Steigende Strompreise, die Kosten der Energiewende insgesamt, ja, die Debatte über Sinn und Irrsinn der ganzen Veranstaltung – das sind superheiße Themen bei dieser Bundestagswahl. Glaubte zumindest mancher vor gut einem Jahr. Nun, wenige Tage vor dem Termin fürs Kreuzchen-machen zeigt sich: Nix war‘s. Dabei hat es reichlich Geplänkel und Zank, Fanfarenstöße und Einlassungen gegeben. Aber die ganz große Schlacht haben sich die Parteien bei diesem Thema nicht geliefert. Die Energiewende konnte den themenschwachen und konfliktarmen Wahlkampf auch nicht reißen.
Warum? Das liegt schon am Thema selbst. Es ist schlicht zu vielschichtig. Machen Sie mal die Bierdeckel-Probe und erklären auf dem pappernen Rund wie das mit der Preisbildung beim Strom funktioniert. Vielleicht so: In Leipzig, an dieser Strombörse, wird jede Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien verkauft. Ok. Im Spotmarkt, wo Strom für jetzt gleich oder den nächsten Tag gehandelt wird, bietet jedes Kraftwerk seinen eigenen Preis. Aha. Wind- oder Sonnenstrom haben den niedrigsten Einstiegspreis, weil es anders als bei Kohle oder Gas keine Brennstoffkosten gibt. Hm. Der Strom aus erneuerbaren Energien hat Vorfahrt. Oho. Weht viel Wind oder brennt die Sonne deutschlandweit, verkaufen teure Kraftwerke weniger und der Strompreis ist niedrig. Prima. Weil es immer mehr Sonnen- und Windstrom gibt, sind die Preise an der Strombörse seit einiger Zeit im Sinkflug. Super! Die Stromrechnung für die Privatverbraucher steigt aber, und 2014 droht die nächste Preiserhöhung. Hä? Bierdeckel voll und alle Fragen offen. Willkommen im Paradoxon der Energiewende.
Bild: CC BY-SA 3.0 Kim Hansen
Vom Star zum Sündenbock: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Die erneuerbaren Energien senken zwar die Börsenpreise, aber das kommt nicht bei den Stromkunden an. Zumindest nicht bei allen. Allen voran Privatverbraucher zahlen die Zeche. Denn auf sie werden die sogenannten Differenzkosten abgewälzt, also das immer weiter klaffende Loch zwischen dem niedrigen Verkaufserlös für Wind- und Sonnenstrom und der realen Vergütung, die den Betreibern nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zusteht. Viele Unternehmen können dagegen Rabatte beantragen – bis zum Totalerlass der EEG-Umlage. 1.716 Betriebe, die knapp ein Fünftel des bundesdeutschen Stroms verbrauchen, haben 2013 einen solchen Nachlass bekommen.
Die gute Nachricht: Alle Parteien haben erkannt, hier läuft etwas schief! Die Art und Weise wie der Strom seinen Preis bekommt, funktioniert beim stetig wachsenden Anteil erneuerbarer Energien nicht mehr. Und dass immer weniger Stromverbraucher die Kosten berappen müssen, ist nicht gerecht.
Für die einen scheint die Lösung, den Motor des Regenerativ-Ausbaus, das EEG, einfach abzuschalten. BILD berichtet von einem Geheimpapier der FDP, mit Plänen zur Abschaffung des EEG und der Abnahmegarantie für Ökostrom. Ausbaubremse als Kostenbremse? Das wird nicht helfen. Eine aktuelle Studie zeigt: Die EEG-Umlage stiege 2014 auch an, wenn dieses Jahr gar keine neuen Anlagen gebaut worden wären. Fortsetzung des Paradoxons.
Im offiziellen Wahlprogramm ist die FDP weniger radikal, fordert ähnlich wie die CDU oder die SPD eine grundlegende Reform des Gesetzes. Die SPD will zur kurzfristigen Kostendämpfung eine Absenkung bei den steuerlichen Abgaben erreichen. Selbst die Grünen sind offen für Tarifkürzungen und wollen regional differenzieren. Windstrom von der Westküste Schleswig-Holsteins bekäme dann weniger als der von der schwäbischen Alb. Aber für die Grünen steht das EEG nicht zur Disposition. Auch nicht ein Wechsel des Fördersystems, wie ihn die Monopolkommission jetzt fordert. Das ist im Übrigen nichts Neues. Schon vor Jahren machten die Berater einen ähnlichen Vorschlag. Diese wie andere Verfechter des Quotenmodells sind indes den Beweis schuldig geblieben, dass ein solcher Systemwechsel zu niedrigeren Kosten führt. Erfahrungen aus Großbritannien und Italien zeigen das Gegenteil. Dort gibt es Quoten für Erneuerbaren-Strom, und es werden Zertifikate für den Grünstrom gehandelt. Trotz besserer Windbedingungen sind die Preise in beiden Ländern aber höher als in Deutschland.
