Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern brummt wie ein Erdbeben in Richtung Berlin – die CDU ist nur noch drittstärkste Kraft, und das auch noch im Heimat-Bundesland der Kanzlerin. Zahlreiche Politiker aller Couleur haben sich inzwischen äußern dürfen, allerdings sind die Botschaften diese Woche kaum anders als noch letzten Samstag.

Für eine andere, nicht wahlkampfgetriebene Einschätzung hat sich wahl.de im politischen Berlin umgehört und bei Politikberatern gefragt, was das Ergebnis aus Schwerin für die nächsten Wochen, die Kanzlerin und die bevorstehende Bundestagswahl bedeuten kann.

„Die AfD ist nicht interessant“

Nicht die AfD an sich solle man jetzt im Fokus haben, meint Sebastian Frevel von ADVICE PARTNERS. „Spannend ist, wie sich der Erfolg der AfD auf die anderen Parteien auswirkt.“

Für Daniel Florian von g+ bleibt die Wahl bundespolitisch wenig relevant. Zwar stärke das Ergebnis die Kritiker der Kanzlerin, aber „dass sich allerdings einer ihrer Parteifreunde so kurz vor der Bundestagswahl traut, die Parteivorsitzende offen herauszufordern, ist unwahrscheinlich.“

CDU-interne Veränderungen hält Axel Wallrabenstein von MSL für notwendig, aber nicht an der Spitze der Bundespartei: „Die CDU muß sich dringend um Führungspersönlichkeiten in den Ländern kümmern, die auch ein echtes Angebot darstellen und der Medienwirklichkeit Rechnung tragen.“

„Verlässlichkeit und einen gewissen Pragmatismus“ sieht Jan Böttger von 365 Sherpas als einzigen Weg, um „Absetzbewegungen“ von Wählern und v.a. Nichtwähler zu stoppen.

Christian Thams von Burson-Marsteller deutet das Wahlergebnis auch personenbezogen: Im Wahlergebnis der SPD sieht er den Beleg, dass „nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erneut ein personalisierter Kandidaten-Wahlkampf zum Erfolg geführt“ hat. Einen ‘Merkel-Malus’ halte er hingegen für überzogen.

Mindestens aber aufgrund Merkels Gewicht in der EU schauen internationale Beobachter auf so regionale Ereignisse wie Landtagswahlen, meint Carsten Nickel von Teneo Intelligence. Die Sorge sei, „dass Deutschland nun mit Frankreich und Großbritannien gleichzieht und radikal euroskeptische Positionen auch bei der nächsten Bundestagswahl mehrheitsfähig werden.“

Neue Koalitions- und Handlungsoptionen

Dass sich etwas grundlegendes ändern wird, dessen sind sich alle Angesprochenen gleichermaßen sicher. Aber trotz des politischen Erdbebens an der Ostseeküste klingen die Empfehlungen eher nach Besonnenheit.
Zur Bundestagswahl, meint Florian, gelte das ‘Borgen’-Prinzip: „es kommt nicht alleine darauf an, wie viele Stimmen eine Partei hat, sondern auch auf die Zahl der Koalitionsoptionen.“ Auch Nickel weist darauf hin, dass „trotz oder gerade wegen des Merkel-Bashings“ die Dynamik aus einem AfD-Erfolg die CDU intern eher festige, während die SPD Koaliationsoptionen einbüßt.
Wallrabenstein rät, auf die Veränderungen der politischen Landschaft müsse man „mutig und nicht hasenfüßig reagieren, mit den richtigen Personen, Themen und intelligenten Strategien“. Auch Thams sieht eine „Vertrauenskrise“ als Herausforderung, „die über ein Anti-Merkel-Sentiment hinausgehende Gründe“ habe. Böttger sieht diese Gründe darin, dass nur „reflex- und schablonenartig“ kommuniziert würde.
Für Frevel entstehen aus den neuen Konstellationen auch Chancen: „Wenn viel in Bewegung kommt, entstehen Handlungsoptionen für Interessenvertreter.“

Ob dies die Art der Veränderung ist, die sich der durchschnittliche AfD-Wähler durch sein Handeln erhofft, lässt sich nicht sagen, aber vermutlich wird es bis zur Bundestagswahl kräftig weiter brodeln, unter der Haube des politischen Berlins.

