Als sich am Novembermorgen nach der Wahlnacht in den Vereinigten Staaten sowohl Clinton- als auch Trump-Anhänger ungläubig die Augen rieben und fragten, wer oder was in der Welt für diesen Ausgang verantwortlich war, hatte ein Ort im Internet seine ganz eigene Antwort darauf:

„We actually elected a meme as president.“
4chan-Nutzer, zitiert von Chicago Tribune

The Meme War

Die da so selbstsicher sprachen, das waren die Nutzer des Message boards 4chan. Die Website, speziell das Subforum /pol/ (für „Politically Incorrect“), hatte sich während der Kampagne zu einem Sammelbecken der Alternativen Rechten entwickelt.
Die gemeinsame Vorliebe für politische Unangepasstheit, skurrilen Rassismus und Memes ergoss sich in einem so produktiven nihilistischen Schaffen, dass die Auswüchse der Community über die eigenen Grenzen hinaus bekannt wurden.

Das bekannteste Meme, das in den /pol/-Boards zum Leben erwachte, ist Pepe der Frosch. Ursprünglich als politisch farblose Amphibie vor allem von Normalos wie Katy Perry und Nicki Minaj benutzt, entfremdete die 4chan-Gemeinde das Tier von seinem Ursprung und reicherte es mit kruder Nazi-Symbolik an. Man überbot sich darin, die skurrilsten Memes zu erstellen, ironisch „rare Pepes“ genannt, und diese in die Welt zu schicken. Der Clou war es, auf Reddit, Twitter und Co. ein möglichst breites Spektrum an Liberalen und Linken damit zu entrüsten. Die Gegenseite blieb dabei natürlich nicht untätig und versuchte sich nach Kräften zu wehren. Aus diesem Online-Schlagabtausch entstand ein Zustand, den man unter dem Namen „The Great Meme War“ googeln kann.

Im Verlauf der Präsidentschaftskampagne zeichnete sich neben einem ausgeprägten Internet-Rassismus und Anti-Semitismus noch ein weiterer Kontext ab, aus dem der rechte Memekatalog seinen Antrieb schöpfte: Eine absurde, karikaturistische Glorifizierung Donald Trumps. Weniger aus politischer Überzeugung heraus als aufgrund eines Rebellionsbedürfnisses, der Lust am Destruktiven und, natürlich, „for the lulz“, aus Jux.

Die Massen erreichen

Die Redditors und 4channers kämpften ihren Kampf gegen „das Establishment“ mit eigenen Waffen und beschlossen, Donald Trump ins Weiße Haus zu memen. Sie setzten es sich zur Aufgabe, die sozialen Netzwerke mit ihren Pepes und anderen Memes zu überfluten und so die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Strategie ging insofern auf, als dass sich in kurzer Zeit zahlreiche Medienvertreter über die rassistischen Pepes echauffierten und das Thema kurzerhand aus dem Nerdtum in die Öffentlichkeit katapultierten.
Endgültige Bekanntheit erreichten der Frosch und seine Erfinder als Donald Trumps Sohn, Donald Jr., eine Fotomontage auf Instagram postete, in dem Pepe neben anderen prominenten Vertretern der Alt-Right-Bewegung unter dem Schriftzug „The Deplorables“ zu sehen war. Clinton hatte kurz vorher gesagt, die Hälfte aller Trump-Unterstützer gehöre in den „Bucket of Deplorables“, also den Abfalleimer.

Als Reaktion auf das Foto entdeckte auch Hillary Clinton den Hintergrund des Memes und veröffentlichte ein Statement auf ihrer Website, in dem sie Pepe den Frosch brandmarkte. Spätestens ab da wurden Trump, Pepe und die Alt-Right Bewegung in der liberalen öffentlichen Wahrnehmung als Triumvirat des Bösen gesehen.

Inwieweit Donald Trumps Wahlsieg im Endeffekt an die Anstrengungen der 4chan- und der Reddit-Gemeinde gekoppelt ist, kann man nicht erheben. Es wird keine klaren Zahlen geben, wie viele Wähler ihre Stimme aufgrund von Memes und Internet-Trolling abgegeben haben. Doch so absurd sich die Idee anhört, ein Untergrund Message Board habe das Potenzial, Wahlen zu entscheiden, so ausführlich und on point fasst dieser Artikel zusammen, welche Schmetterlingseffekte eine Hand voll „pubertierender Jungs“ erzeugen kann, wenn sie sich zusammen tun.

