Zum 100. Geburtstag von Willy Brandt lohnt es sich noch einmal den Blick auf das Mitgliedervotum der SPD zum Koalitionsvertrag mit der Union zu werfen. Ist die Abstimmung denn wirklich eine Sternstunde der innerparteilichen Demokratie gewesen und hat Maßstäbe für alle anderen Parteien gesetzt? Verdient es das Mitgliedervotum, dass Sigmar Gabriel den viel zitierten Satz von Willy Brandt “Mehr Demokratie wagen” dafür ins Spiel bringt?

Klar, die Spitze der Partei geht mit dem Ergebnis gestärkt in die Große Koalition. Die SPD Basis saß auch, wie es immer so schön formuliert wurde, bei den Verhandlung als stiller Partner mit am Tisch. Aber bei “still” liegt auch das große Problem. Hier geht es nicht um eine Bewertung der Ergebnisse und Inhalte des Koalitionsvertrages. Es geht um die Umsetzung eines fairen und gleichberechtigten Wahlkampfes im Vorfeld des Mitgliederentscheids.

Fast 24% der Mitglieder stimmten mit Nein. Dies ist in Anbetracht der Kommunikationspolitik, die der der SPD Parteivorstand im Vorfeld der Abstimmung betrieb, eine durchaus beachtliche und relevante Größe. Sigmar Gabriel dankte am Tag der Verkündigung des Ergebnisses auch den “Nein-Sagern”. Er selbst wurde von den Medien als der große Gewinner gefeiert. Die Abstimmung war für die SPD auch sehr wichtig. Die Taktik gut gewählt und umgesetzt. Das heißt aber nicht, dass man die Rahmenbedingungen nicht weiterentwickeln müsste.

Die Kommunikation des SPD Parteivorstands vor dem Votum

"Wir sind alle gemeinsam die SPD”, so versuchte Sigmar Gabriel die Reihen der SPD am Tag der Auszählung wieder zu schließen. Die Berücksichtigung innerhalb der offiziellen Kommunikation des Parteivorstandes haben die Gegner der Großen Koalition nicht bekommen. Das Vorgehen der Führung war ein natürlicher Reflex. Sie haben alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt, um für ihr Anliegen zu werben. Flyer, Interviews, Veranstaltungen, Social Media bis hin zu einer Anzeige in der BILD und einem Begleitschreiben zu den Abstimmungunterlagen – unterschrieben von jedem, der Rang und Namen in der SPD hat.

 

Es fehlte an einem prominenten Wortführer

Sie setzten dafür die Beiträge aller Mitglieder ein. Die Gegner der Großen Koalition hatten diese Möglichkeiten nicht. Das lag zum einen daran, dass sich keine Führungspersönlichkeit der SPD offen zu einem ‘Nein’ bekannte und die einzelnen kritischen Mitglieder auf den Regionalkonferenzen zwar ihre Meinung sagen konnten, es aber nicht geschafft haben, eine breite innerparteiliche Öffentlichkeit herzustellen. Es fehlte an einem prominenten Wortführer. Nur ein Bundestagsabgeordneter bekannte sich offen gegen die GroKo.

Die SPD Führung sagte zwar, dass sie mit der Abstimmung Maßstäbe in Deutschland gesetzt hätten, aber die FDP hat bereits 2011 eine ähnlich Abstimmung zum ESM gemacht. Hier wurden Pro und Contra gleichberechtigt vertreten und beiden Meinungen eine Bühne gegeben. 

Bild: Screenshot www.mitgliederentscheid.fdp.de

Die Abstimmung war ein Ausdruck von innerparteilicher Demokratie. Der Wahlkampf und die Verteilung der Mittel nicht.

Eine Lösung könnte nun darin bestehen, einen unabhängigen Beauftragten für Mitgliederentscheide in der Parteizentrale zu etablieren. Dieser müsste die Meinungen neutral bündeln und kanalisieren: Mittel verteilen. Allen Meinungen einen angemessenen Rahmen und Raum geben. Chancengleichheit schaffen. Allen Stimmen in der Partei das gleiche Gewicht geben. Denkbar wäre auch eine Topf, der nach der der Abstimmung ähnlich der Wahlkampfkostenrückerstattung verteilt wird.

Die SPD wird sich daran messen lassen müssen, ob sie diese Form der direkten Beteiligung ehrlich weiter nutzt und verbessert. Dies ist ein Lernprozess, der gerade erst begonnen hat.

Also liebe Parteiführung:

“Mehr (Kommunikations-) Demokratie wagen!”

Der Autor ist Mitglied der SPD und hat für die Große Koalition gestimmt.

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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