverliebten und mal den teamorientierten Ministerialmanager gibt. Hauptsache, niemand zweifelt an der Fähigkeit zum Umgang mit und dem unbedingten Willen zur Macht. Alles ist gut, solange nur alle den Worten des Vorsitzenden lauschen, aus welchem Anlass auch immer.

Am Anfang dieser persönlichen Erfolgsgeschichte stand eine Unabhängigkeitserklärung aus der Welt der Inhalte. Heute könnte man sich – durchaus respektvoll – fragen, ob nicht auch das eine große, erfolgreiche Inszenierung war.

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Jörg Ihlau
Jörg Ihlau, Dipl. Volkswirt, Jg. 1962, seit 2006 Geschäftsführer Serviceplan Public Opinion. Zuvor 1991 bis 1996 Bundesbauministerium, dann Geschäftsführer des Pleon-Hauptstadtbüros. Berät Verbände, Ministerien und öffentliche Institutionen.