Molotow Cocktails, Sturmhauben, Steineschmeißer. In den USA häufen sich seit einiger Zeit Szenen, die an das Kreuzberg der 80er Jahre erinnern.

Die dunkle Bedrohung

Entgegen häufigen Medienberichten bezeichnet der Begriff „schwarzer Block“ keine Bewegung. Vielmehr handelt es sich um eine Taktik, bei der mehrere Demonstranten sich durch äußere Konformität den Schutz der Anonymität verschaffen.

Als Donald Trump am 20. Januar 2017 zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, versammelten sich Zehntausende, um dagegen zu protestieren. Die Mehrheit der Menschen war gekommen, um ihrem Ärger friedlich Luft zu machen. Sie waren aber am Ende des Tages nicht die, die für Schlagzeilen sorgten.
217 Verhaftungen bilanzierte die Polizei am nächsten Morgen, sämtlich Antifaschisten des schwarzen Blocks, die ihre selbst gestellte Aufgabe, die Verbreitung von Chaos, sehr ernst genommen hatten. Sie zündeten Autos an, warfen Schaufenster ein und bekriegten sich mit der Polizei. Nebenbei landeten sie einen viralen Hit, als einer von ihnen dem Nationalisten Richard Spencer einen Fausthieb verpasste. Versionen des Videos von der Aktion wurden in den sozialen Medien millionenfach geteilt, immer mit einem anderen Soundtrack unterlegt. Das fanden dann auch viele friedliche Demonstranten irgendwie witzig.

Die Öffentlichkeit weiß den Aktionismus der „black bloc protestors“ häufig nicht so recht einzuordnen und begegnet ihnen mit gemischten Gefühlen. Dennoch mehrt sich die Präsenz bei den Anti-Rechts-Protesten, die ihrerseits ebenfalls immer häufiger stattfinden.
Wie zuletzt Anfang Februar. Da hatte es die Berkeley University in San Francisco dem Alt-Right Posterboy Milo Yiannopoulos gestattet, eine Rede auf dem Campus zu halten. Bereits einige Wochen im Vorfeld hatten Studenten einen friedlichen Protest dagegen organisiert. Doch als die ca. 150 maskierten Aktivisten auftauchten, geriet die Aktion außer Kontrolle. Molotow-Cocktails, ein offenes Feuer und eingeworfene Fensterscheiben verhinderten Yiannopoulos Rede. Für die Aktivisten ein Erfolg.

Ein Gespenst geht um in den Staaten

Bilder von vermummten Antifaschisten, die Steine schmeißen, sind in vielen europäischen Ländern ein häufiger Begleiter von Demonstrationen. Die USA sind hingegen nicht so recht für ihre radikale Linke bekannt. Doch die Vehemenz der Proteste der letzten Jahre —und verstärkt der letzten Monate— wirft eine Frage auf.

Formiert sich in den USA eine militante Linke nach europäischen Maßstäben?

Gräbt man in der amerikanischen Geschichte nach ersten antifaschistischen Tendenzen, wird man allenthalben in der großen Zeit der Bürgerrechtsbewegungen, den 1960er Jahren, fündig. Damals ging es um Frieden und Gleichberechtigung, gegen den Krieg in Vietnam und Lyndon B. Johnson. Dabei hat der militante Antifaschismus in den USA durchaus eine Geschichte, wie das Magazin Mother Jones kürzlich aufzeigte. Auch in der Hochzeit des Punks gab es hüben wie drüben eine „Kultur“ des gewaltsamen Auseinandersetzens mit Faschisten. Als in den 80er und 90er Jahren diese Form des Protests in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, schlief das Engagement jenseits des Atlantiks allerdings ein. Gewaltsame Proteste blieben die Ausnahme. Wenn sie doch stattfanden, war die Zahl der Teilnehmer und die mediale Aufmerksamkeit gering.

