Viel zu tun bei Burson-Marsteller: Wegen eines Projekts für einen internationalen Konsumgüterkunden steht Sylvie Ernoult, Beraterin bei Burson-Marsteller in Berlin, in Kontakt mit Lucien De Brot aus dem Pariser Büro. Neben der engen Kooperation in Projekten suchen die Büros der Netzwerkagentur natürlich auch den Austausch zu politischen Themen – beispielsweise zum Bundestagswahlkampf.

Sylvie: Sag mal, Lucien, wie wird der deutsche Wahlkampf in Frankreich wahrgenommen?

Lucien: Bei uns hat euer Wahlkampf noch nicht für wirkliche Schlagzeilen gesorgt. Das Thema ist uns Franzosen ein wenig fern und scheint aus unserer Sicht sowieso schon gegessen. Es ist also schwierig, die französischen Leser für das Thema zu gewinnen. Die französischen Medien versuchen, so gut es geht, die Zweifel an einer vorprogrammierten Wiederwahl zu hegen, um etwas Spannung ins Spiel zu bringen. Lediglich das konservative Blatt „Le Figaro“ hat Merkel schon mehr oder minder als Wahlsiegerin gekürt. 

In vielen politischen Fragen richtet sich der Blick tatsächlich fast schon reflexartig nach Berlin.

Sylvie: Das ist ja interessant, denn an sich spielt die deutsche Politik doch eine große Rolle für Frankreich?

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Lucien: Im Kern liegt das wohl daran, dass Frankreich zurzeit allzu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und auch Mühe hat, sich mit Europa auseinanderzusetzen. Das relativ geringe Interesse an der Bundestagswahl, die man in Frankreich einer Präsidentschaftswahl gleichstellt, ist jedoch insofern überraschend, als dass sich in vielen politischen Fragen der Blick tatsächlich fast schon reflexartig nach Berlin richtet.

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik Deutschlands hat in Frankreich zugleich Bewunderung und heftige Kritik ausgelöst!

Sylvie: In welchen Fragen interessiert man sich denn für die Positionen Berlins?

Lucien: Seit Beginn der Wirtschaftskrise, die in Frankreich immer noch andauert, hat die Wirtschafts- und Sozialpolitik Deutschlands in Frankreich zugleich Bewunderung und heftige Kritik ausgelöst. Dabei sind die hiesigen Widersprüche und politischen Grabenkämpfe ans Licht gebracht worden. Auf ihrer Lösungssuche nach einem erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialmodell kommentieren Frankreichs Politiker oft das deutsche Gegenstück, ohne jedoch Berlin offen eine Vorreiterrolle eingestehen zu wollen. Man träumt davon, mit dem deutschen Exportmodell rivalisieren zu können, hebt jedoch gleichzeitig soziale Missstände hervor und pocht auf mehr europäische Solidarität.

Der Atomausstieg wird zugleich als mutiges und kühnes Vorhaben bezeichnet.

Sylvie: Angesichts der Krise ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik ein recht naheliegendes Thema. Welche Bereiche interessieren die Franzosen denn darüber hinaus?

Lucien: Neben wirtschaftlichen Fragen interessiert man sich hierzulande auch für Deutschlands Energiepolitik. Und dies trotz des besonderen Prestiges, das die Kernenergie in Frankreich immer noch genießt, nämlich als Exportschlager und Grundstein der nationalen Energieversorgung. Der Atomausstieg wird zugleich als mutiges und kühnes Vorhaben bezeichnet und steht in starkem Kontrast zu der zaghaften Diskussion zur Energiewende in Frankreich. 

Sylvie: Wie wichtig ist der Führungsstil der zukünftigen oder des zukünftigen Kanzlers für die Franzosen?

Lucien: Der Führungsstil hat in der französischen Demokratie eine ganz besondere Bedeutung. Den Analysen der Politikwissenschaftlern zufolge wurde Nicolas Sarkozy für seinen eklatanten und parteiischen Stil von den Wählern abgestraft. François Hollande präsentiert sich dementsprechend als „gewöhnlicher“ Präsident aller Franzosen, fern von Luxusyachten und Parteipolitik. Interessanterweise geht Angela Merkel kommunikativ denselben Weg, aber das wird hier in Frankreich nicht wahrgenommen.
Hierzulande ist sie für ihre Unbeugsamkeit und als harter Verhandlungspartnerin bekannt, des Öfteren wird sie mit Margaret Thatcher in Verbindung gebracht. Zweites Paradoxon innerhalb der französischen Bevölkerung: Während man ihre Standhaftigkeit in Europafragen kritisiert, sähe man davon gerne mehr bei den französischen Präsidenten.

Wie viele Kandidaten gibt es denn?

Sylvie: Wer wäre aus französischer Sicht die ideale Kanzlerin oder der ideale Kanzler?

Lucien: Wie viele Kandidaten gibt es denn? Der Kandidat der SPD, Monsieur Steinbrück, ist in Frankreich kaum bekannt. Das kann und wird sich mit dem Ende der französischen Sommerferien bis zum 22. September natürlich noch ändern, aber zurzeit spricht man eher von einer eventuellen Wiederwahl Angela Merkels als von einer offenen Kanzlerwahl zwischen zwei oder mehr Kandidaten. Auch wenn sich die Wunschvorstellungen der französischen linken und konservativen Parteien grundsätzlich unterscheiden, würde der ideale Kandidat gemeinsam mit Frankreich einen Weg aus der europaweiten Wirtschaftskrise suchen. Der ideale Kandidat würde etwas mehr europäische Solidarität bekunden, sprich Nachgiebigkeit und Offenheit gegenüber anderen Wirtschafts- und Sozialmodellen zeigen. Dann würde auch der deutsch-französische Motor wieder anspringen.

Sylvie: Was kann Frankreich von der deutschen Bundestagswahl lernen?

Lucien: Die Wahl in Deutschland ist für manche die Gelegenheit, sich mit einem anderen Demokratiemodell auseinanderzusetzen. Koalitionen und farbenfrohe Politszenarien auf Regierungsebene sind in Frankreichs binärem politischem System einfach nicht an der Tagesordnung. Die Bundestagswahl bietet sich auch dazu an, die Vorstellungen von der Situation in Deutschland zu nuancieren und sich für andere, nicht wirtschaftliche Aspekte zu interessieren, wie zum Beispiel Kultur, Immigration, Umwelt- und Familienpolitik. Durch einen Austauschs zu solchen Themen könnten die europäischen Partner wieder verstärkt zueinander finden. Die dringenden Wirtschaftsfragen drängen sie jedoch vorerst in den Hintergrund. 

 

Lucien De Brot ist Berater bei Burson-Marsteller in Paris. Dort arbeitet er vor allem in den Bereichen Krisenkommunikation, Public Affairs und im Stakeholder-Dialog. Er hat an der CELSA School of Communications der Sorbonne studiert. Vor seiner Zeit bei Burson-Marsteller war er als Pressesprecher für die Verbraucherschutzorganisation CLCV und mehrere Unternehmen tätig.

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Sylvie Ernoult

Sylvie Ernoult

Sylvie Ernoult ist Beraterin bei Burson-Marsteller in Berlin. Dort arbeitet sie er vor allem in den Bereichen Public Affairs, Campaigning und Media Relations. Vor ihrer Zeit bei Burson-Marsteller war Sie als Redakteurin unter anderem für Reuters TV und Deutsche Welle Hörfunk tätig.
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