Zu seinem 10. Geburtstag veröffentlichte Twitter 2016 erstmals Nutzerzahlen für den deutschen Markt. Damals verwendeten nach eigenen Angaben etwa 12 Millionen Deutsche monatlich das Netzwerk. Zum Vergleich: Bei Facebook waren es etwa 28 Millionen User – täglich. In Deutschland schneidet Twitter also hinsichtlich der reinen Nutzerzahlen im Vergleich zu Mark Zuckerbergs Social Media Plattform eher schlecht ab. Im Vergleich wir das Medium zu wenig für den privaten Gebrauch genutzt. Anders sieht es in der deutschen Politik aus. Dort ist Twitter bereits omnipräsent, denn es hat viele Vorteile: Aufgrund der begrenzten Zeichenzahl sind Aussagen auf prägnante Kernbotschaften begrenzt. Entsprechend kurz sind die Reaktionszeiten – beides relevante Eigenschaften für Journalisten. Erst neulich konnte die beschleunigende Wirkung des Netzwerkes wieder beobachtet werden.

Eine aktuelle Chronologie

Noch läuft die 18. Legislaturperiode, und die heiße Phase des Wahlkampfs hat noch nicht richtig begonnen. Dennoch war der 25. Juni 2017 bereits ein außerordentlich wichtiger Tag für die Wahl im September: Nachdem die SPD zuerst Anfang des Jahres durch den „Schulz-Hype“ ein Hoch erreichte, fielen die Werte nach kurzer Zeit in den Keller. Nun entschieden die Sozialdemokraten auf einem außerordentlichen Parteitag über ihr Wahlprogramm.
Um 12:00 Uhr begann der Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz seine lang erwartete Rede. Bereits zu Beginn holt er zu einem Rundumschlag aus, bei dem natürlich auch Bundeskanzlerin Merkel nicht unversehrt bleiben sollte. Sie meide die offene Diskussion und demoralisiere Wähler, um so die Wahl für sich zu entscheiden. Um 12:06 Uhr gibt Schulz den entscheidenden Satz von sich. Merkels Wahlkampfstrategie sei ein „Angriff auf die Demokratie“. Ein kleiner Satz, der – wie beabsichtigt – schnell Kreise zog.
Denn die Reaktionen des politischen Gegners lassen nicht lange auf sich warten: Volker Ullrich, MdB und Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, reagierte nach 79 Minuten als erster Unionspolitiker auf die Schulz Anschuldigungen. In 138 Zeichen kritisiert Ullrich die Aussage des Sozialdemokraten. Das Statement ist kurz, prägnant und hat eine klare Message. Schulz sei peinlich und vergesse die deutsche Geschichte.

Keine 60 Minuten später twittert dann Peter Tauber, Generalsekretär der CDU. Schulz sei verzweifelt, dass er sich solcher Wahlkampfinstrumente bedienen müsse, so Tauber.

Um 15:39 Uhr veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung einen ersten Artikel zum SPD-Parteitag in Dortmund, der zu diesem Zeitpunkt noch in vollem Gange war. Nur 89 Minuten nach Taubers Tweet übernimmt die Zeitung eine DPA-Meldung mit dem Titel „‚Anschlag auf Demokratie‘: Union weist Schulz-Kritik zurück“. Gerade einmal 3 Stunden und 33 Minute dauerte es von Schulz Statement, über die Kritik der Unionspolitiker bis hin zu einem Artikel in den etablierten Medien – noch online, am nächsten Tag auch in Print. So schnell geht politischer Journalismus im Jahr 2017. Beachtlich: Bis zur Veröffentlichung des Artikels erfolgten sämtliche Stellungnahmen von Politikern auf Twitter.

Journalistisches Paradies

Twitter und sein Publikum haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Konnte man vor wenigen Jahren noch von einer „Blase“ an Nutzern sprechen, so fungiert die breite Masse der Nutzer mittlerweile als potentieller O-Ton-Geber für Journalisten. Eine Vielzahl von Print- und Onlinemedien sowie das Fernsehen – von der SZ über N24 bis hin zum ARD Morgenmagazin – eine große Mehrheit von Reportern und Moderatoren warten lediglich auf den nächsten Tweet, die nächste „Eilmeldung“, den nächsten O-Ton. Je schneller die Reaktion, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den Medien thematisiert wird. Vorbei sind die Zeiten in denen Journalisten auf die nächste Pressekonferenz warten müssen. Twitter macht’s möglich.

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Timm Bopp

Timm Bopp

Timm Bopp ist Seniorberater bei FleishmanHillard. Seit 2012 berät er Mandaten mit einem Fokus auf Digitalpolitik.
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