Bis zum Jahr 2010. Plötzlich war es nicht mehr der Faschismus, sondern der G20-Gipfel in Toronto, der zehntausenden Menschen einen Anlass zu demonstrieren bot. Plötzlich traten nordamerikanische Anarchisten als organisierter schwarzer Block auf. Die anschließenden Berichte über die Zahl der Verhaftungen schwanken zwischen dreihundert und mehr als tausend.
Rund ein Jahr später krachte es bei der Occupy-Wall-Street Bewegung. Die Aktionen spalteten die Occupy-Anhänger. Während einige den schwarzen Block dafür lobten, den friedlichen Demonstranten die Polizei vom Hals zu halten, fand der linksliberale Journalist Chris Hedges deutliche Worte dagegen:

„The Black Bloc anarchists, who have been active on the streets in Oakland and other cities, are the cancer of the Occupy movement.“

Seitdem vergrößert sich der militante Widerstand. Und auch thematisch kommt er zur breiteren Anwendung. Nach der „korrupten Weltwirtschaft“ und „dem Bankensystem“ sind es jetzt vor allem Bürgerrechte, wie 2014 in Ferguson oder jüngst im Zuge der North Dakota Pipeline, die einen Prioritätenwechsel im linken Spektrum andeuten. Was aber ist der Konsens der neuen Linken? Gibt es überhaupt einen? Existiert eine „linke Bewegung“, wie wir sie in Europa kennen, überhaupt und was sagen eigentlich die Linken selbst dazu?

(Brennendes Polizeiauto beim G20-Gipfel in Toronto. Bild: Mark Mozaz Wallis)

Militant

Das Subreddit /r/militant ist eine der Top-Adressen für interessierte Antifaschisten. Der Fokus liegt auf Nordamerika, obschon auch Posts zu internationalen Themen dort behandelt werden. Neben tagesaktuellen Meldungen und linkspolitischen Diskussionen bekommt man auch Verhaltenstipps für Demonstrationen. Manche davon lesen sich wie Kriegsvorbereitungen:

„Always assume a protest will become a riot.“

Die Moderatoren des Forums distanzieren sich von Aufrufen zu Gewalt und behalten sich vor, entsprechende Postings zu löschen. Es wird schnell klar, dass das vor allem dem Selbstschutz dient: Die Regeln von Reddit verbieten Gewalt. Wer das ignoriert, bringt die Community in Gefahr.

Im persönlichen Gespräch sieht der Vorbehalt gegen Gewalt schon nicht mehr ganz so dogmatisch aus. Nachdem der Moderator SKBroadDay sichergestellt hatte, dass ich kein verkleideter Faschist war, erklärte er sich bereit, mir einige Fragen zu beantworten.

(Der bekannte Sticker ziert das Design des Subreddits)

SKBroadDay ist kein Anfänger in der linken Szene. Vom schwarzen Block redet er als „they“, allerdings sympathisiert er mit ihnen; ihre Aktionen seien hilfreich, wenn auch alleine nicht ausreichend.
Auf die Gesamtsituation der Linken angesprochen sagt er: Es gibt zur Zeit keine zusammenhängende Linke. Die Akteure seien meist einzelne Gruppierungen, die sich in der Regel für größere Bewegungen wie Black Lives Matter engagierten. Und eine linke Kultur wie in Deutschland, Italien oder Griechenland sei in Nordamerika selbstverständlich nicht gegeben.

Eine geeinige Linke braucht es nicht. Die Ziele sind sowieso dieselben.

Sind die Ausbrüche der letzten Zeit also reiner Zufall? Nein, tatsächlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Trump und dem Erstarken der Linken. „Die Linke wird militanter und organisierter“, sagt SK. Dass der Gesinnungswandel erst jetzt kommt, hält er der Linken allerdings vor. „Obama hat über drei Millionen illegale Einwanderer deportiert und tausende unschuldige Zivilisten in Drohnenangriffen getötet. Trump ist einfach offener mit seiner unterdrückenden Einstellung, während die Demokraten lediglich versuchen, sie zu verstecken.“

„I’m glad the left is finally starting to get going, but christ, it took us long enough.“
— SKBroadDay

Die deutsche Linke sieht sich oft mit der Kritik konfrontiert, zu zersplittert, zu uneinig in sich selbst zu sein. Auch wenn SKBroadDay den Fortschritt „seiner“ Bewegung begrüßt, sieht er keine Notwendigkeit einer geeinten Linken.
Die meisten linken Ziele tendierten ohnehin in dieselbe Richtung. Man müsse nicht überall in allem übereinstimmen, um Kram erledigt zu bekommen.
An der Stelle springt ihm ein Kollege bei, ebenfalls Moderator des Forums: „Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die USA wesentlich größer sind, als die meisten anderen Nationen. Wir haben mehrere Staaten, die größer als Deutschland sind. Was dem einen Teil der USA am Herzen liegt, mag auf einen anderen Part vielleicht keinen so einen großen Effekt haben.“

It’s the Internet, stupid!