Die Aussagen im Wortlaut:


Axel Wallrabenstein

Chairman, MSLGROUP Germany GmbH

Interessant ist die Wählerwanderung von allen etablierten Parteien in Richtung AfD und das hohe Mobilisierungspotenzial der Rechtspopulisten.

Die etablierten Parteien müssen mehr über die realen Erfolge sprechen und so dem Eindruck der gefühlten Problemlagen entgegentreten. Die SPD und CDU haben weniger Wähler verloren als vermutet, aber bei einer höheren Wahlbeteiligung keine neuen hinzugewonnen.

Dem Eindruck gefühlter Problemlagen entgegentreten

Die CDU muß sich dringend um Führungspersönlichkeiten in den Ländern kümmern, die auch ein echtes Angebot darstellen und der Medienwirklichkeit Rechnung tragen.

Das politische System in Deutschland wird sich verändern. Das sehen wir auch weltweit und in Europa seit einigen Jahren. Hierauf muss man mutig und nicht hasenfüßig reagieren, mit den richtigen Personen, Themen und intelligenten Strategien.“


Daniel Florian

Account Director, g+ germany

Das bescheidene Wahlergebnis in Merkels Heimatland gibt ihren parteiinternen Kritikern natürlich Rückenwind – dass sich allerdings einer ihrer Parteifreunde so kurz vor der Bundestagswahl traut, die Parteivorsitzende offen herauszufordern ist unwahrscheinlich.

Bundespolitisch … kaum Auswirkungen

Und anders als Gerd Schröder mit der Entscheidung für Neuwahlen nach der Wahlniederlage in NRW 2015 wird Merkel nicht die Flucht nach vorne antreten. Bundespolitisch hat die Wahl deswegen kaum Auswirkungen.

Bei der Bundestagswahl 2017 gilt das „Borgen“-Prinzip: es kommt nicht alleine darauf an, wie viele Stimmen eine Partei hat, sondern auch auf die Zahl der Koalitionsoptionen.


Sebastian Frevel

Geschäftsführer, ADVICE PARTNERS

Ein politisches Erdbeben, aber für die Wirtschaft gilt: Ruhe bewahren und auf schwankende politische Stimmungen einstellen. Die AfD ist vorerst nicht interessant. Spannend ist, wie sich der Erfolg der AfD auf die anderen Parteien auswirkt. Merkel ist angezählt. Es kommt zu Machterverschiebungen, neuen Koalitionen und die Agenda wird angepasst. Das muss analysiert werden, Strategien sind anzupassen.

Merkel ist angezählt

Wenn viel in Bewegung kommt, entstehen Handlungsoptionen für Interessenvertreter. Aber von der Wirtschaft wird jetzt auch Haltung erwartet. Bis weit in die Mittelschicht gibt es Abstiegsängste. Zukunftsvertrauen kann nur mit allen gesellschaftlichen Kräften neu aufgebaut werden. Hier sind gerade auch für starke Wirtschaftsunternehmen Anknüpfungspunkte im politischen Diskurs. Übrigens, die Frage, wer Deutschland nach der Bundestagswahl 2017 regieren wird, ist völlig offen.


Christian Thams

Chief Operating Officer, Burson-Marsteller GmbH

Mit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern wurden die verbleibenden 12 Monate bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 eingeläutet. Zwar ist dieses schöne Bundesland nicht unbedingt repräsentativ, allerdings zeigt die Wahl einige Trends auf.
Ministerpräsident Erwin Sellering von der SPD ist einer der Wahlgewinner, trotz leichter Verluste seiner Partei, und er wird die neue Landesregierung führen. Damit hat nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erneut ein personalisierter Kandidaten-Wahlkampf zum Erfolg geführt.

