Eine Hauptstadtbrise weht durchs Schwabenland. Nachdem der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, Anfang Juni erneut eine parlamentarische Anfrage zum Zeitplan des Großprojekts Stuttgart 21 gestellt hatte, räumte das Bundesverkehrsministerium ein, dass für einen Teilabschnitt der geplanten Neubaustrecke „ein Gegensteuerungsbedarf von einem Jahr“ bekannt sei.
Der Zusammenschluss durch das Projekt betroffener Gruppen, Netzwerke 21, sammelte daraufhin Zitate verschiedener Verantwortlicher. Und die zeigen: Es könnte doch noch etwas länger dauern.
„Die Karten müssen auf den Tisch. Es kann nicht sein, dass wir scheibchenweise die Wahrheit erfahren.“
Cem Özdemir, Die Grünen
Mit einem Mix aus Zuversichtlichkeit und bitterer Dreingabe meldete sich schon Bahnchef Lutz im März zu Wort. Er sei „finster entschlossen“, das Projekt zu einem guten Ende zu führen. Und zwar, so Lutz, „im Rahmen der Kosten und im Rahmen der Terminpläne, die wir vereinbart haben.“
Allerdings gibt die Bahn zu, zwei Jahre im Verzug zu sein, beteuert jedoch, bereits Gegensteuerungsmaßnahmen entwickelt zu haben, um ein Jahr davon aufzuholen. Am zweiten Jahr arbeite man ebenfalls intensiv, so ein Bahnsprecher in Berlin.
Etwas relativierender, aber immer noch standhaft, gibt sich der Bahnvorstand und Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla rund einen Monat später: „Die Projektgesellschaft hat im Jahr 2016 festgestellt, dass gegenüber dem bisherigen Zeitplan zwei Jahre aufzuholen sind. Ein Jahr glauben wir schaffen zu können. Wir arbeiten aber weiter daran, weitere Zeit gutzumachen. Und in den kommenden zwölf Monaten sehen wir dann klarer, was die Eröffnung angeht.“
Ungünstig nur, dass der Chef der Projektgesellschaft, Manfred Leger, bereits einen Monat vor Pofallas Bekräftigung ein etwas anderes Geständnis hatte einräumen müssen – auf Nachfrage einiger Anwohner bei einer Veranstaltung im Stuttgarter Rathaus. Die erklärten Gegensteuerungsmaßnahmen zum Aufholen des Zeitverzugs seien wegen der hochkomplexen Bauabläufe schwierig, so Leger. Sprich: Essig mit der Aufholjagd. Allerdings bekräftigte der S21-Chef ebenfalls, dass die Bahn weiterhin am Starttermin Dezember 2021 festhalte. Schließlich wolle man nicht wie beim BER den Termin immer wieder nach hinten schieben.
„Einigen wir uns in der Mitte. Sagen wir doch 2023.“
Christoph Ingenhoven, Architekt des Projekts
Ende März interviewte dann der SWR auch den Architekten des neuen Bahnhofs, Christoph Ingenhoven. Als Kreativfigur nicht in der Hauptverantwortung, aber trotzdem irgendwo in Mitleidenschaft, kann dieser ein paar freiere Gedanken zum Thema Kosten und Termine äußern: „Man darf sich einfach nichts vormachen. Die Länge eines Projektes, das Hineinziehen in immer neue Genehmigungen macht am Ende natürlich den großen Unterschied aus, wenn man Vorkalkulation mit endgültigen Kosten, wenn man den vorgesehenen Terminplan mit dem endgültigen Terminplan vergleicht.“
Und fügt hinzu: „Der offizielle Terminplan spricht von 2022. Die Bahn spricht davon, es könne bis zwei Jahre länger dauern. Man habe aber – das wissen wir auch tatsächlich – Maßnahmen ergriffen, um das nach Möglichkeit wieder rückgängig zu machen. Diese zwei Jahre Verzug. Einigen wir uns doch in der Mitte. Sagen wir doch 2023.“
Ein Schelm, wer da an zwei „offizielle Terminpläne“ denkt. Denn offiziell ist immer noch der Dezember 2021 angepeilt. Mitte Mai machten sich die Stuttgarter Nachrichten dann aus den Ausführungen des Abschnittsleiters Michael Pradel ihre eigene Rechnung: Ab 2018 alle fünf Monate bis zu drei Stützen, macht bei insgesamt 28 Stützen eine früheste Fertigstellung möglich im Sommer 2021 – nur für den Rohbau, wohlgemerkt und auch nur, falls die Bahn wie geplant im Juli dieses Jahres die Genehmigung für die Planänderung bekommt. Für weiteren technischen Ausbau und den Probebetrieb bis zur finalen Inbetriebnahme sind noch einmal drei Jahre veranschlagt, was den Startschuss auf das Jahr 2024 hinauszögern würde.
Und obwohl die Bahn öffentlich „finster“ am Freudenjahr 2021 festhält, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass man dort intern auch anderer Meinung ist. In einem EU-Amtsblatt von Anfang Juni findet sich nämlich eine Ausschreibung der Projektgesellschaft zur „Bearbeitung baubetriebliche Nachträge“ mit zwei Verlängerungsoptionen. Option zwei ist ausgeschrieben bis zum 31.10.2025.
Louis Koch
Neueste Artikel von Louis Koch (alle ansehen)
- Mein Minister fährt im Hühnerstall Motorrad – Lobbyismus, Kumpanei und anderer Irrsinn in der Landwirtschaft - 7. März 2018
- Warum Diesel so günstig ist und was das den Staat kostet: Das „Diesel-Privileg“ - 30. Januar 2018
- Auf ihrer ersten Pressekonferenz verlegt die neue grüne Doppelspitze Schienen für 2018 - 29. Januar 2018
0 Kommentare
Kommentar schreiben