Ohnehin greift es zu kurz, nur über das EEG zu debattieren. Der Strompreis hängt von vielen Faktoren ab – etwa dem Handel mit CO2-Emissionsrechten – und die Spielregeln für den Strommarkt schreiben viele Gesetze fest – etwa das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Eine Reform macht nur Sinn, wenn alle Preisfaktoren auf den Tisch kommen, alle bisherigen Regelungen angepackt und ein neues Modell gefunden wird. Das hieße dann aber nicht mehr EEG oder EnWG, sondern vielleicht EEWG: Erneuerbare-Energien-Wirtschaftsgesetz.
Der große Plan, Führung, Vorwärts-Rückwärts
Ein paar Vorschläge zu einem neuen Strommarktdesign gibt es schon und nach dem 22. September kommen sicher einige dazu. Das ist ein wichtiger, aber nur ein Baustein der Energiewende. Womit wir beim zweiten großen Lamento wären: dem Management. Wann sind die Verbraucherzentrale und der Bundesverband der Deutschen Industrie mal einer Meinung? Bei der Beurteilung, wie gut das Gesamtprojekt Energiewende von Bund und Ländern gemanagt wird. Miserabel, sagen beide. Hier läuft zu viel aneinander vorbei, hier fehlen Führung, klare Vorgaben und Verlässlichkeit.
Dabei hatte alles doch so vermeintlich einvernehmlich angefangen, nach dem Atom-GAU in Fukushima und dem parteiübergreifenden Konsens zum Ausstieg aus der Kernenergie. Aber unter der Oberfläche hat es damals mächtig gebrodelt. Im Eiltempo peitschte die schwarz-gelbe Bundesregierung binnen weniger Monate mehr als ein Dutzend Gesetze zur Energiewende durch, um ja keine großen Debatten in den eigenen Reihen zu riskieren. Im Bundesrat ging das Paket, auch mit Zähneknirschen, durch. Bis auf eine neue Regelung zur steuerlichen Förderung von Gebäudesanierungen. Das Gesetz ist nach diversem Ping-Pong in der Versenkung verschwunden. Obwohl sich alle einig sind, dass im Gebäudebereich das größte Energieeinspar-Potenzial schlummert. Ebenso gescheitert ist die Strompreisbremse von Bundesumweltminister Peter Altmaier aus diesem Frühjahr. Trotz des allseits erkannten Problems der schiefen Kostenverteilung.
Nach der Wahl kommt das alles wieder auf den Tisch: Aber: Gleich wie die Mehrheiten am 22. September ausfallen, das Gesamtprojekt Energiewende – und damit auch ein besseres Management – kann nur die große Koalition aus Bund, Ländern und Kommunen stemmen. Schon weil viele Gesetze auf die Zustimmung von Bundestag wie Bundesrat angewiesen sind. Und weil es einen belastbaren Konsens braucht, welche Bundesländer oder Regionen künftig Strom oder Wärme exportieren und welche eher importieren. In Berlin wäre viel geholfen, wenn die zuständigen Ministerien an einem Strang ziehen. Ob es deshalb ein eigenständiges Energieministerium braucht? Ja, findet die SPD, und auch in der CDU-Mannschaft gibt es Sympathien.
Wenn es der Sache dient und die Koordination verbessert, macht ein solcher Zusammenschluss Sinn. Aber wenn es erst einmal Riesengerangel um Zuschnitt und Kompetenzen gibt, dann eher nicht. Die Energiewende braucht mehr konstruktives Miteinander als bockiges Gegeneinander.
Denn Deutschland ist keine Insel. Es gibt schließlich noch Europa: Und da wächst beim Thema Energie die Fraktion, die nur Klimaschutzziele akzeptieren will und auf den Emissionshandel als alleiniges Instrument setzt. Zum hiesigen EEG und der Umlagebefreiung von Unternehmen hat die zuständige Kommission mehrere Beschwerden auf dem Tisch, ihr Urteil kommt diesen Herbst. Die gelbe Karte hat der zuständige Kommissar Günther Oettinger schon gezückt. Fragen?
Hanne May
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