‘Merkel-Malus’ scheint übertrieben

Die CDU und Angela Merkel gehen vorerst geschwächt aus der Landtagswahl hervor. Sie kann das Ergebnis und die Wahlschlappe ihrer eigenen Partei zumal in ihrer politischen Heimat nicht einfach beiseite wischen. Erneut wird als Grund dafür die CDU-Flüchtlingspolitik gesehen, die auch innerhalb der Union umstritten ist. Die Verantwortung hierfür wird seitens der Wähler der Kanzlerin zugeschrieben, auch wenn ein ‚Merkel-Malus‘ noch übertrieben scheint.

Der Aufstieg der mindestens rechtspopulistischen AfD, als zweitstärkste Partei die großen Gewinnerin dieser Landtagswahl, hat aber über ein Anti-Merkel-Sentiment hinausgehende Gründe und zeigen eine Vertrauenskrise vieler Wähler. Offensichtlich sind viele von dem Angebot der Parteien im Bundestag enttäuscht und lassen sich durch diese Partei mobilisieren, wie die höhere Wahlbeteiligung bei dieser Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeigt.

Es wird schwer werden, solch verloren gegangenes Vertrauen und auch die Wähler bis zu den anstehenden Landtagswahlen und bis zur Bundestagswahl zurückzugewinnen. Das ist aber der Schlüssel dazu, damit sich die AfD nicht dauerhaft etabliert. Die Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18.9. wird jetzt zeigen, wie stark die AfD in einem Stadtstaat werden kann.


Carsten Nickel

Senior Vice President, Teneo Intelligence

Seit der NRW-Landtagswahl 2011 im Zeichen der Griechenland-Krise verfolgen internationale Investoren deutsche Landtagswahlen genau. Angela Merkels Führungsrolle bei wichtigen Themen wie dem Brexit, der Eurokrise und den Russlandsanktionen macht auch eine ansonsten unbedeutende Landtagswahl zu einem potenziell marktrelevanten politischen Risiko.
Beim Blick auf die Zahlen und das deutsche Medienecho ist die Sorge natürlich, dass Deutschland nun mit Frankreich und Großbritannien gleichzieht und radikal euroskeptische Positionen auch bei der nächsten Bundestagswahl mehrheitsfähig werden.

Rechte Wahlerfolge einen CDU, spalten Rot-Rot-Grün

Da ist es umso wichtiger, die parteipolitischen Dynamiken genau zu beleuchten: innerhalb von CDU/CSU gibt es nirgendwo einen Herausforderer von Merkels Format, daher wird ein gutes CSU-Resultat bei der Bundestagwahl trotz oder gerade wegen des Merkel-Bashings nur die gemeinsame Fraktion mit der CDU stärken.
Und die SPD kann von der Spaltung auf der Rechten einfach nicht profitieren, im Gegenteil: eine starke AfD würde auch numerisch unmöglich machen, was die SPD politisch ohnehin bisher nicht hinbekommen hat: eine rot-rot-grüne Koalition gegen Merkel.


Jan Böttger

Managing Partner, 365 Sherpas

Der Nichtwähleranteil lag bei 38,4%. Politik muss sich davon verabschieden, nur reflex- und schablonenartig zu kommunizieren und Lösungen opportunistisch an Stimmungen anzupassen.
Dieses durchschaubare Schauspiel, dessen viele Wähler —oder besser gesagt Nichtwähler— schon längst überdrüssig sind, erzeugt zusehends Absetzbewegungen.
Nur ein Politikstil der klaren Haltung, Verlässlichkeit und eines gewissen Pragmatismus —jenseits von Ideologien— kann hier wieder Boden gut machen.


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Klas Roggenkamp

Klas Roggenkamp

… macht wahl.de seit 2005, seit 2016 für appstretto. Verbindet Digital & Politik zu erfahrbaren Angeboten – technisch, inhaltlich, optisch. Wahlkampferprobt und agenturerfahren.
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