Das war ein Paukenschlag und gleichzeitig ein typischer Gabriel: die Absage der Kanzlerkandidatur des Noch-SPD-Parteivorsitzenden erfolgte mit maximaler Lautstärke und spektakulär im STERN. Nicht etwa, wie man es erwarten würde, im Berliner Willy-Brandt-Haus im Kreise der eigenen Genossen. Ob dieser Volte rang manch ein SPD-Spitzenpolitiker noch Tage später um Fassung. Nach dem Verzicht von Sigmar Gabriel auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur ist Martin Schulz der neue starke Mann der SPD. Die jubelt nun sichtlich erleichtert, schöpft aus der Personalie neue Zuversicht. Die BamS veröffentlichte eine Umfrage, in der die SPD zwei Prozentpunkte zulegt und jetzt bei 23 Prozent liegt – Höchstwert seit November 2016. In der aktuellen ARD Sonntagsfrage sind es gar drei Prozent Zuwachs. Die Zuversicht der Genossen ist beinahe greifbar.

Neben den politischen Positionen spielt für die Erfolgsaussichten des jeweiligen Kanzlerkandidaten immer auch die Person mit ihrem Lebensweg, ihren Emotionen, ihren Höhen und Tiefen eine entscheidende Rolle. Es geht darum, die Stärken hervorzuheben. Und die hat Martin Schulz ohne Zweifel. Er gilt als glaubwürdig, weil er klare Kante zeigt und eindeutige Positionen vertritt. Schulz ist zudem ein begnadeter Redner und war elf Jahre Bürgermeister in Würselen, kennt also die Mühen der lokalen Politik genau. Außerdem verkörpert er die klassische sozialdemokratische Story über den Aufstieg aus kleinen Verhältnissen perfekt. Dass er auch noch sechs Sprachen spricht, ist dabei fast schon nebensächlich. Das alles ist hilfreich, aber darüber hinaus hat Schulz etwas, was der SPD bis vor ein paar Tagen abging: den unbedingten Willen zum Sieg;  die „Lust zur Macht“ wie der Spiegel schreibt.

Die CDU gibt sich noch betont gelassen, dürfte aber mit Schulz einen ernstzunehmenden Gegner bekommen. Und die christdemokratische Abteilung Attacke wird sich nun schleunigst Gedanken machen, wie man den unerwartet aufgetauchten Gegner richtig beackert. Schon wird von manchen Journalisten das fehlende Abitur von Schulz bemängelt. Und auch sein manchmal loses Mundwerk ist bereits Thema.

Das toxische Thema ist durch Offenheit neutralisiert

Interessant ist aber ein Aspekt, den so manch anderen Kandidaten unter die Räder kommen ließe: Schulz ist trockener Alkoholiker. Er geht mit dem früheren Problem offen um, hat sich häufig, oft auch emotional, dazu geäußert.

„Ich rede darüber, weil Alkohol eine gefährliche Droge ist und ich und viele andere bewiesen haben, dass man mit Disziplin davon loskommen kann. Das ist ein Teil meines Lebens, ich stehe dazu.“

So scheint das eigentlich toxische Thema, keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Mehr noch: Seit der Bekanntgabe seiner Kanzlerkandidatur finden sich im Netz etliche sogenannte Listicles, die Schulz’ einstige Sucht als Fun-Fact aufgreifen.

Kurioserweise gab es bei seinem Gegenspieler zur EU-Präsidentschaftswahl Juncker ebenfalls das Gerücht, er sei Alkoholiker. Der wählte eine gänzlich andere Taktik, dementierte die Vorwürfe. Prompt folgten Headlines über Junckers Alkoholfahne.

Dass die dunkle Seite der Alkoholsucht in der Biografie von Martin Schulz beim Wahlkampf um den Einzug ins Kanzleramt eine entscheidende Rolle spielen wird, ist wenig wahrscheinlich. Noch herrschen in Deutschland keine amerikanischen Wahlkampf Verhältnisse.

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Dirk Popp
Dirk Popp gilt als einer der renommiertesten Krisenkommunikations-Experten in Deutschland. Er war langjähriger CEO von Ketchum Pleon und berät seit vielen Jahren Executives, Unternehmen und Persönlichkeiten bei der Kommunikation schwieriger Themen.
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