Man kann aus diesen Aussagen keine hinreichende Beschreibung einer ganzen Szene spinnen, allerdings bestätigen sie eine Wahrnehmung: Die amerikanische Linke erfährt einen nationalen Aufschwung, während Donald Trump jeden Tag aufs neue für präsidiale Eklats sorgt. Und diese neue Linke ist sauer, sauer auf Trump, sauer auf die Republikaner, sauer auf die Demokraten. Sie agiert neben dem und über den Parlamentarismus hinweg, weil sie muss; denn während die Linke hierzulande noch in der Parteienlandschaft repräsentiert wird, wurde den wirklich linken Amerikanern mit dem Ausscheiden des Demokraten Bernie Sanders‘ aus dem Kandidatenrennen – und der zweifelhaften Beteiligung seiner eigenen Partei daran – die Hoffnung auf die Vertretung ihrer Interessen in der Politik geraubt.

Der Hass, der im Wahlkampf so sorgfältig kultiviert wurde, kommt nun nicht nur in der gesteigerten Zahl an Hatecrimes und rassistischen Übergriffen zum Ausdruck. Auch diejenigen, die sich gegen diese Auswüchse wehren, haben offenbar genug von der Zurückhaltung.

Aber liegt es alleine an Trump, dass sowohl Rechte als auch Linke erstarken? Die US-Ausgabe des Magazins Wired hat bereits vor einiger Zeit beobachtet, dass die Alt-Right Bewegung mit der Antifa einen neuen Feind bekommt, online wie offline. Dabei deutet die Autorin an, dass soziale Medien bei der Radikalisierung junger Menschen als treibende Kraft wirken. Wenn man das denn so sagen kann; in den post-ironischen Ecken des Internets ist es immer schwer festzustellen, wie viel Ernst am Ende in diesem oder jenen Meme steckt.

„Die Leute sehen die Ikonographien in den sozialen Netzwerken, downloaden einen Flyer und nennen sich plötzlich Antifaschist“, zitiert die Wired-Autorin den Soziologen und Kriminologen Stanislav Vysotsky. „Das Internet macht es alles sehr zugänglich.“

Und nun?

Die Frage, ob sich in den USA zur Zeit eine radikale Linke formt, kann man also bejahen. Aus einem anderen Blickwinkel könnte man aber auch behaupten, es forme sich generell das erste Mal seit der Bürgerrechtsbewegung so etwas wie ein ernstzunehmendes linkes Spektrum, dessen radikale und militante Vertreter lediglich die mediale Oberfläche durchbrechen. Eine dritte Perspektive wäre die einer Europäisierung der amerikanischen Linken. Während die europäische Linke meterweise Land verliert. Hier hat man den Demonstranten stückweise ihre Daseinsberechtigung geraubt: Mindestlohn, Atomausstieg, zuletzt Merkels Flüchtlingspolitik. Dagegen erinnert das Temperament der Dakota Pipeline Proteste an die deutschen Anti-Atomkraft-Proteste der 70er und 80er Jahre.

Die These hieße, dass sich die US-amerikanische Linke gerade einem für dortige Verhältnisse unsäglichen Linksruck unterzieht. Ein Novum in einem Land, in dem die Bürger im November zwischen zwei Staatsoberhäuptern wählen sollten, die man hierzulande zwischen CDU und AfD einordnen würde.

(Dakota Access Pipeline Protest. Bild: Pax Ahimsa Gethen)

Dass zeitgleich auch die Rechten zunehmend an Land gewinnen, befeuert von denselben Strömungen, ist allerdings kein amerikanisches Phänomen. Das sehen wir auch in heimischen Sphären, trotz einer geschichtsträchtigen radikalen Linken, die in Anbetracht der peitschenden Kraft von rechts in ihrem Handeln etwas antiquiert wirkt. Ob sie dort drüben von dem frischen Feuer ihrer Genese profitieren können?

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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