Nun sind Foren wie 4chan und Reddit nicht nur auf nordamerikanisches Publikum beschränkt, und tatsächlich findet sich ein vergleichbares, wenn auch vom Gestus sympathischeres Phänomen auch in der Bundesrepublik wieder.

The Schulz

Die Arena dieses Schauspiels ist ein Subreddit namens /r/the_schulz, seines Zeichens ursprünglich erdacht als eine Persiflage auf das Trump’sche „The Donald“, das ebenfalls als Subreddit seit einiger Zeit die Plattform mit Hass und Rassismus kontaminiert. Auf „The Schulz“ wird Martin Schulz als Gottkanzler gefeiert, dessen Weg ins Kanzleramt keine Bremsen habe.
Auch hier tut die Memekultur ihr bestes, gegenwartspolitische Aussagen und Ereignisse aufs Kurioseste zu verwursten. Donald Trumps #MAGA (Make America Great Again) wird Mal eben schnell zu #MEGA (Make Europe Great Again), Schulz selbst nach seiner Kritik an der Agenda 2010 zum „Arbeiterkaiser“.

Unterdessen nahmen die Sozialdemokraten die Vorlage gerne an: Der Hashtag #schulzzug verselbstständigte sich auf Twitter und Martin Schulz bedankte sich per Videobotschaft bei den Reddit-Usern.

Am Anfang war der Witz

Dabei sind diese zum Großteil gar keine SPD-Mitglieder bzw. überhaupt parteiinvolviert, erzählt ein Moderator des Forums der Berliner Zeitung. Tatsächlich scheint die meisten Nutzer eher ein gemeinsames Interesse an der Komik der Persiflage zu einen als der politische Diskurs. In Meme-Tradition werden aus geflügelten Sätzen wie „Der Schulzzug hat keine Bremsen“ immer abstrakt-witzigere Modifikationen, bis man am Ende bei solchen linguistischen Perlen wie „Das schienengestützte Fortbewegungsmittel hat keine Funktion zu Geschwindigkeitsreduzierung“ landet. Dinge werden aufgegriffen, individuell verdreht, in der Gemeinschaft geteilt und ergeben eine sich stets neu sortierende Collage einer Narration, deren einziger Zweck der Selbstzweck ist. Und der Spaß, der daraus entsteht.

In diesem Punkt ähneln sich die Protagonisten der alternativen Rechten und die deutschen Redditors von the_schulz. Natürlich feiern es beide Gruppen, wenn die Projektionsflächen ihrer Anstrengungen, Schulz und Trump, ihnen gegenüber wohlwollend in Erscheinung treten, sowie auch jeder Fehlschlag der Gegenpartei unweigerlich ein innerliches Frohlocken entblößt (wenn auch der kämpferische Geist bei den 4chan-Nutzern eine wesentlich zentralere Rolle spielt).
Der Initiationsgedanke entspringt jedoch nicht einer klassisch motivierten Unterstützung des Kandidaten oder seiner Politik; der zündende Funke ist ein eigennütziger.
Dieser Hauptunterschied zu all den Wählerinitiativen oder parteigestützten Wahlkampfmechanismen ist vielleicht auch der Grund, warum der ganze Aktionismus nicht ins Leere läuft: Weil er eben gerade kein Ziel hat.

Was als Spaß begann, entwickelte sich für die SPD zu einem echten Glücksfall. Unter Sigmar Gabriel noch als perspektivlos abgetan, startete sie unter Martin Schulz eine Aufholjagd, die in einem Vorbeiziehen an der Union ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Auch hier kann keine Statistik der Welt darüber Aufschluss geben, ob und wenn ja, in welchem Maße die Reddit-Community und ihr Hype um the_schulz daran beteiligt waren. Fakt ist jedoch, dass Boards wie diese in einer Zeit der großen Sinnkrisen einen unbestreitbaren Einfluss auf den politischen Diskurs haben. Und dass die Menschen in dem fast dadaistischen Umgang mit diesen Themenkomplexen einen Sinn finden.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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