„Basis ist Boss“ – unter diesem Motto wählen die Grünen-Mitglieder das Spitzenduo für den kommenden Bundestagswahlkampf. Damit folgen wir dem Leitspruch von Willy Brandt und wagen mehr Demokratie.

Vom 2. Dezember bis 13. Januar kann die Basis per Briefwahl entscheiden, welche Doppelspitze sie in den Wahlkampf führen soll. Katrin Göring-Eckardt, Robert Habeck, Toni Hofreiter und Cem Özdemir tingeln schon seit Wochen durch die Republik und präsentieren sich auf regionalen Foren den Mitgliedern. Die Urwahl ist eine große Chance: Während andere Parteien ihr Spitzenpersonal im Hinterzimmer auskungeln, entscheiden die Grünen diese Frage im offenen, fairen Wettstreit. Dieses Verfahren verschafft den beiden Siegern eine beispiellose Legitimation. Die Urwahl bringt zudem anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit und breite positive Berichterstattung in den Massenmedien. Sie motiviert die bestehenden Mitglieder und wirbt neue. In diesem Jahr haben wir  – gegen den vorherrschenden Trend – etwa 1500 zusätzliche Mitglieder gewonnen.

Dabei haben sich die Grünen sehr bewusst für einen Mitgliederurwahl und nicht für eine offene Vorwahl nach amerikanischem oder französischem Vorbild entschieden. Warum? Unsere Mitglieder investieren Zeit, Geld und Herzblut, um die Grünen zu unterstützen. Die verbringen ihre Abende auf Mitgliederversammlungen, hängen im Wahlkampf nächtelang Plakate auf, stehen Samstag vormittag in den Einkaufspassagen und zahlen monatlich ihren Mitgliedsbeitrag. Dafür haben sie das Recht, über Programm UND Personal mitzuentscheiden. Die Wahl der Spitzenkandidaten ist eine der wichtigsten Weichenstellungen, die eine Partei treffen kann. Es würde aus meiner Sicht die Mitgliedschaft entwerten, wenn man ausgerechnet hier das Privileg der Mitgliedschaft aufweichen würde. Wenn man aber an die Zukunft der Mitgliederpartei glaubt – und ich tue das – dann sollte man die Rechte der Mitglieder stärken und nicht schwächen.

Natürlich haben auch die Befürworter der offenen Vorwahl gute Argumente auf ihrer Seite – die potenziell größere Breitenwirkung und die theoretisch höheren Mobilisierungschancen. Es waren ja die Europäischen Grünen, die 2014 ihr europaweites Spitzenduo in offener Online-Vorwahl bestimmen ließen. Dieses Modell war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass einige grüne Parteien in Europa keine formellen Mitgliedschaften haben. Dass bei diesem Experiment die Beteiligung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mitgliedschaft deutlich hinter den Erwartungen zurück blieb, zeigt, dass auch offene Vorwahlen keine Selbstläufer sind.


Was mich nicht überzeugt, ist das Argument, die Wähler einer offenen Vorwahl seien automatisch repräsentativer als die Parteimitglieder. Erstens sind unsere Mitglieder viel näher an der Stimmung im Land als so mancher Funktionär in der politischen Blase. Zweitens kann der Einfluss einzelner mobilisierungsstarker Lobbygruppen auch das Ergebnis offener Urwahlen verzerren. Außerdem unterscheidet sich die politische Kultur in Deutschland bekanntermaßen deutlich zum Beispiel von der US-amerikanischen, wo man keine klassischen Mitgliederparteien kennt, dafür aber eine gute Tradition hat, sich als Bürger offen zu einer Partei zu bekennen.

Dennoch habe ich Respekt vor jeder Partei, die das basisdemokratische Experiment einer offenen Vorwahl wagt. Denn die Debatte zwischen offen und geschlossenen Vorwahlen ist ein Streit zwischen dem Guten und dem Besseren. Beides ist um Längen besser als der Status Quo. Ich kann die anderen Parteien deshalb nur ermutigen: Traut euch!

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Robert Heinrich

Robert Heinrich

Robert Heinrich ist Leiter Öffentlichkeitsarbeit/Kampagnen der GRÜNEN und Wahlkampfmanager für den Bundestagswahlkampf 2017. Der gebürtige Leipziger und studierte Politikwissenschaftler arbeitet seit 2003 für die GRÜNEN, zunächst als Büroleiter der Politischen Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, seit 2007 als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Funktion war er an der Organisation mehrerer bundesweiter Wahlkämpfe beteiligt. Zuvor arbeitete Heinrich als freier Journalist bei Tageszeitungen und Radio.
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