Noch vor einigen Wochen hatte der Begriff „Fake News“ eine klare Bedeutung: Berichte, die als Fakten präsentiert werden, jedoch auf Unwahrheiten beruhen. Ins öffentliche Bewusstsein katapultiert hatte die Thematik der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft.

Nun hat sich der Diskurs um die Fake News gewandelt. Deutlich wurde das am Mittwoch, dem 11. Januar, als Donald Trump auf einer Pressekonferenz einen Reporter des etablierten Nachrichtennetzwerks CNN mit den Worten „You’re Fake News“ abwimmelte.
Tatsächlich konnte man in den vergangenen Tagen beobachten, wie Konservative in den USA den Begriff für sich beanspruchen.

Woher aber rührt diese politische Verschiebung und was bedeutet sie für die Zukunft derer, die die Debatte weiterführen?

Was sind Fake News und wie funktionieren sie?

Es hilft, sich dem Thema mit einer Definition zu nähern. Fake News sind, wie eingangs beschrieben, Falschmeldungen, die als Wahrheit verkauft werden. Berichtet wird über Begebenheiten, die sich entweder in anderer Form, oder aber überhaupt nicht ereignet haben. Sie werden kalkuliert in Umlauf gebracht und verfolgen meist politische, oft finanzielle Absichten.

Ein großer Vorteil, die Fake News gegenüber regulären Medien haben, ist, dass sie ihre Standards gemäß ihrer Zielgruppe anpassen können. Postings werden unmittelbar auf ihre Reaktionen analysiert und optimiert. Diese adaptive Strategie ist besonders flexibel und ermöglicht es den Seitenbetreibern, das virale Potenzial der Artikel auszuschöpfen.
Dabei gehören reißerische Titel ebenso zum Standardrepertoire wie eine emotionale Schreibe. Die Kombination aus beidem spricht vor allem die Gefühle, oft die Ängste der Menschen an. Während der Titel eines Nachrichtenartikels Aufschluss über die darin behandelte Thematik gibt, verdichten die Fake News oft schon alles Wissenswerte in der Headline. Beispiel: IT’S OVER: Hillary’s ISIS Email Just Leaked & It’s Worse Than Anyone Could Have Imagined…

Den oben genannten Umständen kommen zwei Dinge zugute: Zum einen die Bereitschaft der meisten Menschen, Social Media Beiträge zu teilen, ohne sie überhaupt angeklickt zu haben. Das belegt (zumindest hinsichtlich Twitter) eine Studie der Colombia University, NY aus dem Jahr 2016.
Zum anderen ereignet sich, sobald eine Story ins Rollen gebracht wurde, eine Art Lawinen-Effekt: Der funktioniert nach dem klassischen Pyramiden-Schema. Einer teilt etwas, das sehen zehn Freunde, davon teilen es fünf. Von jedem dieser Freunde sehen es wieder zehn Freunde, von denen es fünf teilen und so weiter.

Zusätzlich zu den realen Nutzern unterstützen Bots oder bezahlte Trolle die Verbreitung. Sie erzeugen mit bejahenden Kommentaren ein falsches Echo und lassen die Zahl der Befürworter größer erscheinen, als sie ist.

Ein weiterer Aspekt, der die Manifestation von Fake News begünstigt, ist eine Kombination aus Kurzlebigkeit und Wiederholung. Die Auflösung bzw. Widerlegung der Falschmeldungen erfordert zeitintensive Recherche. Bis die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, ist ein Thema längst tausendfach geteilt und verinnerlicht worden. Auch, dass andere Websites die Texte oft eins zu eins übernehmen und eigenständig verbreiten, erweckt den Eindruck, das Thema werde von mehreren Quellen bestätigt. Der oben genannte Artikel über „Hillary’s ISIS Email“ erschien zuerst auf der Fake News Website The Political Insider. Er war mit fast 800.000 Reaktionen (Likes, Comments, Shares) einer der dominierenden Fake News Artikel des Wahlkampfs. Eine schnelle Google-Suche zeigt mindestens drei andere Websites, die den Artikel kopiert und neu publiziert haben.

Was ist das Problem mit Fake News?

Nicht erst seit gestern werden in der Medienlandschaft Wahrheiten verdreht oder gänzlich neu erfunden. Das Problem und der Grund, weshalb seit diesem Sommer so exzessiv über Fake News diskutiert wird, ist deren neu entdeckte Reichweite. Eine Datenanalyse von Buzzfeed zeigt die Performance der erfolgreichsten fünf Fake News Artikel der Wahlkampfsaison, verglichen mit den fünf erfolgreichsten Artikeln der Mainstream Medien. Dabei stach jeder der Fake News Artikel den gleichrangigen Mainstream-Artikel bezüglich Likes, Shares und Comments aus.

(Bild: BuzzFeed News)

(Bild: BuzzFeed News)

(Bild: BuzzFeed News)

(Bild: BuzzFeed News)

Ein weiteres Problem ist die Überzeugungskraft der Artikel. Eine Studie von Buzzfeed und Ipsos untersuchte die Wirkung von Fake News Headlines auf US-Amerikaner. Das Resultat ergab, dass frappierende 75% der Probanden die Titel für real befanden. Besonders hoch sei der Prozentsatz bei jenen, die angaben, sich vor allem über Facebook zu informieren.

Wie machen sich plötzlich die Rechten das Thema zunutze?

