Es scheint, als wäre die Welt der Grünen nur noch in Baden-Württemberg (und natürlich Dank des Poster-Boys Habeck in Schleswig-Holstein) in Ordnung: ein historisches Wahlergebnis von 30,3 Prozent, fast 400,000 Wähler von anderen Parteien abgegriffen und zum zweiten Mal in Folge regierungsführende Partei. Doch weitgehend nirgendwo anders in Deutschland feiern die Grünen derartige Erfolge. Auf nationaler Ebene musste die Partei seit Anfang des Jahres Einbußen um zwei bis drei Prozentpunkte hinnehmen und stagniert in den Umfragen nun bei etwa acht Prozent. Die Frage ist, warum sich die Partei nicht in einem Land durchsetzen kann, das als Recyclingweltmeister gilt und in dem Bio-Produkte der letzte Schrei sind? Was macht die Landes-Grünen in Baden-Württemberg „wählbarer“ als die auf Bundesebene?

Schlechte Personalpolitik?

Ein Grund ist sicherlich das Spitzenpersonal: Kurz nach dem historischen Ergebnis in Baden-Württemberg wurde niemand anderes als der dortige Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum beliebtesten Politiker Deutschlands gewählt. Zwar konnte er diesen Titel nicht verteidigen, dennoch schafft er es laut ZDF-Politbarometer, das die zehn wichtigsten Politiker Deutschlands kürt, derzeit auf einen soliden zweiten Platz direkt hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit Horst Seehofer ist er damit der einzige Landespolitiker auf der Liste.

Das Spitzenduo der Grünen kann hier nicht mithalten. In Sachen Beliebtheit findet sich Cem Özdemir mit 47 Prozent Zustimmung immerhin noch auf dem zehnten Platz. Katrin Göring-Eckhardt liegt dagegen weit abgeschlagen hinten, lediglich 24 Prozent stimmten für sie. Damit rangiert sie noch hinter ihrer Konkurrentin von der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, die mit 31 Prozent die Nase vorne hat.

Dynamische Wählerschaft – Rigide Partei?

Ein weiteres Problem, mit dem die Grünen auf Bundesebene zu kämpfen haben, ist der Generationeneffekt: Die Wähler der einst so jungen Milieupartei sind ihr über die letzten Jahrzehnte treu geblieben und genau das ist das Problem. Die Wählerschaft wurde heterogener und erwachsener. Zu Hochzeiten waren mehr als 80 Prozent der Grünen unter 35 Jahren, mittlerweile sind es weniger als 10 Prozent. Die breite Masse der Anhänger hat heute Familie, steht fest im Beruf und kümmert sich daher vermutlich weniger um die Legalisierung von Cannabis und Tierschutz als um klassische sozial- und wirtschaftspolitische Themen. Ein prominentes Beispiel sind die im Wahlkampf 2013 geforderten Steuererhöhungen, die von der Mehrheit der Grünenwähler abgelehnt wurden und der Partei vermutlich die entscheidenden Stimmen gekostet haben.

Die Grünen laufen Gefahr, diesen Fehler auch bei der Wahl im September zu wiederholen: Eine Partei, deren Politiker sich zwar online mit Marihuana Pflanzen in Szene setzen, die sich jedoch bei den aktuell brennenden Themen wie dem digitalen Wandel nicht ausreichend profiliert, scheint heute nicht mehr „sexy“ zu sein. Die Grünen sollten sich ein Beispiel an Kretschmann nehmen, der in Baden-Württemberg den Balanceakt schafft und erfolgreich konservative Wirtschaftspolitik mit grünen Kernthemen, wie etwa dem Umweltschutz, verknüpft.

Die Hoffnung stirbt zuletzt oder „mit 7% an die Macht als mit 14% in die Opposition“

Wie sich die Partei in den diesjährigen Bundestagswahlen schlägt, bleibt bis September offen: Betrachtet man die aktuelle Entwicklung der FDP bzw. das Jamaika-Experiment in Kiel, könnten sich die Grünen Hoffnung auf ein Dreierbündnis mit den Liberalen und der CDU/CSU machen und nach 12 Jahren der Auto-, Agrar- und Fleischindustrie richtig Angst machen… Zwei Dinge stehen dem in den nächsten Tagen und Wochen allerdings im Weg. Eine für Überraschungen sorgende Basis zwischen Nord- und Ostsee oder das Revival von Schwarz-Gelb, wenn es für Schwarz-Gelb doch gar reicht.

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Hendrik Hagemann

Hendrik Hagemann

Hendrik Hagemann verfügt über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung im Bereich Public Affairs. Er berät in dieser Funktion zahlreiche nationale und internationale Mandanten, darunter Unternehmen, Verbände und öffentliche Institutionen, in den Bereichen Government Relations, Issues Management, Crisis- und Corporate Communication.
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