Wir halten fest: Ein Großteil der Amerikaner hält Fake News für echt. Gleichwohl geht die Debatte über das Thema an den meisten nicht vorbei. Was heißt es nun, wenn die Profiteure dieser Industrie den Spieß plötzlich umdrehen?

Wie eingangs erwähnt sorgte Donald Trump vor einigen Tagen wieder für Aufregung. Auf der ersten Pressekonferenz seit einem knappen halben Jahr verwehrte er einem CNN-Reporte eine Frage. Auf die Versuche des Mannes, sich zu erklären, antwortete Trump mit den Sätzen: „Ihre Organisation ist schrecklich. […] Ihr seid Fake News“.
In welche Richtung sich der Wind dreht, zeigte auch der bekannte rechtskonservative TV-Moderator Rush Limbaugh. Er veröffentlichte kürzlich ein Pamphlet mit dem Titel „Mainstream Media IS Fake News!“. Fake News, das ist der Mainstream.

Der Begriff, der wahrheitsverdrehende Clickbaits vom Journalismus abgrenzen sollte, ist nun dabei, zu einer Waffe derer zu werden, denen objektiver Journalismus und Rechercheteams ein Dorn im Auge sind.
Trump hat mit seinen Worten einen Weg geebnet, der gesamten Medienbranche die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Zum einen verliert der Begriff Fake News an Bedeutung. Das macht es einfach, jede unbequeme Nachricht als Fake News abzutun. Zum anderen schwächt die Bemächtigung des Themas durch Rechts das ohnehin schon lädierte Vertrauen in die mediale Berichterstattung. Recherche und Faktenchecks werden dann schon im Vorhinein obsolet, weil ihren Urhebern kategorisch misstraut wird.

Das ganze hat nur ein Problem: Wenn nun alles Fake sein kann, nur weil es jemand sagt … Wer entscheidet dann, was wahr ist? Die eigene politische Ausrichtung? Gutdünken? Das Staatsoberhaupt?

Wie sähe eine Lösung aus und wer soll die stellen?

Befürchtungen, eine Tür geöffnet zu haben, die sich vielleicht nicht mehr schließen lässt, kommen mittlerweile auch aus den eigenen Reihen. Der konservative Radiomoderator John Ziegler sprach jüngst den Satz: 

„Über die Jahre haben wir unser Kernpublikum effektiv dahingehend konditioniert, allem, dem sie widersprechen, zu misstrauen. Und nun ist es zu weit gegangen.“

(„Over the years, we’ve effectively brainwashed the core of our audience to distrust anything that they disagree with. And now it’s gone too far“).

Die Suche nach einer geeigneten Lösung ist vor allem auch für uns Deutsche von Bedeutung. Schließlich entlud sich das Misstrauen in die hiesige Presse schon vor längerer Zeit in dem Wort Lügenpresse. Und eine Gesellschaft, die ihr Vertrauen in die unabhängigen Medien verloren hat, ist eine leichte Beute für Demagogen.

Jemand, der das erkannt hat und was dagegen tun will, ist Craig Newmark, Gründer von craigslist. In Zusammenarbeit mit der Santa Clara University und mit Unterstützung von Google hat er „The Trust Project“ ins Leben gerufen.
Ihre Mission ist es, seriösem Journalismus dabei zu helfen, sich kenntlich zu machen. Dabei zielen die Macher darauf ab, der nächsten Generation von Lesern Tools zur Seite zu stellen, die ihnen helfen, eine eigene Auswahl von Nachrichten selbst zu kuratieren. Das Projekt bietet erfrischende Gegensätze zu den bisherigen Vorschlägen, wie das Problem mit den Fake News zu lösen sei.

In Deutschland gab Facebook nun bekannt, mit dem Recherche-Büro Correctiv zusammenarbeiten zu wollen. Dazu soll eine Funktion implementiert werden, die es Nutzern ermöglicht, vermeintliche Falschmeldungen als solche zu melden. Diese Beiträge werden sodann von Correctiv-Mitarbeitern auf ihren Inhalt überprüft. Bestätigt sich der Verdacht, erhält der Post einen doppelten Warnhinweis: Einmal wird auf die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der Inhalte hingewiesen; auch soll ein Artikel verlinkt werden, der den Fake News Fakten gegenüberstellt. Geld erhält das Recherche-Kollektiv, dass sich aus Spendengeldern finanziert, dafür nicht.

Fakt ist, dass das Postfaktische einen eminenten Teil des täglichen Medienzyklus beherrscht. Im Endeffekt sehen wir uns, egal ob rechts oder links oder rot oder blau, mit demselben Problem konfrontiert: Wir können uns die Welt nicht im Alleingang erklären. Wir sind dabei auf Substitute wie Forscher, Publizisten und andere Fachleute angewiesen. Und in dieser Beziehung ist Vertrauen die Währung, mit der wir bezahlen. Ist das Vertrauen verschwunden, sind wir blank und damit weitgehend auf uns allein gestellt.
An dem gegenwärtigen Mangel an Zuversicht tragen sicherlich viele Seiten Schuld; darunter leiden werden über kurz oder lang jedoch alle von uns. Deswegen sollte es auch im Interesse aller sein, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Langfristig wird das eine Herkulesaufgabe sein. Kurzfristig hilft meist schon ein Blick in Rico Grimms „10 Punkte, die helfen, einen Beitrag zu bewerten“.

 

Lügt die Presse?

 

 

The following two tabs change content below.
Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
appstretto